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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

839 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Jeand'Heur, Bernd, u. Stefan Korioth

Titel/Untertitel:

Grundzüge des Staatskirchenrechts. Kurzlehrbuch.

Verlag:

Stuttgart-München-Hannover-Berlin-Weimar-Dresden: Boorberg 2000. 291 S. gr.8 = Rechtswissenschaft heute. Kart. DM 44,-. ISBN 3-415-02695-7.

Rezensent:

Helmut Goerlich

Das kleine Lehrbuch aus der Feder des zu früh verstorbenen Bernd Jeand'Heur, dann übernommen und in aller modifikatorischen Freiheit - wie das Vorwort ausführt - zu Ende gebracht von dem nun nicht mehr in Greifswald, sondern in München lehrenden Stefan Korioth ist nur zu begrüßen. Es stößt auf einen Markt, der bisher von dem in dritter Auflage vorliegenden Lehrbuch von A. von Campenhausen zu diesem Gegenstand beherrscht und nur neuestens von einer zum Lehrbuch mutierenden Sammlung von hervorragenden Aufsätzen (vgl. Ch. Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, Frankfurt a. M. u. a. 2000) ergänzt wurde.

Das Buch gliedert sich nach einer vierseitigen Einleitung in sechs Teile. Zunächst werden die geschichtlichen Entwicklungen zum Verhältnis von Staat und Kirche seit dem Mittelalter über die Neuzeit bis in den Beginn des 20. Jh.s und dann die Weimarer Zeit und die nationalsozialistische Herrschaft sowie die Zeit nach dem Kriege in beiden deutschen Staaten bis zur Vereinigung dargestellt. Dann folgen in einem knappen zweiten Teil Ausführungen zu den Rechtsquellen - das Grundgesetz, die Landesverfassungen, staatskirchenrechtliche Gesetzgebung und Vertragsstaatskirchenrecht - und - über zwei Seiten - der Methodik des Staatskirchenrechts. Daran schließt ein sehr umfangreicher dritter Teil zu den staatskirchenrechtlichen Grundentscheidungen des Grundgesetzes an; er umfasst die Religionsfreiheit, den Trennungsgrundsatz im Verhältnis von Staat und Kirche sowie das Paritäts und das Neutralitätsgebot, dann das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften sowie die Kirchen und Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit den jeweils zugehörigen Einzelfragen in sinnfälliger Auswahl. Darauf wird das Vertragsstaatskirchenrecht in Verbindung mit den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche zum vierten Teil; hier wird von der Zulässigkeit solcher Verträge, ihrer geschichtlichen Entwicklung (exemplarisch vom "Güstrower Vertrag" als einem der jüngeren Verträge) und von rechtsdogmatischen Einzelfragen gehandelt, anschließend wird der Begriff der gemeinsamen Angelegenheiten geklärt, um daraufhin die Anstaltsseelsorge in ihren Varianten, die Militärseelsorge, den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen und die theologischen Fakultäten sowie das Friedhofswesen darzustellen. Der fünfte Teil enthält bedeutsame Restposten, nämlich die Staatsleistungen und die Garantie des kirchlichen Vermögens sowie zur Abgrenzung zwischen staatlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit. Und in einem letzten, dem sechsten Teil werden Kirchen und Religionsgesellschaften im europäischen Einigungsprozess erörtert, wobei der Plural eine Öffnung zu einem allgemeinen, aber doch auch wieder besonderen Verbandsrecht der Kirchen und Religionsgesellschaften andeutet.

Dabei werden viele aktuelle, durch die Praxis aufgeworfene und in der Rechtsprechung entschiedene Fallkonstellationen diskutiert, also etwa das Kruzifixurteil ebenso wie später die Klärungen zur Frage des Kopftuchs im Klassenzimmer oder zur Teilnahme muslimischer Mädchen am koedukativen Sportunterricht, zur Abgabenverweigerung aus Religions oder Gewissensgründen, zum Kirchenasyl, zu Tierschutz und Religionsfreiheit, zu staatlichen Warnungen vor religiösen Gruppen, zum Feiertagsrecht und zur Institution des Sonntags, aber auch zu Fragen der Bindung an Grundrechte innerhalb der Religionsgemeinschaften sowie zu Fragen der Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an eine Religionsgemeinschaft - Fragen, die teilweise inzwischen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts weiter geklärt worden sind, was wohl auch in Blick auf die Unterweisung in LER im Lande Brandenburg und vielleicht auch in Blick auf einen islamischen Religionsunterricht bald der Fall sein wird.

Das kleine Lehrbuch ist außerdem sprachlich sehr gelungen, nicht überfrachtet von einem wissenschaftlichen Apparat und besitzt ein Literaturverzeichnis sowie ein Sachregister. All das macht es sehr leicht nutzbar. Es sollte in keiner Bibliothek fehlen, die auch nur am Rande Antworten zu den einschlägigen Fragen ermöglichen soll. Die Lektüre lohnt. Und der Einblick in die inneren Funktionsmechanismen eines weltanschaulich neutralen Staates sowie die Ausstrahlung seiner Strukturen auf das europäische Recht machen das Staatskirchenrecht zu einem Paradigma von großer Bedeutung - selbst dann, wenn nicht nur die Staatskirche, sondern auch der Staat, von dem sie abhängt, nicht mehr die Bilder der öffentlichen Ordnung prägen.