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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

829–831

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nickel, Monika

Titel/Untertitel:

Predigt als Dialog.

Verlag:

Würzburg: Seelsorge Echter 1998. 685 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 31. Kart. DM 72,-. ISBN 3-429-02019-0.

Rezensent:

Friedrich Wintzer

Die Arbeit "Predigt als Dialog" wurde 1997 von der Kathol.Theol. Fakultät der Universität Passau als Dissertation im Fach Liturgik und Homiletik angenommen. Die Dissertation basiert auf der These, dass Predigt "wesensmäßig dialogisch" sei. Dies gelte auch für die Geschichte der Predigt. Monika Nickel hat die Untersuchung in der Überzeugung geschrieben, "daß das Bewußtsein vom dialogischen Charakter der Predigt weder in der Theorie noch in der Praxis verlorengegangen ist" (5). Einen Schwerpunkt der fast 700 Seiten starken Untersuchung bildet das Kap. 11, in dem u. a. das II. Vaticanum und die Folgezeit unter der Perspektive der "Bemühungen um eine dialogische Kirche" (601) erörtert werden. Auf der vertikalen Ebene sei der "Heilsdialog Gottes mit seinem Volk" zu thematisieren. Auf der horizontalen Ebene sei der innerkirchliche Dialog zu verstärken, auch zwischen Klerikern und Laien. Die Wahrheitsfindung benötige ebenfalls den Dialog; und die Laienpredigt sei ein Präzedenzfall der nachkonziliaren Entwicklung.

Der kurze Titel der Untersuchung trifft nur bedingt zu. Er entspricht der konstruktiven These der Vfn., er weist aber nicht- ergänzend in einem Untertitel - darauf hin, dass die Untersuchung unter Berücksichtigung der Geschichte der Predigt geschrieben worden ist. Die Vfn. will Anstöße geben, verschiedene Formen des dialogischen Verkündigungsstils in der römisch-katholischen Kirche zu entdecken und zu aktualisieren. Sie möchte einen Dialog über die Predigt als Dialog eröffnen. Sie beabsichtigt, im Bezug auf die Predigtgeschichte genauer zu überprüfen, inwieweit in der Theorie und in der Praxis der dialogische Charakter der Predigt festzustellen ist. Dabei kommen unterschiedliche Aspekte ins Spiel und der Dialogbegriff wird ausgeweitet.

Die Autorin widmet der predigtgeschichtlichen Nachfrage zehn Kapitel, an die sie das programmatische 11. Kap. "Entwicklung zur Predigt als Dialog im 20. Jahrhundert" angeschlossen hat. Es ist im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, über die Fülle des ausgebreiteten Materials zu berichten. Es muss bei Hinweisen bleiben. Die Vfn. erörtert einerseits die verschiedenen Epochen der Predigtgeschichte; andererseits setzt sie Akzente, in denen sie auf gelungene "dialogische Formen der Predigt" hinweist oder auch weithin das Fehlen des dialogischen Elements in bestimmten Zeiten konstatiert. Die Autorin erinnert daran, dass im NT "parakalein" den "tröstenden und ermahnenden Zuspruch von Mensch zu Mensch", die "wechselseitige, persönliche Ansprache im Namen Gottes" meint und andere Begriffe der Verkündigung ergänzt. - Im 2. Jh. habe dann der Weg von der Vielfalt der Verkündigungsformen zu stärkerer Vereinheitlichung geführt. Für das 3. Jh. wird Origenes als Vertreter dialogischen Predigens genannt, entweder in der Form des indirekten Dialogs oder durch die gelegentliche Einführung eines "Zwischenredners". Grundlegend sei die "gemeinsame Suche nach der richtigen Schriftauslegung" (146). Bei Augustin hebt die Vfn. u. a. die Förderung der katechetischen Arbeit hervor. Für die Predigt in Spätantike, Frühmittelalter und Mittelalter konstatiert sie eine Wandlung in Richtung "auf ihre Klerikalisierung". Symptomatisch seien die Auseinandersetzungen über die Laienpredigtbewegungen (5.4.1) gewesen. Als Beispiel werden die Predigten des franziskanischen Volkspredigers Berthold von Regensburg erörtert, der hörerbezogen predigte, verschiedene Gruppen von Menschen immer wieder direkt anredete (Apostroph, admonitio). Seine Predigten entwickelten der Vfn. zufolge das rhetorische Element von Rede und Gegenrede und kannten den wiederholten Gebrauch von rhetorischen Fragen. Diese lebendige Volkspredigt wird als eine Form der Kritik an dem erstrebten Verkündigungsmonopol der Amtskirche dargestellt.

Das 6. Kap. setzt am "Vorabend" der Reformation ein und umschließt die Zeit bis zum Konzil von Trient. Es behandelt u.a. die Verselbständigungen des Predigtgottesdienstes als Wurzel der Prädikaturbewegung. Die Prädikaturen wurden überwiegend von Laien gestiftet und haben sich, wie die Vfn. urteilt, als "Einfallstore der Reformation" (z. B. Nürnberg) erwiesen. In Bezug auf die theologischen Auseinandersetzungen versteht die Autorin die Kontroverspredigten der Reformationszeit als einen Weg vom Monolog zum Dialog als Streitgespräch. Die protestantische reformatorische Predigt wird aber nur in Ansätzen dargestellt, obwohl z. B. Luthers volkspädagogische Predigten für die Autorin von Interesse sind, wie sie S. 290 aufzeigt. Ausführlicher werden die Predigtbestimmungen des auf die Reformation reagierenden Konzils von Trient dargestellt.

Im 7. Kap. geht die Vfn. der Perspektive "Predigt als Dialog" in dem Zeitabschnitt "zwischen dem Tridentinum und der Barockzeit nach". Sie sieht in dem Wirken von Bischof Karl Borromäus (Mailand) einen Beweis für ihre These, da dieser den Laien eine Rolle bei der Glaubensvermittlung zugewiesen habe, so dass das streng hierarchische Element der römischkatholischen Kirche insofern von ihm aufgeweicht worden sei. Die Beurteilung der Vfn. "begrenzt dialogisch" basiert darauf, dass Borromäus die Christenlehrbruderschaft mit ihren Laienkatecheten förderte. - Als Spezifikum der Jesuiten sieht sie deren seelsorgerliche Tätigkeit an, zu der auch die "geistlichen Gespräche" gehörten. Die Predigt selbst sei u. a. durch dramaturgische Impulse ("Jesuitentheater") bereichert worden. Ein Akzent liegt auf dem 8. Kap., das die Barockpredigt zum Gegenstand hat. Die deutsche Barockpredigt habe stärker den Kontakt mit dem Hörer gesucht, Spielarten des fingierten Dialogs gekannt und den Wahrheitsanspruch der katholischen Lehre nicht nur behauptet, sondern auch zu vermitteln versucht. Zudem ist die Barockpredigt wohl vielstimmiger als oft angenommen wird.

Das anschließende 9. Kap. bezieht sich auf die Aufklärungspredigt, die innerhalb der evangelischen Predigtgeschichte inzwischen intensiver aufgearbeitet worden ist als in der katholischen Predigtgeschichte. Die Autorin hebt besonders das Josephinische Österreich hervor. Joseph II. habe auf die praktische Sittenlehre und die Volkserziehung Wert gelegt. Das katechetische Element der Sokratik sei auch von Predigern in der damaligen Zeit aufgenommen worden. Zudem habe es einen öffentlichen Dialog über Predigten gegeben (492).

Das 19. Jh. sieht die Vfn. sowohl durch restaurative als auch durch zukunftsweisende Tendenzen gekennzeichnet. Hervorgehoben wird von der Autorin Joh. Michael Sailer, der die Zeichen der Zeit erkannt und sich gegen eine Ghettoisierung der Kirche gewandt habe. Die Offenheit für die Zeichen der Zeit wird von der Vfn. als Dialogbereitschft gedeutet. Grundsätzlich sei die Öffnung in der Ekklesiologie wichtig gewesen (Adam Möhler, John Henry Newman). Zu den Voraussetzungen des kirchlichen Dialogs zählt sie die theologische Grundentscheidung, die Laien nicht nur als Objekte kirchlichen Handelns anzusehen. Die offizielle Ekklesiologie habe im 19. Jh. die Realisierung dieser Grundintention verhindert, sodass der Gedanke einer Konzeptionalisierung des Predigtgesprächs gescheitert sei. Der Homiletiker Joseph Jungmann habe zwar den Begriff der "virtuell dialogischen Predigtweise" geprägt, aber daraus seien kaum Konsequenzen gezogen worden. Das Dilemma "zwischen der überwiegend monologischen Form der christlichen Predigt und ihrem wesensmäßig dialogischen Charakter" (543) sei erst mit Hilfe der Ekklesiologie des II. Vaticanum aufzulösen gewesen.

Das Schlusskapitel (11. Kap.) der Untersuchung trägt den anspruchsvollen Titel "Entwicklung zur Predigt als Dialog im 20. Jahrhundert". In ihm verbinden sich historischer Rückblick und homiletische Aufgabenbeschreibung. Das II. Vaticanum, so zeigt das Kapitel deutlich, hat mit seinen theologischen Aussagen die Intention der Untersuchung maßgeblich beeinflusst. Die Offenbarungskonstitution, die Liturgiekonstitution und die Kirchenkonstitutionen sowie die neutestamentlichen Überlegungen sind die Eckpfeiler der vorliegenden Dissertation. Die Liturgie und die Homilie werden von der Autorin in engem Zusammenhang gesehen. "In der Liturgie spricht Gott zu seinem Volk. In ihr verkündet Christus noch immer die frohe Botschaft. Das Volk antwortet mit Gesang und Gebet" (615). Die Schrift ist für die Vfn. die primäre Quelle der Verkündigung, weil in ihr der "Heilsdialog Gottes mit seinem Volk" aktualisiert werde. Von diesem vertikalen Dialog sei der horizontale Dialog zu unterscheiden. Er vollziehe sich zwischen Menschen, die den "vertikalen Dialog verinnerlicht haben, ihn leben und nicht nur sagen" (612). Die Liturgie und die Homilie werden partiell identifiziert, da das II. Vaticanum die liturgische Einbettung der Homilie empfohlen habe. Die Homilie sei "Ergänzung und Konkretisierung des eucharistischen Geschehens" (627). Die Vfn. gebraucht in diesem Zusammenhang für die Predigt fast ausschließlich den Begriff der Homilie, da dieser in besonderer Weise für die streng schriftgebundene Homilie stehe. - Der Dialog-Begriff wurde Mitte des 20. Jh.s systematischtheologisch entfaltet (vgl. B. Casper, Das dialogische Denken, 1967) Zugleich habe die Arbeitsgemeinschaft der Homiletiker Deutschlands die kommunikationstheoretischen Aspekte entfaltet, wie auch das Thema "Hörer und Predigt". Die Predigt müsse das Mitdenken ermöglichen und die Erfahrungen der Menschen berücksichtigen.

Der Dialog-Begriff der Untersuchung ist mehrschichtig. Er wird im engeren und weiteren Sinn gebraucht. Er deutet eine theologische Denkrichtung an, ist aber kein eindeutig umrissener homiletischer Begriff. Die Vfn. möchte die kommunikative Kompetenz der Prediger fördern helfen und dazu beitragen, dass die Gläubigen sich als Dialogpartner versehen. Unter diesem Aspekt versteht sie am Schluss ihrer Untersuchung Predigt als Chiffre für den "dialogischen Prozeß in einer Kirche auf dem Weg" (664). - Dem materialreichen und engagiert geschriebenen Buch wünscht man besonders in der römisch-katholischen Kirche eine verständnisvolle und weiterführende Diskussion.