Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

825 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mertes, Martin

Titel/Untertitel:

Controlling in der Kirche. Aufgaben, Instrumente und Organisation dargestellt am Beispiel des Bistums Münster.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2000. 343 S. mit Abb. 8 = Leiten, Lenken, Gestalten, 7. Kart. DM 88,-. ISBN 3-579-02621-6.

Rezensent:

Jan Hermelink

Eine betriebswirtschaftliche Betrachtung der Großkirchen erscheint inzwischen - nach den Debatten der 90er Jahre - im Prinzip kaum noch strittig. Angesichts von Mitgliedschafts, Finanzierungs und Organisationsproblemen können auch Einsichten aus dem unternehmerischen "Marketing" bzw. "Management" zur kirchlichen Reform beitragen. In diesem Kontext stellt die vorliegende wirtschaftswissenschaftliche Dissertation (Düsseldorf 2000) insofern einen Fortschritt dar, als hier nicht nur einschlägige Metaphern oder einzelne Instrumente auf das kirchliche Handeln bezogen werden, sondern eine in sich geschlossene, theoretisch wie praktisch ausgearbeitete Funktionslehre. Auf diese Weise gewinnt die Wahrnehmung der Kirche als (NonProfit) "Unternehmen" eine bislang nicht erreichte Konkretion. Die hierfür gewählte "betriebliche Querschnittsfunktion" (16) ist das Controlling. Ihm kommt, wie M. breit entwickelt (95-133), die Aufgabe zu, die unternehmerischen Leitungsentscheidungen durch methodische Information zu koordinieren und auf diese Weise zur präzisen Zielausrichtung und zur innovativen Anpassung des Betriebes an veränderte Bedingungen beizutragen.

Um die mögliche Anwendung entsprechender Instrumente in der (katholischen) Kirche zu prüfen, skizziert M. deren theologisches und kirchenrechtliches Selbstverständnis und das daraus resultierende, von der "Sendung" ausgehende "Zielsystem" (35-40) in den "Grunddiensten" Verkündigung, Heiligung (Sakramente) und Caritas (Gemeinschaft und Dienst). Nicht nur für Außenstehende instruktiv ist auch die Darstellung der kirchlichen Organisationsstruktur, hier bezogen auf das Bistum Münster, seiner Finanzverfassung, des Personalwesens und schließlich des "Leistungsprogramms" (81-94), das M. als spezifisches Bündel "personal und kontaktintensiver" Dienstleistungen mit "extrem hohem Fixkostenanteil" versteht (88 f.).

Wie jede Non-Profit-Organisation ist die Kirche durch ein relativ starres Zielsystem ausgezeichnet, in dem finanzielle Ziele gegenüber den Sachzielen nur untergeordnete Bedeutung haben. Dazu kommt eine Vielfalt von Anspruchsgruppen ("stakeholder") sowie die hohe Bedeutung ehrenamtlicher Mitarbeit. Aus diesen und anderen Besonderheiten entwickelt M. ein Aufgabenprofil des kirchlichen Controlling (198-204), das vor allem die Bindung aller Leitungsvollzüge an das Ziel und Wertesystem betont, dazu die systematische Bereitstellung relevanter Informationen über Handlungsplanung und Zielerreichung, die Flexibilisierung des finanziellen Rahmens sowie die Integration des "Personalführungssystems" in andere Leitungsvollzüge.

Als zentrales Instrument eines solchen Controlling adaptiert M. die sog. "Balanced Scorecard" (etwa: ausgewogene Ergebnis-Tabelle), in der betriebliche Ziele, Stand der Zielerreichung und entsprechende Maßnahmen in den Perspektiven "Leistungswirkung", "Leistungserbringung", Mitarbeit, Finanzen und Innovation dargestellt und durch Kennzahlen und/oder inhaltliche Beschreibungen fortlaufend detailliert werden können. M. entwickelt Dimensionen und Probleme einer kirchenspezifischen "Scorecard" (223-239), konkretisiert einen solchen TabellenKomplex exemplarisch für Bistum und Gemeinde (239ff.), skizziert weitere Koordinationsformen wie Budgetierung und Kostenmanagement (253 ff.) und schließlich auch eine mögliche Verankerung solcher Instrumente in der kirchlichen Organisationsstruktur (273 ff.).

Mit dieser eingehenden, höchst anregenden und dabei stets an den realen kirchlichen Verhältnissen orientierten Argumentation liefert M. geradezu ein Lehrstück der Adaption betriebswirtschaftlichen Wissens. Denn diese Adaption ist sich einerseits ihrer Grenzen bewusst: Immer wieder wird die "Posteriorität" ökonomischer Reflexion gegenüber ausschließlich theologisch zu begründenden Ziel und Strukturvorgaben betont; auch wird beachtet, dass die zentralen kirchlichen Ziele und "Leistungswirkungen" sich jeder Quantifizierung entziehen.

Gerade weil M. die mögliche Übernahme unternehmerischer Einsichten so klar einschränkt, tritt andererseits der Nutzen, den eine solche Übernahme für weite Bereiche des kirchlichen Handelns verspricht, umso deutlicher hervor. Sehr nüchtern wird etwa konstatiert, wie völlig unzureichend die Vielzahl kirchlicher Handlungsziele formuliert, nach Prioritäten geordnet und in konkreten Handlungs oder Ergebnisvorgaben "operationalisiert" ist. Oder: Die genaue Frage nach den nicht nur monetären, sondern auch zeitlichen oder emotionalen "Kosten" kirchlicher Vollzüge muss deren geistliche Zielsetzung offenbar nicht gefährden, sondern vermag Potenziale ihrer "Standardisierung" und ihrer "Individualisierung" offenzulegen (235 f.244 f. u. ö.).

Der instruktive Charakter von M.s Studie wird verstärkt durch die klare, auch insofern ökonomische Form der Darstellung, die die einschlägige Literatur umfassend und abgewogen auswertet, Fachbegriffe knapp erläutert und die eigene Argumentation, ohne sie zu trivialisieren, immer wieder in graphischer Form zusammenfasst. Nur gelegentlich führt ein gewisser Systemzwang zu Redundanzen oder unnötiger Detaillierung.

Die Frage nach der Relevanz dieser Studie für evangelische Landeskirchen dürfte zunächst sogar positiver zu beantworten sein als für die römische Kirche, denn deren Organisation erscheint - wie M. klar markiert - ausgesprochen zentralistisch, per Kirchenrecht fixiert sowie durchgehend klerikal dominiert. In den flexibleren und partizipativeren Kirchenstrukturen des Protestantismus wäre M.s Konzeption eines methodischen Controlling wohl leichter zu realisieren.

Gerade im Lichte evangelischer Kirchentheorie zeigen sich jedoch auch Schwachstellen jenes Entwurfs selbst. Das betrifft nicht nur das "Zielsystem", in dem die individuellen religiösen Bildungsprozesse zu wenig Berücksichtigung finden, sondern auch das Dienstleistungsverständnis, bei dem die "externen Faktoren", nämlich die jeweils Teilnehmenden, in ihrer konstitutiven Bedeutung für die Wirkung des kirchlichen Handelns systematisch unterschätzt werden. Auch in der eigentlichen Konzeption der Leistungskoordination scheinen mir die personalen Dimensionen noch zu wenig ausgearbeitet. M.s Adaption betriebswirtschaftlicher Theorie für die kirchlichen Verhältnisse mag also im Einzelnen zu korrigieren und zu ergänzen sein grundsätzliche Zweifel am Erkenntnisgewinn einer solchen Adaption jedoch scheinen angesichts dieser Studie nicht mehr angebracht.