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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

823 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Krieg, Gustav A.

Titel/Untertitel:

Gefangene Gottes. Auf der Suche nach pastoraler Identität.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 200 S. gr.8. Kart. DM 35,80. ISBN 3-17-015759-0.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Krieg wendet sich an resignierende Pfarrerinnen und Pfarrer, die unter Verunsicherung und Erfolglosigkeit leiden. Das 1. Kap. zeichnet den Pfarrberuf in den Horizont gesamtgesellschaftlichen Denkens ein. Die Gesellschaft wird als Wettbewerbsgesellschaft auch im weltanschaulichen Sinn verstanden, "als Wettbewerb der Sprachspiele" (ein Lieblingswort des Vf.s) und der Lebensformen. Die Schwierigkeit, positive Relationen zwischen Theologie und Kirche einerseits und gesamtgesellschaftlichen Trends andererseits herzustellen, spiegelt sich in den komplizierten Überlegungen des Vf.s wider. Zwischen dem für pastorale Selbstauslegung und Gemeindearbeit notwendigen theologischen Minimalkonsens und dem zeitgenössischen Denken findet er zunehmend weniger Verbindungslinien, die ein Gespräch ermöglichen.

Im 2. Kap. wird der theologische Minimalkonsens vom reformatorischen extra me her als Einspruchs-Instanz gegen eine Welt der Machbarkeiten erläutert. Als traditionelle Modelle werden das dialektisch-theologische und das konservativ-lutherische Praxismodell dargestellt. Das Letztere ist nach K. partiell dialogfähiger als das Erstere, "wenn sich denn die Gesellschaft auf die Überzeugung von Einer Wahrheit einläßt" (73), was jedoch nicht mehr zutrifft.

"Nach-traditionelle Antworten" auf die Identitätsfrage werden im 3. Kap. überprüft. Der von Bultmanns Hermeneutik ausgehende Ansatz ermöglicht zwar einen hermeneutisch verantworteten Umgang mit der neuzeitlichen Säkularität, bringt aber im Grunde nur zur Sprache, was die Gesellschaft sich selber sagen kann. Das gilt auch für einen neueren Ansatz, der die Relation von "Glauben und Handeln" thematisiert und wiederum die Frage hinterlässt, ob im Sprachspiel dieser Theologie "keine Hoffnungen mehr ausgesprochen werden, an denen nicht auch die Gesellschaft aus sich selbst heraus zu partizipieren vermöchte" (87). Ein dritter nachtraditioneller Typ wird durch die "Wiederkehr des Mythos" bestimmt, der aber durch nichtchristliche Mythen austauschbar erscheint, so dass auch hier das christliche Proprium nicht notwendig, ist. Als Fazit zieht Krieg ein Scheitern der Versuche, im Wettbewerb mit den neuzeitlichen "Vernunftwissenschaften" eine Basis für die pastorale Praxis zu finden.

Dieses negative Ergebnis lässt umso gespannter auf eine positive Alternative hoffen. Unter der Überschrift "Anwege in die Wüste" wird im 4. Kap. die Notwendigkeit einer Elementar-Christologie erläutert im Sinne einer Annäherung an Jesus als den Repräsentanten der Fundamentalunterscheidung zwischen dem, was die Welt ist und nicht ist.

K. sieht in diesem Ansatz selber "barthianisch-,dezisionistische' Züge" (108), skeptisch gegenüber liebgewordenen Anknüpfungspunkten und Erlebnisorientierung. Der Kontingenzgedanke wird gegen die "volkskirchliche" Tendenz zur "Welt-Affirmabilität" gesetzt, der Pfarrberuf von Gethsemane und Karfreitag her als Gegensatz zu neuzeitlichen Lebensbewältigungs-Methodologien verstanden. Dem Pfarrer wird damit "im Sinne von Overbeck oder Barth eine eigentümlich ortlose Existenz in dieser Welt zugewiesen (110). Kein Weg führt zurück in die Welt methodisierbarer sozialer und religiöser Praktiken, pastoraler und ekklesialer ,Strategien'" (111). Von der biblischen Eschatologie her könne aber "neu jene kritische Gelassenheit wirksam werden, die im Umfeld der Dialektischen Theologie wahrzunehmen war" (118). Zugleich sei der Einspruch hermeneutisch ernstzunehmen, den die Indifferenz der volkskirchlichen Mehrheit darstellt. Als Gesprächspartner wird jedoch zuerst ein kulturkritisches Denken angenommen, das die Welt illusionslos als Welt des Todes sieht.

Im letzten Kap. wird der Pfarrberuf als "Beruf auf der Grenze" zwischen der Sprache der Tradition und Sprachspielen der Gesellschaft sowie auf den biographischen Grenzen erörtert. Mit K. Barth wendet sich K. gegen die theologisch-anthropologischen Horizontverschmelzungen in der Deutung der Taufe und gegen eine allgemeine, in der "Gesellschaft der Freundlichen" plausible Lebensaffirmation. Die bei der Taufe voraus-, bei der Bestattung rückblickende Lebens-Affirmation bedarf der futurisch-eschatologischen Korrektur und Ergänzung. Das angemessene Verhältnis von Pfarrer und Pfarrerin und Laien findet der als Kirchenmusiker ausgewiesene Vf. exemplarisch im Hören auf die Laien und Mithören mit ihnen, wie es in der Kirchenmusik geschieht.

Ob das Buch verunsicherten Pfarrerinnen und Pfarrern hilft, können nur diese selber beurteilen. Ich bedaure, dass K. den Versuch, pastorale Identität im Gemeindeaufbau zu finden, gar nicht würdigt, obwohl er heute mehr Resonanz findet als manche der vorgestellten Modelle. Es ist schwer zu verstehen, dass Initiativen mit solcher Breitenwirkung ignoriert werden oder mit dem Etikett "evangelikal" versehen ohne genauere Prüfung als erledigt gelten.