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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

811–813

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bakker, Nico T.

Titel/Untertitel:

History as a Theological Issue. Transl. by M. Kessler.

Verlag:

Leiden: Deo Publishing 2000. XII, 301 S. gr.8 = Theological Seminar Series, 2. Kart. hfl 98,-. ISBN 90-5854-002-2.

Rezensent:

Michael Murrmann-Kahl

In seiner Studie nimmt Nico T. Bakker die gegenwärtige Sinnkrise der Postmoderne und Theologie "nach Auschwitz" zum Ausgangspunkt, die durch das Scheitern der Sinnzumutungen an "die" Geschichte gekennzeichnet ist (1-8). Der Quintessenz des 20. Jh.s, dass "belief in the redemptive essence of history has been lost" (1) und nur noch Chaos und Nihilismus zurückgeblieben sind (286 ff.), versucht er dadurch beizukommen, dass er das Verhältnis von biblischem Wort bzw. biblischer Geschichte und der Profanhistorie untersucht (3). Unter diesem Gesichtspunkt werden von den acht Hauptkapiteln jeweils zwei kontrastierend aufeinander bezogen ("a series of two corresponding chapters", 8): die Frage nach profaner Makro- (12-43) und biblischer Mikrohistorie (44-67), das Verhältnis von historischem Fortschritt bzw. Evolution (68-89) und biblischer Tora (90-116), von Historismus und theologischer Geschichtsdeutung (117-147) zur Wort-Gottes-Theologie (148-185), schließlich das Konzept "Offenbarung als Geschichte" (186-221) im Gegensatz zu Barths Geschichtsverständnis (222-268). Ein kurzer resümierender neunter Abschnitt beschließt das Buch (269-288). Das duale Gliederungsprinzip macht freilich den Hiatus offensichtlich (3 f.): Profane Geschichte und biblisch-theologische Geschichtsauffassung unterm Wort Gottes treten rettungslos auseinander.

Das erste und dritte Kapitel referieren kurz bekannte geschichtsphilosophische Topoi (im Gefolge vornehmlich Karl Löwiths) wie etwa Voltaire (15 f.), Condorcet (16-19), Turgot (19 f.), Comte (20-22), Proudhon (23 ff.), Burckhardt (29-32), Spengler (32-36), Popper (39 ff), Huizinga und Collingwood (68-73), Herder, Hegel und Marx (76-80), Heidegger (81-85), Whitehead (85-88) und schließlich Overbeck (88 f.). Demgegenüber wird im zweiten und vierten Abschnitt die biblische Geschichte und darin insbesondere in Anschluss an F. H. Breukelman und K. H. Miskotte die Auffassung positioniert, die das göttliche Wort - "the Word-that-happens" - als "Name" und geschichtswirkende Handlungen ("acts", 100 ff.) interpretiert. Die vom Vf. verfolgte These lautet: "According to the Torah, history in a universal sense does not exist. It first comes into being by the word and commandment of YHWH" (91, Original kursiv). Genau daran scheint dann die Wort-Gottes-Theologie Karl Barths bruchlos angeschlossen werden zu können (228).

So verwundert es nicht, dass gegenüber der emphatisch wiederholten Barthschen Theologie insbesondere des zweiten "Römerbriefkommentars" (154-158), der "Kirchlichen Dogmatik" I (158-167.222-231.238-242) und des Tambacher Vortrags (256-262) Geschichtsdenker wie Ernst Troeltsch und Wolfhart Pannenberg denkbar schlechte Noten erhalten. Der Historismus bei Troeltsch (120-127) kulminiert in der lapidaren Feststellung, "Troeltsch believes in history" (127). Pannenbergs frühes Programm der "Offenbarung als Geschichte" (186-221) wird sogar noch als Rückfall hinter diesen Geschichtsimmanentismus auf mittelalterliche Denkformen beurteilt (194 ff.206). Pannenbergs Geschichtstheologie kollidiert nämlich mit der eigenen barthianischen These des Vf.s, weil in ihr "there is no room for a particular history emanating from the NAME" (196).

Zunächst ist rein formal zu bemängeln, dass der Vf. gerade die kritisierten Positionen auf Grund einer äußerst schmalen und sichtlich überholten Quellenbasis beurteilt, was man nicht einmal einer Seminararbeit durchgehen ließe. So wird im Falle von Troeltsch die Forschung der letzten zwanzig Jahre (vgl. Troeltsch-Studien 1982 ff.) "souverän" ignoriert und Troeltsch auf der Basis der Studie von W. Bodenstein (1959!) dargestellt. Eine sorgfältigere Analyse hätte dem Autor deutlich machen können, dass Troeltsch sehr wohl eine Differenz zwischen dem genuinen Anliegen der jüdisch-christlichen Religion und dem allgemeinen Geschichtsverlauf kennt. In der undifferenzierten Schau des Vf.s fallen sogar Augustin, Kuenen, Wellhausen und Troeltsch in ihrem zentralen Vergehen: "faith in history!" (147) umstandslos zusammen. Entsprechend ist es sicherlich höchst unangemessen, Pannenberg auf die frühen sechziger Jahre zu restringieren (250 f.) und seine weiterführenden Überlegungen zum Geschichtsthema in "Wissenschaftstheorie und Theologie" (1973), in der "Anthropologie" (1983) und seiner dreibändigen "Systematischen Theologie" (1988-1993) glatt zu übergehen. Von Pannenberg (vgl. Systematische Theologie I, 207-281, hier 248 f.259 f.) hätte sich der Vf. darüber belehren lassen können, auf welch schmalem exegetischen Fundament Barths Wort-Gottes-Theologie wirklich ruht.

Die eigene Position des Autors (212 ff.) kommt im Anschluss an Barth in schönster Selbstreferentialität daher: "God himself stands guarantee for this insight. Revelation can only be proven by revelation" (215, vgl. 218). Wie dies mit der "profane history" vermittelt werden können soll, bleibt das Geheimnis des Vf.s. Der Verdacht legt sich nahe, dass der beschworene "Nihilismus" des Geschichtsdenkens von einer solch steilen Offenbarungstheologie mitproduziert wird. Der ersichtlich äquivoke Gebrauch des Geschichtsterminus bei Barth ist dem Vf. entgangen. "The self-revelation of God is word and act in one. This word makes history in an eminent sense." (228) Nur dass der "normale" Historiker davon nichts mitbekommt (218 ff.227 ff.)! Im Übrigen täuscht sich der Vf. über das Wesen der profanen Geschichtsschreibung, wenn er sie als von einem "neutral observer" konstruiert im Gegensatz zur biblischen Geschichte versteht (229).

Wenn man die verwendete Literatur (289-294) und das empfohlene Allheilmittel Barthscher Provenienz bedenkt, reibt man sich ungläubig die Augen: Trüge das Original des Vf.s nicht wirklich das Publikationsdatum 1996, hätte man es unzweifelhaft in den sechziger Jahren verortet. Die Urszene seines Werkes schildert der Vf. in seinem Vorwort. Bei seinen Studien zum Geschichtsthema 1992 in Rom erinnerte er sich auf dem Monte Pincio an Karl Barths Pamphlet "Nein" gegen Emil Brunner aus dem Jahr 1934. "The uncompromising No of Barth then rang as music in my ears" (XII). In diesem Sinne mag man dem Autor nur selber kompromisslos entgegenhalten: So nicht!