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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

798 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Huber, Christoph, Wachinger, Burghart, u. Hans-Joachim Ziegeler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters.

Verlag:

Tübingen: Niemeyer 2000. VI, 348 S. gr.8. Lw. DM 156,-. ISBN 3-484-64015-4.

Rezensent:

Klaus Stiebert

Der Sammelband vereinigt fünfzehn Referate zur Literatur des Mittelalters, gehalten von Literarhistorikern auf einer Tagung im ehemaligen Zisterzienserinnen-Kloster Heiligkreuztal 1997. Das Thema erfordert grundlegende Bemühungen zu poetologischer, theologischer, frömmigkeits- und ideologiegeschichtlicher Art und konnte im vorliegenden Band keineswegs systematisch oder erschöpfend abgehandelt werden, will aber die damit verknüpften Fragen stärker "in das Bewußtsein der Fachöffentlichkeit rücken" (2).

Das Begriffspaar "geistlich" und "weltlich" setzt die christliche Tradition selbstverständlich voraus, ist aber inhaltlich facettenreich und an den Rändern offen. Die zentrale Bedeutung des Begriffs "geistlich" im Sinne von spiritualis, das heißt "vom Geist Gottes ergriffen und auf ihn hin ausgerichtet", bildet die Orientierung im Zusammenhang dieses Bandes. Der Begriff "weltlich" enthält seine inhaltliche Bestimmung so als eine Gegenüberstellung. Welt meint in diesem Sinne alles, was nicht auf den Geist Gottes hin gerichtet ist, "weltlich" gilt bis heute als Gegenbegriff zu "geistlich" - "auch und gerade bei emphatischer Aufwertung" (3). Aber trotz des anhaltenden Säkularisierungsprozesses bleibt "weltlich" immer noch in Bezug auf die christliche, also "geistliche" Tradition bestehen. Daraus ergeben sich Probleme und Schwierigkeiten der in den einzelnen Beiträgen erprobten Fragestellungen. Sie müssen immer erneut an den überlieferten Texten überprüft werden. Von jeher haben Interpreten die Polarität von "geistlich" und "weltlich" sehr verschieden gedeutet - den einen "ze vil gaistlich" (318), den anderen "ze vil fleischlich" (5).

Die Autoren versuchen der Vielfalt dieser Texte einer geistlich-weltlichen "Mischkultur" des Mittelalters gerecht zu werden, sie untersuchen Sichtweisen, Strukturen, Motive und Sprache mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen, wobei sich die Betrachtung der Glaubens- und Vorstellungswelten mit ästhetischen, sprach- und literaturgeschichtlichen Analysen überschneiden. In einigen Aufsätzen beziehen die Autoren historisch-gesellschaftliche Voraussetzungen in ihre Untersuchungen ein. Die Beiträge sind nach der Chronologie der entstandenen Texte geordnet.

Benedikt Konrad Vollmann untersucht "die geheime Weltlichkeit" der Eustachius-Placidus-Legende, die in wesentlichen Teilen der Geschichte Hiobs vergleichbar ist, aber auf die dort zentrale Theodizee-Diskussion verzichtet. Elke Brüggen zeigt an zwei geistlichen Texten des 12. Jh.s, wie die sprachliche Verfeinerung zum Ausdruck eines nicht mehr nur geistlich bestimmten ästhetischen Interesses wurde. Peter Godman beschreibt die weltliche Lebensform des Hofes, an dem der Archipoeta seine Dichtungen vorgetragen hat. Am Hofe Heinrichs II. Plantagenet in England entstand um 1170 höchstwahrscheinlich Chretien de Troyas "Erec und Amide", ein viel nachgestaltetes Epos neuen Typs, während an Heinrichs des Löwen Braunschweiger Hof das viel altertümlichere "Rolandslied" des Pfaffen Konrad Gestalt fand - beide aber als heilsgeschichtliche Verklärungen des weltlichen Herrschers angelegt, wie Eckhart Conrad Lutz herausarbeitet. Peter Strohschneider versteht seine Lektüre des "Gregorius" Hartmanns von Aue "als Experiment": Die Struktur der Handlung wird als genealogischer Mythos gedeutet. Die Krise der gesellschaftlichen Ordnung (Inzest) kann nur durch eine Instanz außerhalb der Ordnung, die Gnade Gottes, aufgehoben werden. Auf die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtung des Sprachgebrauchs in Hartmanns "Erec" weist Manfred Günter Scholz hin.

Joachim Theisen untersucht in klassischen höfischen Romanen, in Hartmanns "Armen Heinrich", "Erec" und "Iwein", in Wolframs "Parzival" und Gottfrieds "Tristan", wie die Zurückhaltung zunimmt, den Namen Gottes einzusetzen oder Gott in die Handlung eingreifen zu lassen (zum Beispiel: Gottesurteil). Anette Gerok-Reiter befragt in Wolframs "Willehalm", wie "religiöses Heil und christliche Heiligkeit in einer unerbittlich mehrseitig erzählten und bedachten Welt" (12) noch möglich wären, sie findet "eine Menschlichkeit, die sich in ihrer Erbarmungswürdigkeit selbst zu erbarmen vermag" und damit "eine dem Weltlichen gleichsam ganz und gar immanente Geistlichkeit" (192). Walter Haug geht es um Veränderung des Liebeskonzepts, von Frauenliebe und Gottesliebe, in mystischen Texten und im Minnegesang. Auch in Frauenlobs Lyrik ist die Grenze zwischen "weltlich" und "geistlich" gelegentlich überspielt, wie Susanne Köbele darlegt. Christian Kiening zeigt an Varianten des Erzählstoffs vom "Mädchen ohne Hände" auch die Veränderungen in der Balance der Gegensatzpaarung "geistlich" und "weltlich". Victor Millet interpretiert die bedenklichen moraltheologischen Deutungen dreier mittelhochdeutscher Kurzerzählungen durch ihre Autoren.

Nikolaus Largier verfolgt Anekdoten über Diogenes von Sinope seit der Antike, deren "weltlich"-moralischer Sinn zu christlicher Allegorese umgeformt und später wieder aufgegeben wurde. Henrike Lähnemann fand im "Witwenbuch" des Erhart Groß "halbgeistliche" Lebensformen in der bürgerlich-städtischen Lebenswelt Nürnbergs im 15. Jh. Cora Dietl geht aus vom öffentlichen Skandal, den die Theateraufführung der "Eusebia" des niederländischen Humanisten Antonius Schorus an der Heidelberger Universität 1550 auslöste, und gelangt zu dem Ergebnis, dass geistliche und weltliche Aspekte des Stücks nicht voneinander zu trennen sind.