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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

781–783

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Arnold, Claus

Titel/Untertitel:

Katholizismus als Kulturmacht. Der Freiburger Theologe Joseph Sauer (1872-1949) und das Erbe des Franz Xaver Kraus.

Verlag:

Paderborn-München-Zürich-Wien: Schöningh 1999. 522 S., 1 Taf. gr.8 = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, 86. Lw. DM 108,-. ISBN 3-506-79991-6.

Rezensent:

Peter Walter

Joseph Sauer, langjähriger Ordinarius für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte an der Freiburger Katholisch-Theologischen Fakultät, ist nicht nur wegen seiner Leistungen für die Etablierung dieses noch jungen Faches interessant, sondern auch wegen seiner Auffassung von der Bedeutung der christlichen Religion, speziell von deren katholisch-konfessioneller Ausprägung, in den rasch sich verändernden gesellschaftlichen und politischen Konstellationen der ersten Hälfte des 20. Jh.s. Seit Thomas Michael Loome vor einem Vierteljahrhundert auf die Rolle des auf den ersten Blick wenig auffallenden Kunsthistorikers im sog. Modernismus aufmerksam gemacht hat, galt die Aufarbeitung des wegen der Fülle und Vollständigkeit des Materials einzigartigen Nachlasses dieses Mannes als ein wissenschaftliches Desiderat.

Mit der Stellung Sauers innerhalb der von ihm vertretenen Disziplin beschäftigt sich die vorliegende, unter der Leitung von Hubert Wolf entstandene Studie nur am Rande; ihr Interesse ist auf die von Sauer vertretene Auffassung vom "Katholizismus als Kulturmacht" gerichtet. Geprägt wurde diese durch Sauers Lehrer Franz Xaver Kraus (1840-1901), dessen Erbe der Schüler angetreten und, wie die Arbeit auf eindrucksvolle Weise zeigt, in unterschiedlichen Konstellationen gepflegt hat.

Zunächst, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, geschah dies noch in ungebrochener Tradition zum Meister, eingebettet in das auch diesen tragende Adelsmilieu und seine Salons. Dazu gehörte als integrierender Bestandteil die Frontstellung gegen das in der römischen Zentrale und den ihr ergebenen Kreisen herrschende Gemisch von Neuscholastik und Ultramontanismus, welches in dem adligen und bildungsbürgerlichen Milieu verpönt war, an das Kraus und seine Schüler mit Erfolg Anschluss suchten. Über die von seinem Lehrer geknüpften Kontakte konnte Sauer sich hier etablieren. Nicht ganz so problemlos gelang es ihm, auch in der Fakultät das Erbe von Kraus zu übernehmen, nicht einfach nur im Hinblick auf das von jenem vertretene Fach - den Lehrstuhl erhielt zunächst ein anderer -, sondern auch, was die fakultäts- bzw. universitätspolitische Position angeht. Man wird sagen können, dass der Schüler in dieser Beziehung seinen Meister später weit übertroffen hat. Denn vor allem seit der Zeit des Nationalsozialismus lief in der Freiburger Theologischen Fakultät nichts mehr ohne oder gegen Sauer, einzig in der Frage seiner Nachfolge konnte er, der weit über die Altersgrenze hinaus auf Posten blieb, die Weichen nicht mehr stellen. Der Erste Weltkrieg und die ihm folgende politisch-gesellschaftliche Neuorientierung in Deutschland hatte freilich die Grundlage von Sauers Hoffnungen zunächst nachhaltig zerstört und eine grundlegende Neuorientierung gefordert. Sauer fand sie in der praktischen Arbeit als Konservator und akademischer Lehrer sowie ganz besonders in der Wissenschaftsorganisation, in der er dem Leitbild des "wilhelminischen Professors" folgen konnte.

Der trotz allem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung eher introvertierte Gelehrte - schon allein seine vom frühen Erwachsenenalter bis zum Tod reichenden Tagebücher, die Hauptquelle dieser Arbeit, legen davon beredtes Zeugnis ab - war allem Populismus abhold, wie er etwa von zahlreichen, ihm deshalb unsympathischen, badischen Zentrumspolitikern und Kirchenoberen gepflegt wurde. Aus diesem Grund stand er auch einer durchaus modernen Massenbewegung wie dem Nationalsozialismus von Anfang an ablehnend gegenüber. Durch die "Gleichschaltung" der Universität, in Freiburg von keinem Geringeren als dem aus dem katholischen Milieu hervorgegangenen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976) als Rektor betrieben, wurde Sauers Lebensplanung von neuem empfindlich gestört. Heidegger, dem er als Prorektor an die Seite gestellt war, vermochte er nicht einzufrieden; dagegen gelang ihm solches gegenüber Fakultätskollegen, die der "neuen Zeit" durchaus aufgeschlossen gegenüber standen. Auch konnte er hier der Kooptierung von Sympathisanten des Nazi-Regimes einen Riegel vorschieben. Zum offenen Widerstand war Sauer, wie bereits seine sich in konspirativen Briefwechseln mit Gleichgesinnten und anonym oder pseudonym veröffentlichten Artikeln erschöpfende "modernistische" Tätigkeit zeigt, nicht gemacht. Seinen Abscheu über Judenpogrome und dergleichen hat er nur seinen Tagebüchern anvertraut. Beim Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg hat Sauer nochmals versucht, seinem Ideal von der Kulturmacht des Katholizismus zur Durchsetzung zu verhelfen. Diesmal war es hauptsächlich die Fakultät, von der er sich im Stich gelassen fühlte.

Von Sauers geistigem Werdegang und Profil her ist es wohl zu erklären, dass er sich gegen Versuche wandte, nach dem Zweiten Weltkrieg an die Tradition der Zentrumspartei anzuknüpfen, deren klerikale Vertreter ihm immer ein Dorn im Auge waren, und statt dessen dafür eintrat, auf überkonfessioneller Basis eine christliche Partei ins Leben zu rufen. Trotz dieser "ökumenischen" Öffnung scheint die Perspektive Sauers, was die kulturelle Landschaft insgesamt angeht, eine mehr oder weniger ausschließlich binnenkatholische, wenn auch eben nicht antimodernistisch verkürzte, gewesen zu sein. Man vermisst in den in der vorliegenden Arbeit zitierten Äußerungen Sauers fast vollständig den Bezug zur zeitgenössischen nicht katholisch oder zumindest christlich geprägten Kulturszene. Mag sein, dass eine stärker die fachlichen Interessen Sauers berücksichtigende Untersuchung, welche durch diese Darstellung keineswegs überflüssig geworden ist, hierzu noch weitere Informationen bietet.

Die vorliegende Arbeit kann ohne Zweifel als ein Meisterstück kirchenhistorischer Forschung und Darstellung bezeichnet werden. Der Vf. hat in zahlreichen Archiven umfangreiches Material gesichtet und selbst in dem bereits mehrfach bearbeiteten, wenn auch nach wie vor noch nicht vollständig für die Forschung erschlossenen Nachlass Sauers im Universitätsarchiv Freiburg Neues zu Tage gefördert. Aber nicht nur von der Behandlung der Quellen her genügt die Arbeit höchsten Ansprüchen, sondern auch, was den die Breite der Diskussion berücksichtigenden Problemhorizont angeht. Möglicherweise werden die Teile der Arbeit, welche sich mit Sauers Rolle und internationalen Kontakten innerhalb des Modernismus beschäftigen, auf größeres Interesse der theologiegeschichtlichen Forschung stoßen als diejenigen, welche seine Versuche beleuchten, sich an der Freiburger Universität zu etablieren und hier wie am Schnittpunkt der Kirche-Staat-Beziehungen in Baden Einfluss auszuüben. Gleichwohl verdienen gerade diese Passagen über das Biographische und Lokalhistorische hinaus grundsätzliches Interesse. Wird hier doch - ausgehend vom Einzelfall Sauers und "seiner" Fakultät - die für einen Teil des deutschen katholischen Klerus in der ersten Hälfte des 20. Jh.s wohl nicht untypische Position deutlich, zu den ultramontanistischen Prägungen der religiösen Sozialisation auf eine gewisse Distanz zu gehen, ohne - wie es das allzu simple Schema will - sich eilfertig den staatlichen Stellen anzudienen. Das Verhalten Sauers während des Nationalsozialismus eignet sich wahrlich nicht zur Heroisierung, aber es versieht die Hypothese von den ehemaligen "Modernisten", die sich schleunigst diesem Regime und seiner Ideologie zuwandten, mit einem Fragezeichen. Umgekehrt darf aus der Tatsache, dass Sauer die römische Zensur benutzte, um dem Nationalsozialismus allzu positiv gegenüberstehende Kollegen in ihre Schranken zu weisen, nicht geschlossen werden, er habe jene dadurch, gleichsam rückwirkend, bejaht und nun den engen Anschluss an Rom gesucht.

Nicht zuletzt verdient die opulente äußere Ausstattung der durch ein zuverlässiges Personen- und Sachregister erschlossenen Arbeit hervorgehoben zu werden, die den ästhetischen Ansprüchen des Protagonisten wohl genügt haben dürfte.