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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

779 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Wöhle, Andreas H.

Titel/Untertitel:

Luthers Freude an Gottes Gesetz. Eine historische Quellenstudie zur Oszillation des Gesetzesbegriffes Martin Luthers im Licht seiner alttestamentlichen Predigten.

Verlag:

Frankfurt/M.: Haag u. Herchen 1998. 334 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-86137-660-1.

Rezensent:

Frank Hofmann

Der Autor selbst verortet die zu besprechende Studie - die überarbeitete Fassung einer Amsterdamer Dissertation aus dem Jahre 1995 - im Kontext der Niederlande: zum einen im Kontext der lutherischen Kirche als Minderheitskirche (13), zum anderen im Kontext der interkonfessionell ausgerichteten niederländischen Lutherforschung, als deren methodischen Ansatz er benennt: "Luther selbst zu Wort kommen, ihn ausreden lassen" (5). Letzteres tut Wöhle dann auch, und zwar meistens in ausführlichen Zitaten "unter dem Strich", die den Haupttext treffend unterstützen und illustrieren, ohne den Lesefluss zu behindern. Nicht explizit erwähnt, aber dennoch präsent ist darüber hinaus W.s Interesse am jüdisch-christlichen Dialog.

Einleitend charakterisiert W. seinen Ansatz als "historisch-phänomenologisch", was für ihn eine "vorschnelle ,Ordnung' der Begrifflichkeit Luthers" ausschließt (15). Die Studie widmet sich in ihrer Beschränkung auf die alttestamentlichen Predigten Luthers - die nach Beobachtung des Autors "sowohl in der Lutherforschung wie in der systematischen Theologie" bisher vernachlässigt wurden (33) - ausdrücklich nur einem "Teilaspekt der Gesamtheit der Gesetzesproblematik" (18). Das zweite Kapitel beschreibt die "Quellenforschung als Strukturprinzip der Untersuchung", wobei W. den besonderen Charakter der Predigtüberlieferung Luthers reflektiert (34-37) und wichtige Tradenten kurz vorstellt (37-42). Im dritten Kapitel legt W. seine "Untersuchung der Quellen in chronologischer Reihenfolge" vor. Dabei sind jeder Gruppe von Predigten nochmals Erörterungen zum historischen Kontext und zur Textüberlieferung vorangestellt.

Das vierte Kapitel stellt die in den Einzelinterpretationen gewonnenen Beobachtungen der "Aspekte des Gesetzesbegriffes in Luthers Predigt über das Alte Testament" unter der Voraussetzung dar, "daß Luthers Gesetzesverständnis zu verschiedenen Zeiten von unterschiedlichen Begriffen geprägt sein konnte" (131). In diesem Kapitel werden die an den rund 380 alttestamentlichen Predigten Luthers (33) gewonnenen Einsichten auch mit weiteren Texten Luthers verglichen (vgl. 133).

Neben dem "traditionellen" Gesetzesverständnis, das die Fluch- und Todesmacht des Gesetzes in den Vordergrund stellt, verweist W. auf zahlreiche Beispiele für "Luthers kreative Suche nach einem lebendigen, glaubensorientierten Verständnis des Gesetzes und dessen Funktion für Juden und Christen" (136). Er erkennt bei Luther die Erweiterung und Korrektur eines "methodistischen" Gesetzesbegriffs, "der das Gesetz einzig als Werkzeug auf dem Weg der Sündenerkenntnis zu beschreiben vermag" (139). Demgegenüber kann Luther die "Heiligung" als Aufgabe des Gesetzes ansehen (150) und ihm einen "Zeichencharakter" zuweisen (155 f.). Mit der Erfüllung des Gesetzes durch Christus beginnt die "Süße der neuen Gesetzeserfüllung" (180), wobei der Heilige Geist im Menschen die Bereitschaft zum Tun des Gesetzes bewirkt (181 f.). Vom ersten Gebot und der Dekalogauslegung Luthers her charakterisiert W. die "Verheißung als konstituierende Kategorie des Gesetzeswortes" (189-195). Und im Blick auf diese Aspekte des Gesetzes kennt Luther dann auch eine "dilectio legis" (200), die W.s Studie den Titel gegeben hat.

Das abschließende fünfte Kapitel präsentiert dann als Ergebnis der Studie Überlegungen zum Gesetz als "oszillierende[m] Konzept der Theologie Luthers". W. konzediert durchaus den "übermächtig auffälligen Aspekt der massiven Beschreibung der Sünd- und Fluchmacht des Gesetzes" bei Luther, stellt dem jedoch die anderslautenden Befunde zur Seite. In der Konsequenz warnt er vor "einer vorschnellen Systematisierung" und fragt, "ob sich Luthers Gesetzesbegriff von den Predigten her überhaupt in einem fest formulierten System fixieren lasse" (202). Er führt darum den Begriff der "Oszillation" ein, um damit "die Dynamik einander ergänzender und erläuternder und in sich von der Spannung des Gegensatzes geprägter Aspekte" in Luthers Gesetzesbegriff zu beschreiben (206). In diesem Versuch, "ein nur in seinen relativen ,Amplituden' zu beschreibendes ,Begriffsfeld' Gesetz mit einer eigenen, lebendigen Dynamik" terminologisch zu erfassen (207), sieht W. auch die Chance, Alternativen der bisherigen Forschung zum Gesetzesbegriff Luthers neu miteinander ins Gespräch zu bringen (209).

W.s Studie belegt wieder einmal eindrücklich, dass Luther kein "Systematiker" ist. Die Dynamik der Theologie Luthers lässt sich nicht in die Formen dogmatischer Sätze gießen, ohne dass sie diese Formen zugleich wieder sprengt. Zu Recht bemerkt W.: "Scheinbar gegensätzliche Beschreibungen schließen sich für Luther nicht aus" (205). Diese Studie wird nicht nur in künftigen Arbeiten über Luthers Gesetzesverständnis zu berücksichtigen sein, sondern W.s "historisch-phänomenologischer" Ansatz kann der Lutherforschung im engeren und der Theologiegeschichtsschreibung im weiteren Sinne auch in methodischer Hinsicht Anregungen geben.

Die eigentliche Monographie umfasst nur rund 2/3 des Umfangs des Bandes. Das erklärt sich daraus, dass W. neben der obligatorischen Bibliographie (220-240) acht verschiedene Register bietet. Besonders hervorzuheben ist das "Register zu den alttestamentlichen Predigttexten Luthers" (254-263), das in Verbindung mit den beiden Registern der von W. bearbeiteten WA-Stellen (292-327) ein instruktives Hilfsmittel für die weitere Beschäftigung mit Luthers Gesetzesverständnis darstellt.

Der positive Gesamteindruck der Studie wird allerdings durch Äußerlichkeiten getrübt, denn zur Typographie des Bandes sind einige Monita zu notieren: In den Fußnoten wechseln mehrfach Blocksatz und Flattersatz. Auch im Haupttext finden sich Einsprengsel in Flattersatz (17-31.117). "Hurenkinder" und "Schusterjungen" sind zahlreich vertreten. Sinnentstellende Zeilenumbrüche unterbrechen zuweilen den Lesefluss (47. 71). Hier wäre etwas mehr Sorgfalt angebracht gewesen.