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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

775 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kreuzer, Michael

Titel/Untertitel:

"Und das Wort ist Fleisch geworden". Zur Bedeutung des Menschseins Jesu bei Johannes Driedo und Martin Luther.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1998. 290 S. gr.8 = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 68. Lw. DM 118,-. ISBN 3-89710-048-7.

Rezensent:

Ulrike Link-Wieczorek

Johannes Driedo war ein Zeitgenosse Luthers, Theologieprofessor an der Universität Löwen und theologisch Erasmus von Rotterdam nahe stehend. Es handelt sich bei dieser Dissertation an der Katholischen Fakultät der Universität Augsburg um eine vergleichende Darstellung reformatorischer und reformtheologisch-katholischer Gnadenlehre - durchaus zu lesen im Zusammenhang der Diskussion um die kath.-luth. "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung", die ein Jahr nach Fertigstellung dieser Arbeit unterzeichnet wurde.

Wirklich neue Perspektiven zeigen sich hier nicht, aber dogmatisch interessant ist die Konzeption: Könnte man nicht, so die Ausgangsfrage des Autors, der konfessionell unterschiedlichen "Bewertung" menschlicher Wirksamkeit bezüglich des Heils auch entsprechend unterschiedliche christologische Konzeptionen beider Traditionen beigesellen? Man kann, so das Ergebnis, auf das der Autor zusteuert - in erfreulicher Klarheit, mit einem erfrischenden Blick für das Wesentliche von Argumentationsketten und u. a. in Bezugnahme auf jüngere katholische Arbeiten zu Luther (M. Lienhard, Y. Congar, D. Vorländer und Th. Beer). Driedo sucht nach einer christologisch verankerten Anthropologie, nach der die Eigenwirksamkeit des (gläubigen) Menschen eine Fortführung der relativ eigenständigen Wirksamkeit der menschlichen Natur Christi darstelle. Daher verwendet er für seine Konzeption der gottmenschlichen Einheit Elemente Ockhams und Thomas von Aquins, um die beiden Naturen dem Person-bildenden Logos so zuordnen zu können, dass die menschliche Natur wie ein relativ selbständiges Organ der göttlichen Person fungiert. Als solches hat sie Anteil an der Heilswirksamkeit Gottes durch Glaubensgehorsam, Werke der Nächstenliebe und Kampf gegen widergöttliche Mächte. Luther hingegen mag der menschlichen Natur keine Heilswirksamkeit zuschreiben - weder der der Gläubigen noch der Christi. Den Kampf gegen die widergöttlichen Mächte führt hier Gott allein.

Christologisch hat das seine Entsprechung in einer spezifischen Einheitskonzeption, in der sich die Person des Inkarnierten durch das Zusammenwirken der "forma servi" und der "forma dei" bildet und der forma servi ausschließlich der Habitus des Sünderseins zugeschrieben wird. Diese "Rollendifferenzierung" zieht sich dann, so K., bis in die theologische Anthropologie hinein durch. Luther wie Driedo entwickeln ihre soteriologischen Konzeptionen in Anlehnung an die Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury, deren Intention K. fein differenziert und doch knapp zu würdigen weiß. Während jedoch Driedo darauf hinauswill, dass Menschen durch Christus in der Wirksamkeit des Heiligen Geistes "genugtuungsfähig" werden, bleibt Luther auf christologischer, soteriologischer und anthropologischer Ebene dabei, dass heilswirksame "Genugtuung" Gott allein leiste und gute Werke allenfalls Zeichen des rechtfertigenden Glaubens seien. Ein Schlusskapitel über die unterschiedlichen mariologischen Positionen bündelt diesen Grundunterschied. K. weiß ihn mit interessanten Typisierungen hervorzuheben, über die freilich im Einzelnen ausführlicher zu diskutieren wäre.

Der Autor lässt offen, ob er die herausgearbeitete "Grunddifferenz" für kirchentrennend hält und verzichtet auf eine explizite Darstellung von ekklesiologischen Konsequenzen. Bei allem Verständnis für Luthers Intention hat doch Driedo seine volle Sympathie, weil er die Würde des Menschen als Teil der "guten Schöpfung" Gottes zum Lobe dieser hervorhebt. Trotz eines großen Lesegenusses verbleibt nun bei der Leserin eine grundsätzliche Reserve: K. verzichtet völlig auf eine sprachkritische Prüfung der Verwendung leitender Begriffe: Liegt nicht - vor allem bei Driedo, möglicherweise auch beim Autor selbst - eine univoke Verwendung des Personenbegriffes vor, in dem die 2."Person" der Trinität nahtlos als Person des Gottmenschen gedacht wird? Sind die herausgearbeiteten Unterschiede zu Luther sowohl im Personen- wie auch im Naturen-Begriff möglicherweise Zeichen einer entsprechenden Differenzierung? Wenn ja: Können wir die Konzeptionen dann überhaupt auf dieser Ebene so schön parallelisieren? Schließlich: Hat Driedo den Anteil der menschlichen Natur Christi an der Genugtuungsleistung wirklich so überzeugend erläutert, wenn sie doch ihre eigentliche "Heilswirksamkeit" daher gewinnt, "gleichsam schon vergöttlicht und hypostatisch vereint mit dem Sohn des heiligen Gottes" zu wirken (256; vgl. auch 224)? Diese Arbeit hat m. E. einen doppelten ökumenischen Wert: Sie trägt zweifellos bei zur ökumenischen Grundbildung, aber sie kann auch heilsame Zweifel nähren, ob sich die eigentlichen Differenzen zwischen den Konfessionen überhaupt in dieser Weise festmachen lassen.