Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

758 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Matjaz, Maksimilijan

Titel/Untertitel:

Furcht und Gotteserfahrung. Die Bedeutung des Furchtmotivs für die Christologie des Markus.

Verlag:

Würzburg: Echter 1999. 365 S. gr.8 = Forschung zur Bibel, 91. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-02119-7.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Bei diesem Werk handelt es sich um eine Dissertation, die 1998 "von der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom" angenommen wurde. M. untersucht nach einer Einleitung, in der methodische Fragen angesprochen und bisherige Untersuchungen zum Thema knapp vorgestellt werden (12-21), das Thema "Furcht" im Markusevangelium mit Blick auf die redaktionelle Intention.

Demgemäß hat Markus den Begriff "Furcht" in seinem Evangelium so angeordnet, dass er immer besser die Identität Jesu als Sohn Gottes erkennen lässt. "Furcht" ist im Markusevangelium nicht mit "Angst" usw. zu verbinden, sondern es handelt sich um einen positiven religiösen Begriff: Furcht entsteht dann, wenn Menschen die göttliche Welt in die Welt des Menschen einbrechen sehen. Und so sehen die Jünger den Einbruch der Welt Gottes in Jesus in Mk 4,35-41(22-90); Mk 5,1-20 (91-114); 5,21-43 (115-139); 6,45-52 (140-198); 9,2-8 (199-262); 9,32. 10,32 (263-288); 16,8 (289-312). Wie aus diesen Stellenangaben ersichtlich, werden andere Begriffe, wie z. B. das "Außer-Sich-Sein" im Kontext von Wunderhandlungen (2,12) nicht behandelt: "Wenn man nämlich die verschiedenen Ausdrücke des Staunens und des Fürchtens nicht differenziert behandelt, dann verkennt man die manchmal entscheidenden Nuancierungen" (19). Als Ergebnis wird in der Zusammenfassung (313-321) festgehalten: Das Furchtmotiv "ist eingespannt in die Gesamtkomposition des MkEv. Markus baut diese so auf, daß die Offenbarung und das Erkennen Jesu deutlich als ein schrittweise sich vollziehender Prozeß herausgestellt wird." (315) Während 4,35-41 und 6,45-52 Jesu Verhältnis zu Jahwe angesprochen wird und sich in 5,15.33.36 "die Kraft seiner Person und das Geheimnis seiner Sendung ... im Retten und Spenden des Lebens erweisen" (316), bezieht sich die Reaktion der Jünger in 9,6 "auf das ganze Geheimnis Jesu" (317). In den Leidensankündigungen bekommt Furcht eine "entscheidend neue Füllung: sie wird nicht mehr nur durch das vollmächtige Handeln und Erscheinen Jesu, sondern auch durch seine Entschlossenheit zur totalen Hingabe bewirkt." (317; kursiv M.) An 16,8 wird gesehen, dass die Furcht "die Frauen sich in einem ersten Schritt zwar auf sich selbst zurückziehen [lässt], jedoch wird ihnen dadurch auch Raum für eine intensive Betrachtung des Geheimnisses Jesu ermöglicht." (319) Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einem Literaturverzeichnis, einem Autoren- und Stellenregister und einem Register griechischer Wörter (322-365).

Die Stärke des Buches besteht in seiner soliden Detailarbeit (z.B. im Themenbereich "Glaube und Angst": 76-86), im sorgfältigen Aufbau der jeweiligen Kapitel, der Kontext, synoptische Parallelen und den Aufbau der Perikope berücksichtigt, und darin, dass die christologischen Aussagen des gesamten Markusevangeliums nicht aus dem Blick geraten. Es wird viel alttestamentliches Material verarbeitet, das den jeweiligen Komplex einzuordnen hilft. Dennoch hat die Untersuchung den Rez. in grundlegenden Darlegungen nicht überzeugt. Dazu einige Anmerkungen:

Die Untersuchung will mit Hilfe des Furchtmotivs zeigen, dass die Erkenntnis der Identität Jesu durch die Jünger in der Schilderung des Markus eine wachsende ist (13, 286, pass.). Dagegen spricht jedoch, dass nur wenige Stellen, in denen von "Furcht" und "sich fürchten" die Rede ist, wirklich Jünger im engeren Sinn im Blick haben (4,41; 6,50; 9,32; 10,32), andere treffen auf Jünger im weiteren Sinn zu (4,36 [s. 51 f.]; 16,8), auf Außenstehende (5,15.33.36), auf Gegner (6,20; 11,18.32; 12,12) oder nur auf einen begrenzten Teil der Jünger (9,6). M. erkennt die vielfältige Verwendung des Furchtmotivs (314), drängt aber die Auslegung in Richtung seiner These (315).

Der Begriff "Furcht" ist nicht immer mit Blick auf "Furcht angesichts des göttlichen Eingreifens" zu verstehen, sondern auch als Angst angesichts empfundener Bedrohung. So deutlich in den Stellen, in denen von der Furcht der Gegner gesprochen wird. M. geht in den jeweiligen Abschnitten auf diese Fragestellung ein (56.57 ff.89.113.136), doch werden die Aussagen, die Angst beinhalten, weitgehend von theologischen Interpretationen nicht überzeugend überlagert (vgl. 108). Trotz der Interpretationen von M. scheint wahrscheinlicher Angst im genannten Sinn im Hintergrund der Perikopen von der Auferweckung der Tochter des Jairus und der blutenden Frau (Mk 5) oder im Kontext der Leidensankündigungen zu stehen. M. schreibt zum Zuspruch Jesu an Jairus: "die Perspektive der Erzählung hat nicht die Reaktion des Jairus im Blick, um seine Erfahrung des Göttlichen zu demonstrieren, sondern das Wort Jesu, um etwas über das Geheimnis seiner Person und seiner Vollmacht auszusagen." (119) Die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, geht jedoch der "Christophanie" voraus, somit scheint die Aufforderung eher den Aspekt der Angst im landläufigen Sinn zu beinhalten: Hab keine Angst um deine Tochter! Als Folge der Machttat Jesu wird davon gesprochen, dass die Zeugen "außer sich sind", das heißt, dass die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, nicht ausdrücklich mit dem "Furchtmotiv" angesichts der "Christophanie" verknüpft wird, sondern eben das "Außer-sich-sein". In der Verklärungsgeschichte geht die Aussage der Furcht der Jünger der Gottesrede voraus; die durch die seltsame Erscheinung von Elia und Mose hervorgerufene Furcht wird durch die Theophanie gelöst und folgt ihr nicht (9,2 ff.).

Von M. wird diese Reihenfolge so interpretiert, dass für Markus "die Furcht eigentlich die menschliche Reaktion [ist], die am tiefsten zur Erkenntnis des Geheimnisses Jesu zu führen vermag." (261, kursiv M.) Dass der Hinweis auf die Furcht der Gerasener (5,15) auch durch die christologische Intention des Textes bedingt ist, scheint mir fraglich zu sein, da sie der christologischen Einordnung (die hier nicht Jünger sondern eher Rezipienten im Blick hat) vorangeht. Dass Markus beim Rezipienten eine fortschreitende Erkenntnis bewirken möchte (vgl. 20), scheint unwahrscheinlich zu sein, da dieser in 1,11 und 3,6 im Grunde schon alles Wesentliche mitgeteilt bekommt. Darüber hinaus muss die Gattungsfrage gründlicher berücksichtigt werden: Es ist nicht erkennbar, dass ein Unterschied zwischen den Wundern besteht, die von "Außer-Sich-Sein" bzw. von "Furcht" angesichts der Taten Jesu sprechen. Auf Grund der verschiedenartigsten Texte, in denen von Furcht gesprochen wird, ist mir keine Tendenz des Evangelisten erkennbar, eine fortschreitende Erkenntnis der Identität Jesu mit Hilfe dieses Begriffs darzustellen. Zum anderen wird in der Arbeit selbst immer wieder deutlich, dass "Furcht" unterschiedlich verstanden wird: Einmal ist es die Reaktion auf den Einbruch des Göttlichen in die Menschenwelt, dann führt Furcht zur Erkenntnis des Göttlichen usw. Diese Differenzierungen zeigen, dass M. "Furcht" in seinen verschiedenen Nuancierungen herausarbeitet, doch sein Versuch, diese Ergebnisse seiner These zuzuordnen, erscheint nicht selten gewaltsam.

Trotz der Kritik durchdringt M. Zusammenhänge im Markusevangelium mit einer erstaunlichen Tiefe. Und die Verbindung des Furchtmotivs mit den Jüngern und die positive Sicht des Motivs in Bezug auf die Gottes- bzw. Christuserkenntnis vertieft zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit. Auch wenn der Leser die Schlussfolgerungen nicht immer nachzuvollziehen vermag, kann er das Buch auf Grund seines Beitrages zur Christologie bereichert aus der Hand legen.