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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

756–758

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ebner, Martin

Titel/Untertitel:

Jesus - ein Weisheitslehrer? Synoptische Weisheitslogien im Traditionsprozeß.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 1998. XII, 483 S. gr.8 = Herders biblische Studien, 15. Lw. DM 108,-. ISBN 3-451-26546-X.

Rezensent:

Hermann von Lips

Die vorliegende Untersuchung ist im Sommersemester 1997 als Habilitationsschrift von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg angenommen worden. Im Blick auf die seit Jahren diskutierte Frage nach der Bedeutung der Weisheit in der Verkündigung Jesu stellt sich der Vf. die Aufgabe, einzelne Sprichwörter aus der Jesusüberlieferung auf ihre ursprüngliche Intention und ihren Kontext in der Überlieferung hin genauer zu untersuchen. Der Vf. nennt es als "Ziel dieser Arbeit", "eine Feineinstellung für die Weisheit Jesu zu erreichen" (53).

Teil A der Arbeit beinhaltet "Ausgangsbasis und Fragestellungen" (1-53). Hier wird zunächst unter dem Motto "Apokalyptik contra Weisheit?" anhand exemplarischer Positionen ein Forschungsüberblick zur Einordnung der Weisheit in die Verkündigung Jesu gegeben. Die zuletzt genannten Positionen bieten dann die Anknüpfung für die weitere Untersuchung: Zuordnung von Weisheit und Tora zur Gottesherrschaft (J. Maier), Verständnis der Gottesherrschaft von der weisheitlichen Verkündigung Jesu her (H. Weder). Unter traditionsgeschichtlicher Perspektive wird zur Einordnung der Weisheit Jesu gefragt, ob von einer "Einzigartigkeit der Weisheit Jesu" gesprochen werden kann. Hier vertritt der Vf. dann ein modifiziertes "Unähnlichkeitskriterium" und betont das "Kriterium der vielfachen Bezeugung" (48-51). Letzterer Aspekt ist für die Untersuchung wichtig, weil der Vf. synoptische Dubletten als methodischen Ausgangspunkt seiner Untersuchung nimmt.

Der Hauptteil (B) ist den "Textuntersuchungen" gewidmet (54-372), wobei teils Dubletten, teils Apophthegmen bei Mk, teils Spruchgruppen in Q untersucht werden. Kapitel 1 (54-128) widmet sich "weisheitlichen Clusters bei Mk", nämlich Mk 4, 21-25 und 8,34-38 sowie den jeweiligen Q-Dubletten. Die einzelnen Logien werden, ausgehend von der Mk-Komposition, je für sich untersucht, bis zur Zuspitzung auf die Rückfrage nach Jesus und, wenn möglich, die Situierung der einzelnen Sprichwörter im Kontext des Wirkens Jesu. Kapitel 2 (129-248) stellt aus dem Mk-Evangelium "Weisheitslogien in Apophthegmen" zusammen und analysiert sie im Rahmen ihres Kontextes, wiederum mit der Rückfrage nach der Verortung in der Verkündigung Jesu: der Arzt (Mk 2,17); das Sabbatlogion (2,27); die Logien in der Fastenfrage (2,18-22); "was in den Menschen hineinkommt" (7,15). Kapitel 3 (249-345) untersucht "Weisheitliche Doppellogien in Q-Spruchgruppen": Raben und Lilien (Q 12,24.27 f.); Weintrauben und Feigen (6,44); Spatzen und Haare (12,6 f.); Brot und Fisch (11,11 f.); Blinde und Schüler (6,39 f.). Einem "Cluster von Weisheitslogien in einem Apophthegma (Logien in Dublette)", nämlich den Logien im Beelzebubstreitgespräch (Mk 3; Q 11) wendet sich das den Untersuchungsteil abschließende Kapitel 4 zu (346-372).

Die detaillierten Einzeluntersuchungen setzen jeweils die Dekomposition der vorhandenen Texteinheiten voraus. Die einzelnen Sprüche werden gattungsmäßig eingeordnet. Jeweils werden Motivparallelen in der jüdischen und hellenistischen Umwelt gesucht. Dabei liegt dem Vf. daran, die mögliche Verortung im ländlichen Alltagsmilieu von Galiläa aufzuzeigen. Gefragt wird nach der Funktion der Sprichwörter im Mund Jesu, wobei auf Ergebnisse der Parömiologie (unter Einbeziehung der alttestamentlichen Spruchweisheit) zurückgegriffen wird. Mögliche Situationen werden eruiert und nach den Adressaten gefragt, denen gegenüber die Sprüche "argumentative Knotenpunkte" im Gespräch sein konnten (395): Einerseits die Abwehr von Vorwürfen gegen Jesus, andererseits die Argumentation im Kreis der Wanderradikalen kommen hier in Frage (390 f.).

"Teil C: Auswertung (Ergebnisse und Perspektiven)" zieht in verschiedener Hinsicht das Fazit der umfangreichen Untersuchung (373-430). Zunächst (1./373-385) wird unter dem Gesichtspunkt der Tradierung festgestellt, dass "Spruchpaare als Urzellen der ältesten Kompositionseinheiten" aufgezeigt werden konnten. Dabei wird der bemerkenswerte formgeschichtliche Unterschied sichtbar, dass in der Q-Tradition die Logien in Instruktionsreden aufgenommen wurden, dagegen in Mk eine Tendenz zur Apophthegmatisierung zu beobachten ist. Die gattungskritische Einordnung der weisheitlichen Jesuslogien (2./ 386-392) bringt u. a. die wichtige Konsequenz, dass das Sabbatlogion und das Verunreinigungslogion nicht als Halacha einzustufen sind, daher keine grundsätzlichen Stellungnahmen zum Gesetz enthalten. Intensiv wird abschließend "die ,Verortung' der Jesuslogien" (3./393-425) geprüft, die unter drei Gesichtspunkten geschieht: Zuerst erfolgt die Zuordnung zur Alltagsweisheit (3.1) bzw. Volksweisheit unter Abgrenzung von den Traditionslinien der Tora-Weisheit und der apokalyptischen Weisheit. Dann wird (wie mehrfach im Laufe der Arbeit) die aktuelle These der amerikanischen Forschung, Jesus sei als Kyniker zu verstehen, diskutiert und abschlägig entschieden, da bei Jesus - trotz subversiver Elemente - keine prinzipielle Kulturkritik und Gesetzeskritik vorliege (3.2). Vor allem zu letzterem Punkt stellt der Vf. eine gesetzeskritische Haltung Jesu generell in Frage. Zur Relation zwischen Weisheit und Gottesherrschaft (3.3) verneint er eine apokalyptische Auffassung Jesu von der nahen Gottesherrschaft im Sinne einer Katastrophentheorie. Kennzeichnend für Jesus sei, dass er, geprägt von der apokalyptischen Grundentscheidung der himmlischen Entmachtung des Bösen, die Gottesherrschaft in weisheitlichen Kategorien unter den normalen Bedingungen des alltäglichen Lebens "im Fragment" gegenwärtig sieht. Ein letzter Abschnitt (4./426-430) stellt die "situative Erfahrungsweisheit des Wanderpredigers" (= Jesus) ihrer "Transformierung" durch die urchristliche Tradition gegenüber.

Der besondere Wert dieser Untersuchung liegt darin, dass hier erstmals der Versuch gemacht wird, in exegetischer Feinarbeit die weisheitlichen Logien/Sprichwörter Jesu nach Gattung und Intention einzeln zu analysieren und zugleich einen möglichen Situationsbezug dieser Sprichwörter innerhalb des Wirkens Jesu aufzuzeigen - wie dies für die Gleichnisse Jesu (z. B. J. Jeremias) oder die weisheitlichen Mahnsprüche (D. Zeller) längst unternommen wurde. Damit ist ein wirkliches Desiderat der Forschung erfolgreich angegangen worden.

So sehr die Einzelanalysen zu loben sind, bleiben doch mehrfach Anfragen an das Gesamtkonzept für das Wirken Jesu, zumal die untersuchten Texte ja nur ein Ausschnitt der Jesusüberlieferung sind. Jesus wird - völlig einleuchtend - der Volksweisheit zugeordnet anstatt der Toraweisheit (oder der apokalyptischen Weisheit). Aber dann wird doch eine enge Verbindung von Weisheit und Tora vorausgesetzt, wenn für eine weisheitlich verstandene Gottesherrschaft die Tora als "konstitutives Element" angesehen wird (425). Zudem bleibt sehr missverständlich, wenn die Gottesherrschaft als "vom Tun des Willens Gottes her definiert" (423) verstanden wird (welche Relevanz bekommt da die menschliche Aktivität zur Realisierung der Gottesherrschaft?). Zu fragen ist nach dem für eine weisheitlich verstandene Gottesherrschaft vorausgesetzten Gottesbegriff, wenn der Vf. gleichzeitig einen schöpfungstheologischen Ansatz ablehnt (z. B. gegen den Rez., 12 f.). Die Apokalyptik (oder Eschatologie?) bleibt dem Vf. zufolge für Jesus eine biographische Episode, indem er sich von Johannes dem Täufer wieder löst und in seine ländliche galiläische Heimat zurückkehrt und dort als weisheitlicher Wanderprediger ("Wanderradikalismus") die präsente Gottesherrschaft verkündigt (421 f.). Was aber veranlasst diesen Wanderprediger, nach Jerusalem zu gehen und sich durch ein Unheilswort gegen den Tempel sein Todesurteil zu holen (was angesichts des Forschungsstandes jedoch kein "gesichertes Basiswissen" ist, so aber 421)? Gerade, weil die Untersuchung im Detail so lohnend und wertvoll ist, wünscht man sich die Konsequenzen der Ergebnisse noch weiter zu Ende gedacht. Eine wichtige Bereicherung der Forschung stellt die Arbeit aber unstrittig dar.