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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

752–754

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Sauer, Georg

Titel/Untertitel:

Jesus Sirach/Ben Sira. Übers. u. erkl.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 351 S. gr.8 = Das Alte Testament Deutsch Apokryphen, 1. Kart. DM 74,-. ISBN 3-525-51401-8.

Rezensent:

Johannes Marböck

Die letzten sehr knappen Auslegungen des Buches Jesus Sirach in deutscher Sprache stammen bereits aus den Jahren 1959 (Vinzenz Hamp) und 1972 (Helmut Lamparter). Sowohl die Herausgeber der Apokryphenreihe in ATD als auch der Autor kommen darum mit der Publikation dieses Sirachkommentares einem Desiderat entgegen; handelt es sich doch um eine Weisheitsschrift, die nicht nur in der gegenwärtigen Forschung wieder großes Interesse findet, sondern sich bereits unter den Predigern der Reformation in Wittenberg größter Beliebtheit erfreut hat (vgl. Ernst Koch, ThLZ 115, 1990, 705-720).

Georg Sauer, Emeritus für Altes Testament der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien, ist angesichts der Textproblematik dieser apokryphen (deuterokanonischen) Schrift durch seine bereits 1981 vorgelegte Übersetzung des Sirachbuches (JSHRZ III/5) dazu bestens qualifiziert.

In der Einleitung (17-35) informiert er u. a. über die Textformen des Buches mit einer dankenswerten detaillierten Auflistung des Textumfanges der einzelnen hebräischen Handschriften bzw. Fragmente sowie der entsprechenden Editionen (24-26). In Person und Werk des Siraziden sieht er einen Vertreter der jüdischen Tradition "in einem großen Gegenzug wider die überhandnehmende griechisch-hellenistische Bildung" (30). Im Buch als Urkunde dieser Auseinandersetzung noch vor der makkabäischen Erhebung fallen auf Grund seiner Verwurzelung im Traditionsstrom "die Einflüsse hellenistischen Denkens weniger ins Gewicht" (30). Im Zentrum (Kap. 24) steht "die als Gnadengabe und Geschenk empfundene Offenbarung Gottes an sein Volk" (31). Die Weisheit ist nur in Israel, in Jerusalem und im Tempel zu finden "und strömt nur von hier wieder hinaus in die Völkerwelt, auch in die hellenistische". Ben Sira vollzieht eine "bisher nie zu Gehör gebrachte Ineinssetzung von Weisheit, Tempel und schließlich auch Tempelkult und Priestertum zadokidischer Herkunft" (31). Seine Gegenposition zu den Chasidim sowie die Nichterwähnung religiöser bzw. kultischer Orte neben dem Tempel erklärt nach S. auch die Akzeptanz Ben Siras in Qumran (32). Israels Weisheit führt auch zur Schöpfung und zur Geschichte des Volkes (vgl. 42,15-43,33 und das folgende Väterlob).

Im Bewusstsein der Problematik des nur griechisch vollständig, hebräisch nur zu 68 % in verschiedenen Handschriften sehr verschiedener Epochen überlieferten Textes legt der Vf. (33-35) seine Position und Praxis dar. Die der Zählung von Vattioni folgende Übersetzung bringt HM (Massadatext) und HQ (Qumran), soweit erhalten, das größte Vertrauen entgegen; grundsätzlich wird jedoch nicht eine hebräische Handschrift bevorzugt, sondern "versucht, dem besseren Text zu folgen" (34); dabei spielen natürlich die griechischen Handschriften sowie die Heranziehung des syrischen Textes eine große Rolle. Die Übersetzung des Kommentars enthält gegenüber JSHRZ III/5 z. T. Präzisierungen oder Ergänzungen.

Im Aufbau des Buches (35) stehen Aussagen über die Weisheit am Anfang (Sir 1), in der Mitte (Kap. 24) und am Ende (Kap. 51). Sir 2-23 behandeln großenteils das Leben des Einzelnen in Familie und Ehe betreffende Lehren, Sir 25-50 das Verhalten im öffentlichen Leben (Gemeinde; religiös-kultischer Bereich mit dem Tun des Hohenpriesters am Abschluss Kap. 50). Auf literarisches Werden verweisen sowohl die Textgeschichte (verschiedene hebräische Manuskripte einer älteren bzw. jüngeren Textform sowie zwei griechische Textformen G I und G II) als auch Doppelüberlieferungen.

Die Kommentierung bietet jeweils die Übersetzung (mit Anmerkungen zu Varianten) sowie die Auslegung der Perikopen als gedrängte Darlegung der Gedanken des Weisen im geistesgeschichtlichen Kontext seiner Zeit mit ihrer theologischen, religiösen und pädagogischen Bedeutung und Zielsetzung.

Wenn im Folgenden einige Anmerkungen bzw. Fragen zur Auslegung formuliert werden, dann nicht aus Beckmesserei, sondern - im Wissen um den Zwang zur Kürze, die keine Detaildiskussionen erlaubt, vor allem aber um die dem Autor schmerzlich gegenwärtige Problematik der Textentscheidung (vgl. 34!) - eher als Anregung zu weiterer Arbeit.

So scheint das große zweiteilige Aufbauprinzip (34; vgl. Inhaltsverzeichnis, 5) für Teil I bereits durch Ausführungen zum Thema Machtausübung in Kap. 10-11, zum Thema Umgang mit Reichen Kap. 13-14 oder durch die Reflexionen über Freiheit, Sünde, Gericht und Barmherzigkeit des Schöpfers in 15, 20-18,14 aufgebrochen, umgekehrt Teil II durch Themen von Ehe, Haus, Familie, Freundschaft (vgl. u. a. Kap. 25-26 sowie 30,1-13; 42,9-14; 33,25-32; 36,21-26; 27,16-21; 36,1-6). Für das Aufzeigen der oft betonten sorgfältigen literarischen Strukturierung und Gestaltung von Texten und Textkomplexen bzw. ihrer Beziehung zueinander (vgl. z. B. Kap. 23,16-28 und 24,9. 12.16.20.23: Ehebrecherin und Frau Weisheit; die Bundesschlüsse in Kap. 44-45 oder die Funktion der Gottesfurcht im Aufbau einzelner Perikopen) ist leider ebenfalls kaum Raum geblieben.

Im Kontext der Diskussion um das Verhältnis Ben Siras zu griechischer Literatur, Bildung und Philosophie, für die S. auf die von ihm betreute Studie von V. Kieweler verweisen kann, scheint m. E. über die kurze Bemerkung zu Sir 42,23-25.27-33 hinaus (293-300) doch die bereits mehrfach vertretene Option für eine positiv-kritische Auseinandersetzung des Siraziden mit der stoischen Lehre von Pronoia und Heimarmene für eine Rehe von sogenannten ,Theodizeeperikopen' (vgl. Sir 15,11-18, 14; 33,7-15; 39,12-35; 42,12-43,33) sehr plausibel, wie die neueste Arbeit von Ursel Wicke-Reuter (BZAW 298, 2000) ausführlich bestätigt.

Im Kontext der gegenwärtigen feministischen Diskussionen zur Gestalt der Frau Weisheit wäre eine Stellungnahme des Autors zu den Weisheitsperikopen Sirachs, insbesondere zu Kap. 24 interessant gewesen, u.a. angesichts der kritischen Sicht von Silvia Schroer bzw. der weiterführenden, ausgewogenen Perspektiven von Angelika Strotmann. Die androzentrisch formulierten Aussagen über Frauen Sir 25,13-26,17; 42,9-14 werden eher ,nachsichtig' beurteilt (vgl. 191.290); eine kurze Reflexion über die soziokulturellen Bedingungen dieser Texte begegnet 19 f. zu Sir 9,1-9.

In der schwierigen Auswahl aus der ständig wechselnden Sirachliteratur (7,15) wären u. a. vielleicht der bedeutsame Kommentar von Ceslas Spicq (La Sainte Bible, Paris 1951), die große Monographie zu den Theodizeeperikopen von Gian L. Prato (Analecta Biblica 65, Rom 1975) sowie eine Reihe gewichtiger Beiträge von Maurice Gilbert (vgl. u. a. im DBS 12/ 1996, 1389-1437) nennenswert gewesen.

Abschließend: Gerade ein katholischer Rez. kann die entsagungsvolle Erstellung einer gediegenen Übersetzung des Sirachbuches und die gut lesbare ausgewogene Präsentation der Gedankenwelt des Weisen nur dankbar begrüßen. Der Kommentar stellt zweifellos eine gediegene Basis und Impuls für weitere Studien zu diesem Zeugen jüdischer Tradition an einer Wende dar.