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Ausgabe:

Juli/August/2001

Spalte:

735 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Egger-Wenzel, Renate, u. Ingrid Krammer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der Einzelne und seine Gemeinschaft bei Ben Sira.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. VIII, 321 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 270. Lw. DM 188,-. ISBN 3-11-016371-3.

Rezensent:

Georg Sauer

In der Reihe der reichen Literatur zu Ben Sira stellt der vorliegende Band eine Besonderheit dar. Er behandelt nicht aus der Feder eines Autors ein einzelnes klar begrenztes Thema, sondern vereinigt die Arbeiten von 15 Autoren, die sich mit den verschiedensten Aspekten des im Titel genannten Themas beschäftigen. Das ganze Unternehmen ist nach dem Willen der Herausgeberinnen als wissenschaftliche Gabe zu verstehen, die als Dank deren Lehrer, Prof. F. V. Reiterer, zum 50. Geburtstag zugedacht ist (Vorwort).

Es fällt schwer, für die Rezension die richtige Entscheidung zu treffen, in welcher Reihenfolge die Einzelbeiträge vorgeführt werden könnten. Die Herausgeberinnen begründen die von ihnen gewählte Vorgangsweise nicht. Sie ist nicht sachlich begründbar, auch nicht alphabetisch vollzogen. Im Unterschied zu der Reihung der Beiträge im vorliegenden Sammelband seien bei der nun folgenden Besprechung zuerst die Arbeiten vorgeführt, die sich in systematischer Weise mit einem Thema beschäftigen. Danach folgen die Untersuchungen zu einzelnen Ben Sira-Texten in der Reihenfolge der Kapitelzählung.

Theologische Fragen behandeln drei Beiträge:

O. Kaiser, Der Mensch als Geschöpf Gottes. Aspekte der Anthropologie Ben Siras (1-22), geht von einer Darstellung der alttestamentlichen Anthropologie im Ganzen aus (1-5), um danach die Besonderheiten bei Ben Sira zu beschreiben. Dabei erklärt er zuerst die psychophysischen Grundbegriffe (Seele, Geist, Herz, Fleisch) und geht dann auf Einzelthemen ein (vorgeburtliche Erwählung, Kürze des Lebens, Status als Sünder, Tod). Ein eindrückliches Bild der Besonderheiten im Denken Ben Siras kann dadurch zustande kommen. - K. H. Walkenhorst, Weise werden und altern bei Ben Sira (217-237), stellt folgende Erkenntnis Ben Siras in den Mittelpunkt seiner Ausführungen: "Nicht das Altern an sich ist das höchste Gut, sondern die Weisheit als Gottesfurcht" (220). Dieser Satz wird durch Hinweis auf die über das ganze Buch verstreuten Aussagen umfassend begründet. - R. E. Murphy, Sin, Repentance, and Forgiveness in Sirach (261-270), betont zu Recht die Eindeutigkeit der Auffassung von der Sündhaftigkeit des Menschen und dessen Verantwortlichkeit am Anfang seiner Ausführungen. Buße und Vergebung überwinden aber diesen Status, wobei das Almosengeben im Besonderen die Sünden tilgt (Sir 3,30).

Auf den Bereich der Alltagserfahrungen des Einzelnen in der Gemeinschaft beziehen sich sechs Untersuchungen.

J. Corley, Friendship According to Ben Sira (65-72), weist auf den hellenistischen Einfluss hin und behandelt die Mahnung zur Vorsicht bei der Wahl des Freundes, ferner das Thema der Treue dem Freund gegenüber; der Freund soll wie der angeredete Schüler auch in der Furcht Gottes stehen, wofür die Haltung Abrahams besonders geltend gemacht wird. - L. Schrader, Beruf, Arbeit und Muße als Sinnerfüllung bei Jesus Sirach (117-149), untersucht exegetisch drei Abschnitte, die drei Berufsgruppen behandeln: 38,24-39,11, (Handwerker im Gegenüber zum Schriftgelehrten); 26,29-27,3(4-7), (Kaufmann); 38,1-15, (Arzt). Dabei kommt dem schriftgelehrten Weisen und dem Arzt die höchste Dignität zu. - V. Morla Asensio, Poverty and Wealth: Ben Sira's View of Possessions (151-178), untersucht die hebräischen und griechischen Termini für arm und reich und kommt dann auf soziale Aspekte zu sprechen. Im Reichtum lauern Gefahren. Sie hindern den Reichen, weise zu sein. Wohl aber kann ein Armer als weise gelten. - M. Gilbert, Pret, aumone et caution (179-189), untersucht Sir 29,1-20 im Hinblick auf Darlehen, Almosen und Bürgschaft und stellt die vorsichtige, weil weisheitlich bestimmte Sicht und Empfehlung Ben Siras fest. - H. V. Kieweler, Benehmen bei Tisch (191-215), weist mit Nachdruck auf die hellenistische Welt als die Vermittlerin der genannten Thematik hin und untersucht vor allem den Text Sir 31 (34),11-35, auch nach dem griechischen Wortlaut. Er kommt dabei zu interessanten Beobachtungen hinsichtlich einzelner Tischsitten. - O. Wahl, Lebensfreude und Genuß bei Jesus Sirach (271-284), behandelt sehr umfassend das genannte Thema. Er stellt an die Spitze der Haltungen, die Lebensfreude vermitteln können, die Gottesfurcht, die Weisheit, die Mitmenschen, dann aber auch den Wein und andere irdische Güter. Am Ende stehe der Dank.

Der Einzelne in seinem Verhalten zur Obrigkeit wird in zwei Beiträgen vorgeführt:

N. Calduch-Benages, Fear for the Powerful or Respect for Authority? (87-102), vermutet, dass die in Kapitel 2 angesprochenen Anfechtungen auf äußere politische Einflüsse zurückzuführen seien. Daher wird die Stellung Ben Siras zur Obrigkeit und zu Autoritäten an Hand der Ausagen des ganzen Buches untersucht. Neben negativen Erfahrungen, die den Weisen davon abhalten, allzu engen Kontakt mit Regierenden zu haben, stehen durchaus auch Aussagen von Begegnungen, die die positive Bedeutung der Autoritäten unterstreichen. - A. Minissale, Ben Siras Selbstverständnis in Bezug auf Autoritäten der Gesellschaft (103-116), unterscheidet sich dadurch von der vorher genannten Arbeit, dass er in nicht so sehr praxisbezogener Weise, sondern viel mehr theoretisierend ein Bild des gelehrten Weisen zeichnet und dem gegenüber auf die Autoritäten König, Herrscher, Richter und andere institutionelle Organe eingeht. Das Gleichgewicht in der Mitte zu halten sei geboten.

Schließlich gehen vier Arbeiten exegetisch auf einzelne Abschnitte im Buche Ben Sira ein.

In der Reihenfolge der Kapitel wäre als erster Beitrag der von P. C. Beentjes, "Sei den Waisen wie ein Vater und den Witwen wie ein Gatte". Ein kleiner Kommentar zu Ben Sira 4,1-10, zu nennen (51-64). Nach Bemerkungen zum Text weist B. im exegetischen Teil auf die Tatsache hin, dass es in altorientalischen Quellen stets Aufgabe des Königs ist, den Armen, den Witwen und Waisen zu helfen, z. B. CH 47 und 59-82 u. a. Im Buche Ben Sira ist diese Forderung demokratisiert worden. - R. Egger-Wenzel, "Denn harte Knechtschaft und Schande ist es, wenn eine Frau ihren Mann ernährt" (Sir 25,22) (23-49), behandelt zu Beginn die gesamte Perikope Sir 25,13-26 und kommt auf dem Weg über die Einzelanalyse zu dem Schluss, dass es sich um eine mehrschichtige Aussage handelt. Es geht sowohl um eine schlechte Ehefrau, der man sich am besten entziehen solle, als auch um eine in der hellenistischen Kultur allzu selbständig gewordene Frau, die die alten Traditionen aufgibt zu Gunsten einer freieren Lebensführung. - I. Krammer, "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein". Ben Sira als Tradent eines bekannten Sprichwortes (239-260), beginnt mit einer Exegese der Verse, in denen dieser Gedanke vorkommt. Es sind dies: Sir 27,25-29; Prov 26,20-28; Qoh 10,8 f.; Ps 7,16; 9,16; 35,7f.; 57,7. Der Gedanke begegnet also nur in weisheitlichen Texten und in der Psalmensprache. Die Aussage ist aber in beiden Gruppen verschieden gewichtet. In den Psalmen wird die Gefahr angesprochen, aus der man durch Gottes Hilfe herauszukommen hofft; in der Weisheit geht es um einen Erfahrungssatz, vornehmlich im Umgang mit dem Wort. - G. Sauer, Der Ratgeber (Sir 37,7-15). Textgeschichte als Auslegungsgeschichte und Bedeutungswandel (73-85), untersucht die Perikope nach HB; HBmarg; HD; G und Lat. Die Beobachtungen am Text lassen die noch ungewohnte Rolle des Ratgebers hervortreten, dessen Tun in den Aussagen der Überlieferungen mehr im negativen Lichte gesehen wird als in positiver Wertung. Die negativen Folgen eines schlechten Rates sind sehr bald erfahrbar und zu erleiden. Ein guter Rat aber kann nicht im Voraus als solcher erkannt werden.

Der Sammelband breitet eine Fülle von Gedanken zu dem einen Thema aus. Man darf sagen, dass dem gewählten Schwerpunkt in reicher Gestalt Rechnung getragen wurde. Die Fülle des sozialen Umfeldes Ben Siras wird deutlich. Insofern ist das Buch auch als Beitrag zur Sozialgeschichte des 2. Jh.s v. Chr. zu verstehen.

Wie schon am Ende eines jeden Aufsatzes ein spezielles Literaturverzeichnis angeschlossen ist, so ist am Ende der 15 Untersuchungen noch einmal ein zusammenfassendes Verzeichnis erarbeitet worden (287-299). Ein Abkürzungsverzeichnis geht voraus (285 f.). Ein ausführliches Stellenregister (301-313) und ein Stichwortregister (315-320) erschließen in willkommener und dankenswerter Weise noch einmal den Sammelband. Über die Autoren informiert Seite 321.