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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

694–696

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Suttner, Ernst Christoph

Titel/Untertitel:

Die Christenheit aus Ost und West auf der Suche nach dem sichtbaren Ausdruck für ihre Einheit.

Verlag:

Würzburg: Augustinus 1999. 302 S. 8 = Das östliche Christentum, 48. Kart. DM 28,50. ISBN 3-7613-0191-X.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Der an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien lehrende Verfasser ist ein ausgewiesener Kenner des östlichen Christentums und am othodox-katholischen Dialog seit Jahrzehnten beteiligt. Seine vorliegende Studie zeigt, wie sich kirchengeschichtliche Forschung und systematisch-theologisches Nachdenken im Dienst des ökumenischen Dialogs gegenseitig befruchten und zugleich korrigieren können. Im besten Fall trägt die Revision kirchenhistorischer Urteile dazu bei, dass auch in das kontroverstheologische Gespräch neue Bewegung kommt und Spielräume ökumenischer Verständigung eröffnet werden. Solche Möglichkeiten sucht die verdienstvolle und überaus lehrreiche Abhandlung, die einen umfassenden Überblick über die zum Teil recht verwickelte Geschichte des Verhältnisses zwischen östlichem und westlichem Christentum gibt, auszuloten. Sie geht nicht nur auf die Besonderheiten der Entwicklung in den verschiedenen Ländern ein, sondern schärft zugleich aus katholischer Sicht das systematisch-theologische Problembewusstsein für Grundprobleme einer ökumenischen Ekklesiologie (13 ff.).

Suttners kirchenhistorische Arbeit steht ganz im Dienst des ökumenischen Dialogs (270 ff.). Materialreich sucht er die These zu belegen, dass das Schisma zwischen Ost- und (römisch-katholischer) Westkirche überwindbar ist, weil das Fundament der Einheit im Verlauf der Geschichte zwar Risse erhalten hat, jedoch nie völlig zerstört wurde. Im Einklang mit dem 2. Vatikanum stellt der Vf. die Frage, ob die volle Communio zwischen den Schwesterkirchen in Ost und West, die gegenwärtig fehlt, wegen eines Mangels an geistlicher Einheit wirklich unmöglich ist, oder ob das Getrenntsein dieser Kirchen nicht vielmehr in einem vordergründigen Enttäuschtsein vieler über das Fehlen von Einheitlichkeit der kirchlichen Traditionen wurzelt (23). Der diesbezügliche Optimismus des Vf.s gründet nicht zuletzt in der historischen Relativierung der Vorgänge des Jahres 1054. Der erst im 19. bzw. 20. Jh. kreierte Mythos von einer angeblichen Kirchenspaltung (101) erschwere allerdings den bilateralen Dialog, weil es permanent zum Zurückprojizieren junger Auffassungen in die Vergangenheit (198, Anm. 16) komme. Zwar bestanden von Anfang an kulturelle Spannungen und unterschiedliche Akzentuierungen in der Theologie (295). Der Vf. weist aber nach, dass nicht schon 1054, sondern erst im Gefolge des Tridentinums und seiner exklusivistischen und papalistischen Ekklesiologie das Kirchesein der Ostkirchen in Abrede gestellt wurde, was zu entsprechenden Gegenreaktionen auf orthodoxer Seite führte (186 ff.). Genauer gesagt, verbot erst ein 1729 erlassenes römisches Dekret die communicatio in sacris mit den Orthodoxen (187 ff.), was 1755 durch ein entsprechendes Anathema der Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien und Jerusalem beantwortet wurde (193 ff.). Während diese Entscheidung, der sich später auch das Patriarchat von Antiochien anschloss, in der ganzen griechischen Welt wirksam wurde, verweigerte sich allerdings die russische Kirche einer totalen Verurteilung der abendländischen Kirche (194).

Der ekklesiologische Paradigmawechsel veränderte freilich auch den Inhalt des Unionsbegriffs, was sich auf die Voraussetzungen wie auf die Beurteilung von Unionen zwischen östlichen Kirchen und Rom auswirkte. Deren wechselvolle Geschichte zeichnet der Vf. kenntnisreich von den Anfängen (29 ff.) bis in die Gegenwart nach, nicht ohne auch auf den Einfluss der politischen Geschichte einzugehen. Ihm liegt sehr daran zu betonen, dass einerseits zwischen den vortridentinischen Unionsversuchen (101 ff.) und neuen Unionen zum Heimholen vermeintlich verirrter Schafe seit dem 18. Jh. (220 ff.) ein gravierender Unterschied besteht, und dass andererseits den verschiedenen Unionsversuchen wie auch den orthodoxen Gegenreaktionen historische Gerechtigkeit widerfährt. Ein für alle in Rede stehenden Kirchen und Epochen einheitlicher Unionsbegriff lässt sich jedenfalls nicht prägen (298).

Der gegenüber dem Osten erhobene Exklusivitätsanspruch der römisch-katholischen Kirche wurde in den Enzykliken Pius XII. Mystici corporis von 1943 und Humani generis von 1950 nochmals scharf formuliert (258). Demgegenüber interpretiert der Vf. die dogmatische Konstitution des 2. Vatikanums über die Kirche und das vom Konzil verabschiedete Ökumenismusdekret als Rückbesinnung auf die traditionelle, nämlich vortridentinische Ekklesiologie: Die uralte und tief in der Tradition verankerte Ekklesiologie unserer Kirche, die nach dem Tridentinum allmählich vergessen wurde und in den 200 Jahren zwischen dem Verbot der ,communicatio in sacris' durch die Sacra Congregatio de Propaganda Fide und den beiden Enzykliken ,Mystici corporis' und ,Humani generis' fast ganz verdunkelt war, hat damit wieder volle Anerkennung gefunden (260). Und auch das Verständnis von Schisma und Union habe seither einen Wandel durchgemacht (279 ff.), der zuversichtlich stimme, zumal auch die Panorthodoxen Konferenzen von 1961 und 1963 für eine vorsichtige Annäherung an Rom plädiert haben, auch wenn von einer allgemeinen Rezeption der neuen Entwicklung noch keine Rede sein könne (260 ff.). Dass das Abrücken Roms von einer dem Osten gegenüber exklusivistischen Ekklesiologie für die mit Rom Unierten ein schweres Problem darstellt (262), wird freilich ebenso wenig verschwiegen wie das aus orthodoxer Sicht bestehende Ärgernis des Proselytismus in den Ländern Osteuropas nach dem Ende des Sozialismus (266 f.) und eines neu erwachenden Konfessionalismus (275 f.).

Die verdienstvolle Studie ist auch für protestantische Leserinnen und Leser empfehlenswert und lehrreich, nicht zuletzt im Blick auf die Grenzen ökumenischer Verständigung, die am Ende trotz aller Bemühungen um historische Differenzierungen und Revisionen sichtbar werden. So sehr der Vf., wie das 2.Vatikanum, mit Hochachtung und Wertschätzung von den östlichen Schwesterkirchen spricht, so wenig kann er umhin, aus katholischer Sicht zuletzt doch auch von Mängeln zu sprechen, die bei einer ernsthaften ekklesiologischen Untersuchung nicht übersehen werden dürfen, weil sie leider vorhanden sind (260).

Unterbelichtet bleibt auch der Umstand, dass das Papsttum in seiner heutigen Gestalt, die 1870 dogmatisiert und auch auf dem 2. Vatikanum mit den Neuansätzen katholischer Ekklesiologie nicht ausgeglichen wurde, nicht nur für die protestantischen, sondern auch für die orthodoxen Kirchen ein entscheidendes Hindernis auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft mit Rom bleibt. Im Übrigen zeigt die jüngste Geschichte, dass die inklusivistische Ekklesiologie des 2. Vatikanums den noch bei Pius XII. unverhohlen formulierten römischen Exklusivismus nicht wirklich überwunden, sondern lediglich modifiziert hat. Wer bislang gegenteiliger Ansicht war, dürfte spätestens durch die einschlägigen Aussagen des umstrittenenen Dokumentes der römischen Glaubenskongregation Dominus Iesus eines Besseren belehrt worden sein.