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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

692–694

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Podskalsky, Gerhard

Titel/Untertitel:

Theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien und Serbien 865-1459.

Verlag:

München: Beck 2000. X, 578 S. gr.8. Lw. DM 198,-. ISBN 3-406-45024-5.

Rezensent:

Hans-Dieter Döpmann

Der Vf. ist Professor für Alte Kirchengeschichte, byzantinische und slawische Theologie an der Philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen (Frankfurt am Main) sowie Gastprofessor am Pontificio Istituto Orientale (Rom). Als renommierte Werke gleicher Aufmachung erschienen von ihm bereits: Theologie und Philosophie in Byzanz, 1977; Christentum und theologische Literatur in der Kiever Rus (988-1237), 1982 (russ. Übersetzung St. Petersburg 1996); Griechische Theologie in der Zeit der Türkenherrschaft (1453-1821), 1988. Genannt seien ferner: Byzantinische Reichseschatologie, München 1972; La Russie (Histoire des mouvements spirituels), Paris 1990.

Hatten sich diese Werke mit den bekanntesten Zweigen der orthodoxen Christenheit befasst, so bietet uns als wertvolle Ergänzung dessen der nunmehr vorliegende Band eine Darstellung über die zumeist wissenschaftlich ins Hintertreffen geratenen, eng nebeneinanderliegenden und doch unterschiedlichen südslawisch-orthodoxen Nachbarländer Bulgarien und Serbien.

Die gewählte Zeitspanne reicht von der Taufe der Bulgaren und Serben (865 bzw. 867/874) bis zu ihrer jeweiligen Unterwerfung unter das jahrhundertelange Osmanenjoch (1393/ 1396 bzw. 1459). Dabei geht der Vf. in seinem Vorwort durchaus zutreffend davon aus, dass die Kenntnis des breiten Überlieferungsstroms der mittelalterlichen Quellen zum Verständnis der heutigen Lage der Orthodoxie wichtiger ist als die Sicht mancher ihrer namhaften Intellektuellen, die sich oft eher durch Lautstärke, Polemik und Einseitigkeit auszeichnen.

Erstmals wird die gesamte Übersetzungs- und Originalliteratur - sie ist überwiegend kirchlich-geistlicher Natur - unter Einbeziehung neuester Funde und Erkenntnisse zur Darstellung gebracht. Ein dem Hauptteil vorangestellter geschichtlicher Überblick (15-168) beginnt mit ersten frühchristlichen Spuren in den Donauprovinzen des 2.-6. Jh.s. Die Zeit seit der Landnahme der Südslawen und Protobulgaren sowie der durch sie entstandenen jungen Staaten wird besonders in kirchenhistorischer Sicht verdeutlicht. Behandelt wird die altslawische Mythologie sowie die Religion der Protobulgaren, das Christentum bei den Südslawen/Protobulgaren vor 865, die Annahme des Christentums im ersten Bulgarenreich und die fast gleichzeitige Christianisierung der Serben. Dabei sind die ältesten Elemente einer Kirchenorganisation auf dem Territorium des heutigen Serbien der bulgarischen Kirche zu verdanken.

In seiner instruktiven Darstellung der verschiedenen kirchenpolitischen Vorgänge wird deutlicher als sonst üblich das Verhältnis zum Katholizismus behandelt. So war für P. die 1204 von Kalojan vollzogene Kirchenunion mit Rom nicht so folgenlos, wie sie manchmal von bulgarischer Seite dargestellt wird (76). Erwähnt werden auch von Franziskanermönchen in kurzer Zeit erzielten Massenbekehrungen in der kurzfristig (1365-1369) von Ungarn eroberten Grenzstadt Vidin. Klärungsbedarf sieht der Vf. in mehrfacher Hinsicht bezüglich Begriff und Bedeutung des Hesychasmus im östlichen Mönchtum. Exkurse befassen sich mit Kirchenbau, -malerei und -musik. Schließlich informiert er über die Gemeinsamkeiten und Überschneidungen der geistig-geistlichen Kulturen und fragt angesichts der heutigen ethnischen, kulturellen und kirchenpolitischen Streitigkeiten: Bulgarien - Makedonien - Serbien: drei gleichwertige Ausprägungen einer (orthodoxen) südslavischen Kultur? (165 ff.)

Der Hauptteil des Buches untersucht detailliert und kenntnisreich Die theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien und Serbien (865-1469) nach ihren Gattungen (169-524). Der Vf. geht mit Recht davon aus, dass die bereits in seiner Darstellung der Kiewer theologischen Originalliteratur vorgenommene Aufteilung in literarische Gattungen auch für die altbulgarische und altserbische Literatur sinnvoll ist. Das geschieht in neun Kapiteln, von der Homiletik bis zu Wallfahrtsberichten. Als dominierende Gattung steht die Hagiographie im Mittelpunkt, zumal, wie der Vf. verdeutlicht, sowohl in der Quantität wie auch in der Qualität (wobei in Serbien die Reihe der Biographien der Herrscher und Kirchenführer vor denen der Bulgaren rangiert) und damit auch der Selbständigkeit gegenüber Byzanz die hagiographischen Werke alle übrigen übertreffen. Dagegen sind die Grenzen der Gattung Liturgische Dichtung fließend, speziell in Richtung Homiletik und Hagiographie. Hervorzuheben sind die reichen Inhaltsangaben, Quellen- und Literaturnachweise der Übersetzungs- bzw. Originalliteratur.

In seiner Darstellung fällt Bulgarien als dem Schrittmacher einer eigenständigen, dem byzantinischen Vorbild deutlich verpflichteten slawischen Literatur die Führungsrolle zu. Der Vf. stellt dann fest, dass ab Anfang des 13. Jh.s die Querverbindungen und Wechselwirkungen mit Serbien so stark sind, dass sich eine einseitige oder getrennte Behandlung beider Länder verbietet. Darüber hinaus sind die in ihrer Identität sehr kontrovers diskutierten Vlachen bzw. das Gebiet der heute rumänischen Moldau (-Walachei) der bulgarischen und serbischen Literatur eng verbunden.

In seinem als Wegzeichen der (orthodoxen) südslavischen Theologie charakterisierten Nachwort zeigt der Vf. resümierend die hier erstmals in breiterem Maße herausgearbeiteten literarischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden nationalen orthodoxen Traditionen auf. Hinsichtlich der Verfasser des spirituell-theologischen Schrifttums zeigt sich eine große Homogenität: Mönchen und Klerikern verschiedener Ränge, auch aus dem griechischen Sprachraum, stehen Könige und Zaren sowie eine Despotenwitwe gegenüber, die oft vor ihrem Tode ebenfalls dem Mönchtum beitraten. (525) Die prioritäre bulgarische Literatur beeindruckt anfangs auf dem Felde der Exegese (in mehr alexandrinisch-allegorischer Richtung), während die serbische Literatur eine Schwäche in der Homiletik zeigt. Beide Länder sind relativ schwach in der dogmatischen Spekulation. Auffällig ist die starke nationale Rückbindung beider Literaturen.

Den Abschluss bildet auch in diesem Band ein umfangreicher und instruktiver Nachschlagteil. - Wie bereits im Vorwort angedeutet, konnten bei der Fülle des Materials nicht alle der noch oder heute wieder offenen Detailfragen gelöst werden. Wohl aber veranschaulicht der Vf. den derzeitigen "status quaestionis", vermittelt einen gediegenen Überblick über bisher Geleistetes, über neu aufgetauchte Fragestellungen oder Interpretationen und erläutert dazu seine eigene Sicht.

Sowohl der Fachmann als auch andere Interessenten werden durch die Fülle der angeführten Sekundärliteratur, bei der in hohem Maße auf Publikationen in nicht-slawischen Sprachen hingewiesen wird, zur Weiterarbeit angeregt. Schon heute kann man das Buch als ein Standardwerk bezeichnen, das für Kirchenhistoriker, Slawisten und Byzantinisten in gleicher Weise grundlegend bleiben wird.

Bereits eingangs hat der Vf. sein Buch den beiden Nationalheiligen Bulgariens und Serbiens gewidmet, den hl. Mönchen Ioann von Rila und Sava Nemanji, die aus ihrem zeitweiligen Einsiedlerleben die Kraft der geistlichen Wegweisung für ihr jeweiliges Volk geschöpft haben. Davon ausgehend setzt er es sich zum Ziel, einem größeren Leserkreis im Westen die Ursprünge orthodoxer Spiritualität bekannter werden zu lassen. Dazu wird das Buch dem Leser zweifellos verhelfen.