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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

992–994

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hawel, Peter

Titel/Untertitel:

Zwischen Wüste und Welt. Das Mönchtum im Abendland.

Verlag:

München: Kösel 1997. 447 S. m. Abb. gr.8. Lw. DM 68,-. ISBN 3-466-36470-1.

Rezensent:

Fred Ledegang

Der Autor (geb. 1946) ist Lehrbeauftragter für Kunst- und Kulturwissenschaften und Referent in der Erwachsenenbildung. Das vorliegende Buch ist vermutlich für die letzte Kategorie gedacht. Es ist eine populärwissenschaftliche Arbeit über die Geschichte des Mönchtums im Abendland. Der populärwissenschaftliche Charakter zeigt sich u. a. darin, daß das Buch keine Fußnoten und Hinweise enthält, aus denen man schließen kann, worauf der Autor sich stützt. Ein beschränktes Literaturverzeichnis kann dem Leser weiterhelfen, und für eine ausführliche Literaturübersicht verweist er auf eine frühere Veröffentlichung aus seiner Hand: Das Abendländische Mönchtum, Freiburg 1993.

In der Einleitung gibt er die Bedeutung des abenländischen Mönchtums folgendermaßen wieder: Es übte sich (’Askese’) "in bestimmten geistigen und körperlichen Techniken, um damit die Befangenheit des Körpers und des Geistes im eigenen System, in der eigenen Wunschwelt oder Weltanschauung aufzubrechen" und dadurch "den Anschluß an eine geistige Welt zu erreichen". Eine weitere Leistung war die Schaffung des freien Individuums und der menschlichen Persönlichkeit, unabhängig von den "blutsgebundenen Pflichten ... der Familie, des Stammes und des Volkes" (15-17).

Nachdem er eine Darstellung gegeben hat von verschiedenen asketischen Richtungen (Essenern, Therapeuten, Gnosis) in den ersten Jahrhunderten und von der Heimat des abendländischen Mönchtums, Ägypten, skizziert er das abendländische monastische Leben bis Benedikt von Nursia (19-101). Danach schenkt er Irland und der karolingischen Epoche besondere Aufmerksamkeit (103-187), im Anschluß beschäftigt er sich mit der cluniacensischen Reformbewegung und ihrem Streben nach vollkommener Nachfolge Christi auf Grundlage der Benediktregel und mit weiteren Reformzentren (189-211). Er fährt fort mit der Entstehungsgeschichte der verschiedenen Klosterorden: der Kartäuser, Zisterzienser, Prämonstratenser, Franziskaner, Dominikaner usw. (213-370) und beschließt sein Buch mit dem Barockzeitalter (371-437). Warum er sich nicht mit der folgenden Periode beschäftigt, erläutert H. folgendermaßen: Er wolle "die bedeutenden geistigen Entwicklungen darstellen". "Es versteht sich damit von selbst, daß die üblichen und verbreiteten Geschichten des Verfalls ... nur gestreift, beziehungsweise nicht oder kaum erwähnt werden. Wir beenden unsere Überlegungen mit der Epoche des Barock, denn daran anschließend entwickelte sich die uns vertraute technisch geprägte Welt, unser neues, großes und - wie eingangs dargestellt - abgeschlossenes System, das aufzuheben die Leistung und die Würde des Menschen ausmachen wird" (18).

Die Bedeutung dieses Buches wäre größer gewesen, wenn der Autor auch gezeigt hätte, wie gerade "die uns vertraute technisch geprägte Welt" Reaktionen ausgelöst und neue "bedeutende geistige Entwicklungen" in Gang gesetzt hat. Ich vermisse z. B. die Bedeutung des Klosters von Solesmes, das seit 1837 eine weltweite liturgische Erneuerung in der Kirche zustande gebracht hat, von Beuron, der Keimzelle einer Kongregation, die Jahrzehnte lang ungemein erfolgreich das benediktinische Mönchtum vertreten hat und von St. Ottilien, wo das benediktinische Klosterleben und Missionsarbeit miteinander verbunden wurden. K. S. Frank, Geschichte des christlichen Mönchtums, Darmstadt 5. Aufl., 1993, S. 168 schreibt, daß "im 19. Jh. von einem generellen Aufschwung des kath. Ordenswesens gesprochen werden kann". Auch im evangelischen Raum gab es den Ordensgedanken. Aber über die evangelische Diakonissen zum Beispiel spricht H. mit keinem Wort.

Über die Entwicklungen des 20. Jh.s spricht er auch nicht: Weder über die 1975 gegründete katholische Gemeinschaft des hl. Johannes (Communauté Saint-Jean), die (vor allem in Frankreich) pastoral tätig ist, noch über die ökumenischen Marienschwestern in Darmstadt, noch über Taizé, wo die protestantische Kirche das monastische Leben wiederentdeckt hat. Leider ist die Entwicklung des Mönchtums im Abendland nach H. um 1800 zu Ende.

Das Buch ist übrigens flüssig geschrieben und liest sich gut. Aber vielleicht wurde es etwas zu schnell geschrieben. Ich habe ziemlich viele Ungenauigkeiten und Fehler bemerkt. Um nur einige Beispiele herauszugreifen:

"Mit der Säkularisation, Anfang des 19. Jahrhunderts, war auch das Eremitentum beendet", schreibt H. (42). Als Beispiel von Eremitentum aus der jüngsten Vergangenheit hätte er Charles de Foucauld nennen können und "Die kleinen Brüder Jesu" (bzw. LThK 4,227 und 6,329).

Die Darstellung des Pythagoras (42) ist ein wenig undifferenziert: Pythagoras legte keine seiner Lehren schriftlich fest. Was deshalb den historischen Pythagoras als Urheber hat, ist ganz ungewiß. Am besten spricht man also von der Lehre der Pythagoräer. Aristoteles hat niemals eine Behauptung Pythagoras selbst zugeschrieben. Er sprach üblicherweise über "die sogenannten Pythagoräer" oder über "manche der Pythagoräer".

Der Autor datiert Marcion ohne triftige Gründe auf 85-169 n. Chr. Das einzige aber, was wir mit beträchtlicher Sicherheit wissen, ist, daß Marcion Juli 144 aus der Kirche in Rom ausgestoßen wurde.



H. leitet zu Unrecht das Wort ,Sekte’ von ,secare’, abschneiden, her. Der Begriff geht auf ,secta’ (von sequi, folgen) zurück. Es wurde als Bezeichnung für Richtung, Schule angewandt, namentlich für eine die Einheit der Kirche sprengende Sondergruppe (Blaise, Dictionnaire Latin-Français des auteurs chrétiens sub voce).

Etheria (die Schreibweise Egeria ist heute allgemein akzeptiert) "hinterließ einen ausführlichen Bericht über die Stätten des Heiligen Landes und das gelobte Mönchtum Ägyptens, das sie übrigens zweimal besuchte" (61) ist insoweit unrichtig, als der erste Teil ihres Reiseberichtes, der über Ägypten handelt, verlorenging. Der übriggebliebene Teil beginnt, als sie auf dem Rückweg aus Ägypten in der Nähe des Sinai ist.

Die Zuverlässigkeit der Darstellung des Klosterlebens von Cassianus ("ihm verdanken wir weitgehend die Kenntnis über das frühe Mönchtum", 74) ist nicht unumstritten. Die Collationes Patrum sind wahrscheinlich fingierte Unterredungen mit den angesehensten Anachoreten Ägyptens.

Das Buch ist schön ausgestattet, mit vielen Illustrationen (auch wenn manche Landkarten so verkleinert wurden, daß die Namen nahezu unleserlich geworden sind, z. B. 109 und 158). Es ist jedoch schade, daß ziemlich viele Rechtschreibefehler im Buch vorkommen. In vielen Fällen ist nicht klar, ob es sich um Druckfehler handelt, oder um Nachlässigkeiten des Autors.

Hierakas (nicht: Hieraskus) war der Leiter einer Gruppe enkratitischer Christen (29); der Bischof von Arles ist Honoratus (nicht Honoratius) (77); das erste irische Hospiz wurde erbaut von Fiacrius (nicht Fiacarius) (117); Deicola hat auch den Namen Dicul oder Dichuil (nicht: Dicuil) (117); der Sieg über die Sarazenen im Jahre 915 war am Garigliano (nicht: Gariglone) (186); ein Zentrum der Devotio moderna war Windesheim und nicht Windsheim, wie H. konsequent schreibt (369, 370) usw.

Genaue Datierungen in der frühen Kirche sind nicht immer zu ermitteln, aber über das Geburtsjahr von Athanasius gibt es keine Diskussion: um 295 (statt 275) (60); Rufinus ist geboren um 345 (statt 400) (61); Fulgentius von Ruspe ist gestorben um 533 (statt 583) (70); das Todesjahr von Benedikt von Nursia ist traditionell datiert um 547 (statt 587) (96). Das Todesjahr von Patrick dagegen steht nicht so fest wie H. (106) uns glauben machen will: 461. Es gibt auch Argumente dafür, sein Todesjahr zwischen 491 und 493 zu datieren. Das Datum des Konzils von Nicaea steht nicht zur Diskussion: 325 (statt 318) (135). Richer von St-Remi schrieb 4 Bücher Historiae über die Periode 883 bis 995, mit Notizen bis 998. Er kann also seine Geschichte nicht um 955 verfaßt haben (186).

Für denjenigen, der mit diesen Ungenauigkeiten vorliebnehmen will, ist das Buch eine gute Einführung in die Geschichte des abendländischen Mönchtums bis zum Anfang des 19. Jh.s.