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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

684–687

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zodrow, Lioba

Titel/Untertitel:

Gemeinde lebt im Gottesdienst. Die nachkonziliare Liturgiereform in Frankreich und ihre Voraussetzungen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2000. XVII, 407 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 42. Kart. DM 59,85. ISBN 3-17-016108-3.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Die Vfn. untersucht in dieser breit angelegten Arbeit, mit der sie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn promoviert wurde, die römisch-katholische Liturgiereform in Frankreich, die seit dem II. Vatikanischen Konzil zu beobachten ist. Da die Vfn. sich immer wieder in Frankreich aufgehalten hat, konnte sie das Zusammenwirken von Gemeinden, Bildungseinrichtungen, Theologischen Fakultäten usw. kennlernen und beobachten. Albert Gerhards, bei dem die Untersuchung entstanden ist, schreibt in seinem Geleitwort, dass mit dieser Arbeit nicht nur eine nationale, sondern auch eine methodische Grenze überschritten wurde: Die Reform der Liturgie wird nicht für sich, sondern im Kontext aller kirchlichen Lebensvollzüge untersucht (VII). Bei den kirchlichen Lebensvollzügen geht es nicht nur um innerkirchliche Bereiche, sondern auch um die gesellschaftlichen und politischen Lebensbedingungen in Frankreich, die ihrerseits die kirchlichen Lebensvollzüge beeinflussen.

In einem ersten Teil legt die Vfn. ihre methodischen Arbeitsgrundlagen dar und reflektiert, dass die aus deutscher Perspektive gewonnene Arbeitsweise und Positionsbestimmung auf den französischen Forschungsgegenstand anwendbar sei, weil zu der vorrangig historisch orientierten Arbeitsweise der Liturgiewissenschaft seit den 70er Jahren eine praktisch-theologische Orientierung hinzugetreten sei, die Liturgie als Handlungsfeld kirchlicher Praxis in handlungswissenschaftlich orientierten Reflexionsgängen untersucht. (7) Die Vfn. beruft sich dabei auf Zerfaß1 und auf den Kommentar zur Standortbestimmung der Liturgiewissenschaft von Gerhards und Osterholt-Kootz2. Diese hier eher praktisch-theologisch skizzierte Arbeitsweise sei auch in Frankreich zu konstatieren.

In drei Themenbereiche geordnet, stellt die Vfn. die nachkonziliaren Entwicklungen in Frankreich dar: Zunächst die Liturgie selbst in ihren nachkonziliaren Gestaltungselementen und Feierformen, exemplarisch dafür die Vorbereitung und Feier der Taufe, des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes und der Beerdigung, daraufhin das nachkonziliare kirchliche Selbstverständnis mit der Betonung auf der gemeinsamen Verantwortung (responsabilité commune, z. B. 188) aller Kirchenmitglieder und schließlich die kirchliche Bildungsarbeit, die zur Übernahme von Verantwortung befähigt.

Nach der Darlegung der methodischen Arbeitsweise referiert die Vfn. die geschichtliche Entwicklung der römisch-katholischen Kirche in Frankreich seit der Revolution von 1789. Diese weite Rückschau erstaunt nicht, weil die Auswirkungen im Leben der Kirche in Frankreich bis heute zu konstatieren sind: Der Klerus wurde zwar in den Revolutionsvorgängen zerrissen und zerrieben zwischen Befürwortern und Gegnern dieser gesellschaftlichen Umwälzungen, aber gleichzeitig ist es zu einer Stärkung der Laien in der Verantwortung für die Kirche gekommen. Hier sieht die Vfn. vorweggenommen, was mit dem II. Vatikanischen Konzil zu Wort gekommen ist: Die volle, bewusste und tätige Teilnahme der Laien an der Liturgie, wie das II. Vatikanum in SC 14 darlegt. Wesentliche Anstöße zu dieser Entwicklung seien aus der Geschichte Frankreichs gekommen, die ja seit der Französischen Revolution 1789 das Laienelement ganz in den Vordergrund gerückt hat. Das führt die Vfn. auf das Revolutionsmotto von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zurück. Diese Forderungen sollten in allen Lebensbereichen - und somit auch in der Kirche - verwirklicht werden. So habe erst die Aufhebung der Ständegesellschaft eine Annäherung von Klerus und Volk ermöglicht, so dass es sogar seit dem 2. Weltkrieg zu der so genannten Arbeiterpriesterbewegung kommen konnte.

Daraufhin legt die Vfn. die liturgische und ekklesiologische Erneuerung der Kirche durch das II. Vatikanische Konzil insbesondere mit Blick auf die Liturgiekonstitution dar. Für die säkulare Entwicklung in Frankreich ist die Studentenrevolte vom Mai 1968 von großer Bedeutung, da jede formale Autorität, die Führungsansprüche erhob, in Frage gestellt wurde. Zugleich kam das Revolutionsmotto von 1789 erneut zur Geltung. Diese grundsätzliche Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung machten sich auch die französischen katholischen Christen zu Eigen und forderten eine Mitverantwortung bei der Gestaltung der Kirche. Letztendlich ermöglichte aber wohl eher der gravierende Priestermangel die Mitgestaltung der Kirche durch Laien. Ob das II. Vatikanum diese Entwicklung gewollt hat, beurteilt auch die Vfn. kritisch: Das Konzil spricht von der tätigen Teilnahme der Laien an der Liturgie, die durch den Klerus ermöglicht wird. Dabei muss zwischen Teilnehmenlassen an der Liturgie und Übernehmen von Verantwortung für die Liturgie unterschieden werden. Dass die Sympathien der Vfn. bei letzterem Aspekt liegen, wird immer wieder deutlich.

Als Nächstes zeigt die Vfn. auf, wie in Frankreich versucht wird, das Recht der Christen ihren Glauben in Gemeinschaft zu bilden (220 ff.) zu verwirklichen. Hier wird Abschied genommen von einem Subjekt-Objekt-Schema, das das Verhältnis zwischen Priestern und Laien dahingehend definiert, dass der Laie ein Gehilfe des Klerus ist. Nun gilt ein Subjekt-Subjekt-Schema, das zum Modell für einen mündigen Glauben wird, so dass alle Christen, ob nun im gemeinsamen Priestertum aller Glaubenden oder im Priestertum des Amtsdienstes, gemeinsam Verantwortung für die Kirche übernehmen. Dies wird insbesondere durch die kirchliche Bildungsarbeit ermöglicht und kommt auf Diözesansynoden zur Sprache.

Zum Schluss der Darlegung beschreibt die Vfn., wie in Frankreich die gemeinsame Verantwortung für Taufe, Sonntagsgottesdienst und Beerdigungsfeier wahrgenommen wird. Es wird dabei auf die Laien in der Weise Rücksicht genommen, dass sie im Rahmen der säkularisierten Gesellschaft die kirchlichen Liturgien mit ihren Möglichkeiten auch wahrhaftig mitfeiern können.

Für die Taufe werden drei Möglichkeiten genannt: erstens die sakramentale Feier der Taufe, zweitens der Taufaufschub, bei dem die Eltern die Taufe zu einem späteren Zeitpunkt versprechen und das Kind mit dem Kreuzzeichen gesegnet wird, drittens die dankende Präsentation des Neugeborenen in der Gemeinde, wobei der Priester das Kind segnet oder es leicht hochhebt, um es Gott vorzustellen. Es soll also nur das mit der Liturgie gefeiert werden, was die Eltern auch in ihrem Glauben nachvollziehen können.

Für die Feier der Sonntagsgottesdienste haben sich Liturgiegruppen gebildet, da die Sonntagsgottesdienste oftmals ohne Priester gefeiert werden müssen und deshalb ohne Eucharistiefeier mit eucharistischem Hochgebet bleiben. Auf diesem Wege ist der Wortgottesdienst wiederentdeckt worden. Auch hat sich eine intensivere Gemeinschaft in den Gemeinden herausgebildet. Doch es kommt zu einem Problem: Die durch die Liturgiegruppen ausgebildeten Laien beginnen sich von den Nichtgebildeten zu unterscheiden, so dass wieder eine Klerikalisierung droht. In den Gemeinden bleibt umstritten, ob es auch ohne Eucharistiegebet zu einer Kommunion der vorkonsekrierten Gaben kommen soll. Die Mehrheit befürwortet diese Praxis.

Beerdigungsfeiern werden ebenfalls von Laien durchgeführt. Die Vfn. stellt dar, dass sich in der Stadt Lyon dieses kirchliche Angebot nicht nur an Christen richtet. Dort wurde neben der Leichenhalle ein Saal für alle Kulte (Salle omni-culte, 341) eingerichtet, den jeder nutzen kann. Laiengruppen aus der römisch-katholischen Kirche halten Angebote unter dem Begriff L'Autre Rive (Das andere Ufer) bereit. Sie entwickeln Riten nach Maßgabe der Angehörigen. Auch Nichtchristen, die das Bedürfnis haben, ihre Verstorbenen würdig zu bestatten, nehmen dieses Angebot wahr. Die ausrichtenden Christen sehen darin eine christliche Aufgabe, auch wenn keine christliche Verkündigung stattfindet. Es geht hier um die Wahrung der Menschlichkeit.

Abschließend stellt die Vfn. fest, dass die nachkonziliare Liturgie- und Kirchenreform in Frankreich wesentlich durch Laien verwirklicht wird. Das Kirchenverständnis ist gekennzeichnet durch die Inanspruchnahme der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften für ihre Kirche, so daß Gemeinde im und aus dem Gottesdienst leben kann. (369)

Mit diesem Buch wird eine Reform von Liturgie und Kirche in Frankreich vorgestellt, die auf dem Hintergrund der eigenen geschichtlichen Entwicklung um die Interpretation des II. Vatikanischen Konzils ringt. Ob aber die Französische Revolution 1789 und ihre Ideale dafür so sehr in Anspruch genommen werden können, bleibt fraglich. In jedem Fall ist es höchst interessant, wie das Konzilsdokument aus dieser Perspektive interpretiert wird, ganz abgesehen von der Frage, ob die Konzilsväter diese Perspektive ebenfalls im Blick hatten. Dem Lesenden wird anschaulich vor Augen geführt, wie sich Laien eine Klerusliturgie aneignen und sie umformen. Ob dabei der Gehalt einer Liturgie angeeignet oder preisgegeben wird, steht für die Vfn. außer Frage: Nur eine von allen getragene und mitvollzogene Liturgie ist wahrhaftige Liturgie der Kirche. Exemplarisch werden gelungene Beispiele vorgeführt. Gerne hätte der Lesende auch Berichte über Misslungenes zur Kenntnis genommen und kritisch aufgezeichnet bekommen, woran solches Scheitern liegt. Denn nicht nur Klerikern, auch Laien soll gelegentlich einmal etwas misslingen. Vielleicht käme dadurch eine besondere und ganz andere Seite der gemeinsamen Verantwortung des Priestertums aller Glaubenden und des Priestertums des Amtsdienstes für die Kirche zum Zuge.

Fussnoten:

1) Rolf Zerfaß: Gottesdienst als Handlungsfeld der Kirche. Liturgiewissenschaft als Praktische Theologie? In: LJ 38, 1988, 30-59.

2) Albert Gerhards/Birgit Osterholt-Kootz: Kommentar zur Standortbestimmung der Liturgiewissenschaft. In: LJ 42, 1992, 122-138.