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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

673–675

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Spiegelflächen. Phänomenologie - Religionspädagogik - Werbung.

Verlag:

Münster: LIT 1999. 250 S. 8 = Grundlegungen, 6. Kart. DM 39,80. ISBN 3-8258-4566-4.

Rezensent:

Christian Grethlein

Dieser vom früheren Loccumer Dozenten Thomas Klie herausgegebene und mit einer von ihm verfassten, sehr instruktiven, das sachliche Gewicht der einzelnen Beiträge gut herausarbeitenden Einführung versehene Band umfasst 14 Beiträge, von denen drei bereits anderweitig veröffentlicht wurden. Er dokumentiert ein weiteres Mal die wichtigen, vom Religionspädagogischen Institut in Loccum initiierten Bemühungen um eine Klärung religionspädagogisch aktueller Themen, die sich nicht nur auf didaktische (und unterrichtspraktische) Vorschläge beschränken, sondern hinsichtlich der Semiotik auch zu wissenschaftstheoretischen Erörterungen vorstoßen. Diesmal wird der Bereich der Werbung in mehrfacher Hinsicht reflektiert.

Zuerst sind einleitende grundsätzliche Beiträge zu nennen, die sich auf methodische Fragen, zugespitzt auf die Phänomenologie und Semiotik, und das Problem der Bewertung von Werbung beziehen. Bei der Frage nach der angemessenen Methodik für eine an Phänomenen orientierte Religionspädagogik plädiert Dietrich Zilleßen - mitunter sehr wortreich - für eine dekonstruktivistische Option, die vom Fremden als religionspädagogischem Paradigma (86) ausgeht. Das dabei leitende Verständnis von Religion - sie soll es mehr mit der Spannung von Norm und Exodus ... als mit der Harmonie von Norm und Heimatstimmung (sic!; 83) zu tun haben - wird nur angedeutet. Michael Meyer-Blanck plädiert - in Auseinandersetzung mit einer Lesart von Husserls Phänomenologie - engagiert für die Semiotik als geeignetes Instrumentarium, weil sie am ehesten vor Ontologisierungen schütze und Beziehungen ins Blickfeld rücke. Inhaltlich berührt er die didaktisch wichtige Frage nach der Bedeutung des Glaubens für die Inszenierung von Lernprozessen, wobei er - in Aufnahme von Husserls Epoche - für eine hypothetische Enthaltung vom Glauben eintritt, offensichtlich sogar im konkreten Unterrichtsprozess (Wenn sich die Lehrenden hypothetisch vom Glauben enthalten zugunsten von distanzierender Religionsbetrachtung, vielleicht gelingt es dann um so eher, die Lernenden zur Enthaltung von szientistischen Weltverständnissen und zur produktiven Neu-Erfindung der Realität einzuladen [93]).

Zur Frage nach der grundsätzlichen theologischen Bewertung stellt der Band zwei sehr fundierte, sachlich entgegengesetzte Positionen gegenüber und gibt so eine gute Grundlage für die eigene Urteilsbildung. Schon die jeweiligen Aufsatztitel enthalten die Sachdifferenz: auf der einen Seite Wilhelm Gräb: Religiöse Spurensuche in der urbanen Alltagswelt. Oder wie der Sinn christlichen Glaubens neu entdeckt werden kann (unterstützt durch M. Kumlehns Beitrag), und auf der anderen Seite Karl-Heinrich Bieritz: Kult-Marketing: Eine neue Religion und ihre Götter. Hiermit ist genau die theologische Spannung markiert, innerhalb derer das Thema Werbung auch in religionspädagogischem Zusammenhang bedacht werden muss: auf der einen Seite ein neuzeitlich-formal (nicht inhaltlich christologisch) rechtfertigungstheologisch bestimmtes Freiheitsverständnis, das kulturhermeneutisch auch in der Werbung Religionsproduktivität erkennen lässt, auf der anderen Seite an der biblischen Differenz von Gott und Mensch geschulte Kritik der neuen Religion, die semiotisch in ihren Gehalten als nichtchristlich rekonstruiert wird.

In den weiteren Beiträgen begegnet insgesamt mehr die positive Faszination der Werbung mit ihrer Verwendung religiöser Zeichen, z. T. offensichtlich provozierend von Bernd Beuscher als Lob der Werbung vorgetragen (Deshalb finde ich Werbung theologisch gut, 122), z. T. als Entschlüsselung der religiösen Inhalte konkreter Werbekampagnen dargelegt, wie z. B. bei Andreas Mertin und Gotthard Fermor. Allerdings finden sich auch durchaus kritische Stimmen. So weist Michael Kranzusch eindrücklich auf die Differenz von Werbung und Werben hin, um von Letzterem sogar zu wichtigen Einsichten zur missionarischen Seite von Religionspädagogik zu kommen. Silvia Mustert (Kleines pädagogisches Ritardando) macht dann noch auf mögliche Gefährdungen aufmerksam, wenn zu direkt Werbung im Religionsunterricht zum Thema wird.

Karlos Meyers Analyse der Esprit-Werbung führt dann schon in die konkrete Unterrichtpraxis. Dabei rücken die vorher aufgebauten theoretischen Differenzen wieder in den Hintergrund - gegenüber den konkreten Aktivitäten und Einsichten der Schülerinnen und Schüler.

Insgesamt enthält der Band eine Fülle von wichtigen Einsichten und Anregungen zur religionspädagogischen (und praktisch-theologischen) Beschäftigung mit Werbung, gerade auch dadurch, dass sachliche Kontroversen zur Darstellung kommen. Allerdings bestätigt er die Behauptung von Musters Ritardando: Werbung ist und bleibt eine Fundgrube für den Religionsunterricht. Doch die Didaktik zu diesem Thema steckt noch in den ... Kinderschuhen.(239) Zur Erstellung einer - dringend benötigten - Didaktik müssten die allgemeineren Beiträge des Bandes herkömmliche pädagogische Differenzierungen wie die nach Alter, sozialer Herkunft, Geschlecht, Schulform (hier bildet nur der abschließende Beitrag Klies zur Berufsschule eine lobenswerte Ausnahme) und Lernort aufnehmen und die medienspezifischen Erkenntnisse der Wirkungsforschung berücksichtigen. Vielleicht könnten dann aus didaktischer Perspektive auch - bei klarer Unterscheidung von heuristischem Interesse und handlungsorientierender Aufgabe - die theologischen Differenzen nicht nur als Gegensätze, sondern in ihrer jeweiligen Beschränkung und damit ihrem Angewiesensein auf die jeweilige Gegenposition verstanden werden. Man kann auf weitere Beiträge aus Loccum gespannt sein.