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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

666–668

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Nußbaum, Anja

Titel/Untertitel:

The Right to Die. Die rechtliche Problematik der Sterbehilfe in den USA und ihre Bedeutung für die Reformdiskussion in Deutschland.

Verlag:

Berlin: Duncker und Humblot 2000. 214 S. gr.8 = Strafrechtliche Abhandlungen, 128. Kart. DM 112,-. ISBN 3-428-09945-1.

Rezensent:

Mirjam Zimmermann

Die Monographie stellt eine aktualisierte Fassung der 1999 von der juristischen Fakultät der Universität Augsburg angenommenen Dissertation der Vfn. dar. Sie versucht darin, das komplexe Problemfeld der Sterbehilfe zu untersuchen, wobei schon der Begriff Sterbehilfe ambivalent ist. Damit kann nämlich Hilfe beim Sterben (im Sinne etwa von Sterbebegleitung) oder Hilfe zum Sterben (im Sinne von aktiver Euthanasie) gemeint sein.

Ziel der Untersuchung ist es, die strafrechtliche Situation in Deutschland und in den USA unter der Frage darzustellen, ob und in welchem Umfang die amerikanische Verfassung bzw. das Grundgesetz ein Recht auf Sterben (Right to Die) im Sinne aktiver oder passiver Sterbehilfe bzw. Selbsttötung (eben nicht im Sinne von Sterbebegleitung) enthält und damit dem Einzelnen das Recht auf Entscheidungsfreiheit über die Umstände des eigenen Todes und auf Sterbehilfe gewährt werden könne. Sollte in Deutschland das Recht auf Selbsttötung bzw. auf bestimmte Formen der Sterbehilfe verfassungsrechtlich etabliert werden? Das würde eine Verankerung einer solchen Rechtsgarantie im deutschen Grundgesetz bedeuten. So ist zugleich die Frage gestellt, auf welcher Ebene das Problem bearbeitet werden muss, was den Kompetenzkonflikt zwischen Judikative und Legislative berührt.

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der sehr knapp gehaltene Teil I (23-26) versucht die Problemstellung darzulegen und die wesentlichen Begriffe zu definieren. Hierbei werden das Recht auf passive und aktive Sterbehilfe sowie das Recht auf Selbsttötung bzw. auf Hilfe bei der Selbsttötung unterschieden. In Teil II (27-53) stellt die Vfn. die Rechtslage in Deutschland dar, indem sie auf die Aspekte der rechtlichen Behandlung von passiver Sterbehilfe, Selbsttötung, Beteiligung an der Selbsttötung sowie direkter und indirekter aktiver Sterbehilfe eingeht (A). Da die Sterbehilfe weder im deutschen Recht noch in der ärztlichen Berufsordnung spezialgesetzlich geregelt ist, zieht die Vfn. 211 ff. und 216 StGB (allgem. Tötungsbestimmungen und Strafmilderung bei Tötung auf Verlangen) für ihre Untersuchungen heran, allerdings nur für solche Problempunkte, für deren Lösung potenziell die amerikanische Rechtslage fruchtbar gemacht werden kann.

Darüber hinaus fragt sie unter verfassungsrechtlicher Perspektive (B), ob ausgehend von Art. 2 Abs. 2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), Art. 4 Abs. 1 GG (Recht auf Gewissensfreiheit) oder Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) das deutsche Grundgesetz ein verbrieftes Recht auf Suizid und auf Sterbehilfe aufweise. In der Rechtspraxis werde das Problem nur unter straf- und betreuungsrechtlichen Aspekten behandelt, ferner zeigten sich Spannungen zwischen den strafrechtlichen Regelungen und deren tatsächlicher Durchsetzung. Die Vfn. kommt zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige deutsche Rechtslage ... bezüglich sämtlicher Probleme der Sterbehilfe eine außerordentliche und verwirrende Meinungsvielfalt (45) aufweise und die deutsche Rechtsprechung in vielen Problemen der Sterbehilfe nicht einheitlich und konsistent (ebd.) ist. Verfassungsrechtlich sei die Etablierung eines Rechts auf Selbsttötung und Sterbehilfe nach Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG zumindest nicht ausgeschlossen.

Die Darstellung der Rechtslage in den USA in Teil III (54-184) wird nach einem kurzen historischen Rückblick wiederum in rechtliche Behandlung und verfassungsrechtliche Fragen untergliedert. Ein eigenes Gewicht kommt der Frage zu, ob aus dem Gleichheitsgebot des 14. Zusatzartikels und dem amerikanischen Common Law ein Recht auf medizinische Selbstbestimmung abzuleiten sei, das auch das right to die einschließe. Eine solche Herleitung sei derzeit umstritten, auch wenn in Einzelfällen entscheidungsfähigen Patienten ein Recht auf Beteiligung an einer Selbsttötung zugestanden werde. Insgesamt wird aus der differenzierten Darstellung der Rechtslage in den USA deutlich, dass die rechtspolitische Diskussion auch nach den neuesten Entscheidungen des Supreme Court bezüglich eines right to die noch lange nicht abgeschlossen (182) ist. Allerdings sei ein Recht auf passive Sterbehilfe bereits etabliert, während die öffentliche Diskussion derzeit um die Problematik der Beteiligung an der Selbsttötung geführt werde.

Als Ergebnis des vierten vergleichenden Teils (185-197) konstatiert die Vfn., dass analog der amerikanischen Erfahrungen die konsequente richterliche Ausgestaltung, d. h. die verfassungsrechtliche Anerkennung, eines right to die im Sinne passiver Sterbehilfe auch in Deutschland zu einer Humanisierung des Sterbens führen könne. Durch verminderte Rechtsunsicherheit könnten die Entscheidungen über Nichtausweitung oder Abbruch von Behandlungsmaßnahmen eher im Konsens gefunden werden. So mache die amerikanische Erfahrung die Notwendigkeit der Verankerung eines Rechts auf passive Sterbehilfe im deutschen Grundgesetz (195) deutlich. Der Kompetenzkonflikt zwischen Judikative und Legislative wird folglich im Sinne einer weitgehenden Prärogativen der Legislative entschieden, während die Judikative einer einzelfallbezogenen Prüfung und der Sicherstellung der Mitwirkung relevanter politischer Gruppen am Verfahren dienen könne.

Der Wert der Arbeit liegt in ihrer differenzierten Darstellung der Rechtslage in Deutschland und in den USA unter Einbeziehung der einschlägigen Urteile und der verfassungsrechtlichen Diskussion. Die Vorgehensweise im Einzelnen lässt allerdings Fragen offen:

So wird bereits die begriffliche Klärung sehr knapp vollzogen, die Zuordnung der indirekten Sterbehilfe zur aktiven Euthanasie ist alles andere als unumstritten. Die Reflexion der methodischen Zugangsweise wird ebensowenig geboten wie eine rechtsphilosophische Erörterung der relevanten Grundfragen (z. B. aktiv-passiv-Differenz). Ferner ist die Gewichtung der einzelnen Teile nicht leicht nachzuvollziehen: Die Darstellung der Rechtslage in den USA im 3. Teil macht fast dreiviertel des Buches aus, während der Vergleich der deutschen und amerikanischen Rechtslage auf nur gut 10 Seiten abgehandelt wird. Dies ist gerade angesichts der Ausgangsfragestellung zu kritisieren, als die Vfn. mit dem Ziel angetreten war, den Ertrag der weitreichenden Erfahrungen in den USA für die deutsche rechtliche Behandlung der Sterbehilfe nutzbar zu machen.

Vor allem muss problematisiert werden, dass die Vfn. den Eindruck erweckt, als könnten die Rechtsfragen unter Absehung der medizinischen, philosophisch-theologischen oder gesellschaftspolitischen Debatten diskutiert werden, denn selbst einschlägige Arbeiten aus den Nachbardisziplinen (z. B. F. J. Illhardt, u.a., Sterbehilfe - Handeln oder Unterlassen, Stuttgart 1997; M. Zimmermann-Acklin, Euthanasie. Eine theologisch-ethische Untersuchung, Freiburg i. Br. 1998) werden nicht wahrgenommen. Die neuen Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK) zur ärztlichen Sterbebegleitung (1998) werden nur sehr selektiv rezipiert, der Grad ihrer Rechtsverbindlichkeit hingegen gar nicht diskutiert (Weiß die Vfn. nicht, dass es bereits 1979 und 1993 Richtlinien der BÄK gab?). Das im Rahmen der Sterbehilfe-Debatte intensiv diskutierte Anwendungsfeld der Früheuthanasie wird ganz ausgespart, was insofern unverständlich ist, als hier bereits vor Jahren rechtliche Grundsatzfragen zur Sterbehilfe im interdisziplinären Verbund und internationalen Austausch diskutiert wurden (vgl. ,Einbecker Empfehlungen': Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bei schwerstgeschädigten Neugeborenen, hrsg. von H. D. Hiersche u. a., Berlin 1987). Das Plädoyer zur Einbeziehung von medizinischen, moralischen und rechtspolitischen Gesichtspunkten (196) im Schlusswort wendet sich deshalb als offene Rückfrage an das vorstehende Werk selbst zurück.

Die Monographie ist dem an der Problematik interessierten Juristen in ihrer differenzierten Darstellung zu empfehlen und trägt zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs einige relevante rechtliche Aspekte bei. Ob es ihr jedoch gelingt - wie die Vfn. selbst beabsichtigt -, dem Leser ... ein Fundament für eine eigene Entscheidungsfindung (197) zu geben, muss angesichts der einseitigen Zugangsweise offen bleiben.