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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

661–663

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Arntz, Klaus

Titel/Untertitel:

Unbegrenzte Lebensqualität? Bioethische Herausforderungen der Moraltheologie.

Verlag:

Münster: LIT 1996. XII, 468 S. gr.8 = Studien zur Moraltheologie, 2. Kart. DM 58,80. ISBN 3-8258-2930-8.

Rezensent:

Sigurd Martin Daecke

Der Begriff Lebensqualität hat in den letzten Jahrzehnten in der Politik, der Ökonomie, der Ökologie, den Sozialwissenschaften, der Medizin, der philosophischen Ethik und auch der theologischen Sozialethik eine wichtige Rolle gespielt. Daher ist es verdienstvoll, dass diese moraltheologische Münsteraner Dissertation die Diskussion von Lebensqualität unter interdisziplinärem Aspekt und mit großer Sachkenntnis auch der philosophischen und medizinischen Ethik darstellt und theologisch beleuchtet.

Sie beginnt mit einer Rekonstruktion der historischen Genese des Begriffs Lebensqualität, der zu einem wichtigen Indikator eines umfassenden, in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen beobachtbaren Paradigmawechsels geworden ist: von einer rein ökonomisch-materiellen hin zu einer mehr ökologisch-ideellen Betrachtungsweise der Wachstums- und Fortschrittsproblematik. Der Begriff quality of life" spielte bereits in den 50er Jahren in der US-Politik eine Rolle und wurde später im Kontext der ökonomisch-ökologischen Wachstumsdiskussion der 70er Jahre (Club of Rome") zum politischen Leitbegriff, zum kritischen Korrektiv eines die Lebensbedingungen gefährdenden grenzenlosen Wachstums.

Während im restlichen 1. Kapitel das Konzept der Lebensqualität in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie dessen Konsequenzen für die Sozialethik dargestellt werden, behandelt das 2. Kapitel Lebensqualität als therapeutische Variable in der Medizin sowie die Folgerungen für die medizinische Anthropologie.

Kern des 3. Kapitels über Lebensqualität im praktisch-philosophischen Diskurs sind der Entwurf einer philosophischen Ethik der Qualität des Lebens bei Peter Singer und A.s kritische Auseinandersetzung damit. Singers umstrittene Ethik, die auf jegliche metaphysische und religiöse Prämissen verzichtet und der christlichen Ethik der Heiligkeit des Lebens entgegengesetzt ist, führt zu einer fundamentalen Infragestellung traditioneller ethischer Konzepte und zur Krise des überlieferten Personbegriffs der philosophischen Ethik. Denn nach Singer können Tiere, können nichtmenschliche Lebewesen in der Hierarchie des Lebens einen höherrangigen Platz als Menschen haben, denen Singer nicht in jedem Falle notwendig den Personenstatus und damit das Lebensrecht zuspricht. Denn das Leben hat für ihn keinen Wert in sich, ist nicht heilig. A. setzt sich kritisch ebenso mit den theoretischen Grundlagen (etwa reduktionistischer Personbegriff, problematischer Interessenbegriff, Präferenz-Utilitarismus bei Singer) auseinander wie auch mit den praktisch-ethischen Folgerungen etwa für Euthanasie, Sterbehilfe, Abtreibung und den Wert des Lebens von Behinderten.

Das alles zielt bereits hin auf das umfangreichste 4. Kapitel Lebensqualität in theologischer Perspektive. Die Moraltheologie kann nicht hinnehmen, dass die Ethik der Qualität des Lebens die traditionelle Konzeption von der Heiligkeit des Lebens ablösen und ersetzen will. Aber es gelingt A., beide Vorstellungen zu vermitteln. Er begründet auch das Konzept der Lebensqualität schöpfungs-, inkarnations- und kreuzestheologisch und zeigt so, dass die Heiligkeit des Lebens und die Sorge um die Qualität des Lebens ... keine unversöhnlichen Widersprüche sind und es also keine strenge Dichotomie der beiden Konzepte geben darf. Vielmehr handele es sich nur um zwei unterschiedliche argumentative Strategien.

Abschließend richtet A. den Blick wieder auf die praktische Ethik und zeichnet Konturen einer moraltheologisch legitimen Berücksichtigung der Qualität des Lebens, indem er Lebensqualität als Behandlungsqualität in der Medizin und als Sterbequalität interpretiert und im Gegensatz zu Singer Lebensqualität mit Lebenssinn verknüpft. So führt die theologische Perspektive der Lebensqualität - das eigentliche Thema dieses Buches - in eine geistliche Dimension, in eine spirituelle Lebensqualität, zum Glauben an einen letzten Sinn des Lebens, heißt es abschließend.

Trotz der für eine katholische Bioethik charakteristischen dezidierten Anthropozentrik des Ansatzes ist die Arbeit auch für die evangelische Ethik von großem Nutzen, zumal eine entsprechende Untersuchung hier fehlt. Die vermittelnde Position ist für den Leser im allgemeinen überzeugend, und er wird - z. B. über die Singer-Kontroverse - umfassend informiert. Schwächen hat das - für eine Dissertation sehr gut lesbare - Buch nur bei der ärgerlich unprofessionell erstellten Druckvorlage, die den optischen Eindruck verdirbt.