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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

660 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Andersen, Svend

Titel/Untertitel:

Einführung in die Ethik. Übers. aus dem Dän. von I. Oberborbeck.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2000. XII, 333 S. 8 = de Gruyter-Studienbuch. Kart. DM 39,80. ISBN 3-11-015073-5.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Ausgehend von der Einsicht, dass ethische Probleme alle Menschen betreffen, legt Andersen, Ethiker und Religionsphilosoph in Aarhus, mit dem hier vorzustellendem Werk ausdrücklich kein Lehrbuch einer rein theologischen Ethik vor. Vielmehr geht es ihm um die gegenseitige Berücksichtigung von philosophischer und theologischer Ethik, wobei sich letztere - und hierin manifestiert sich Dänemark als Herkunftsort dieses Buches- besonders auf die lutherische Ethik fokussiert. Die spezifische theologische Intention Andersens fasst sich in folgende Frage zusammen: Kann auf lutherischer Grundlage eine Ethik formuliert werden, die sich auf dem Niveau der Bedingungen für das Denken am Anfang des 21. Jahrhunderts befindet? (16)

Um zur Beantwortung der Frage zu kommen, setzt A. nicht bei der aktuellen Diskussion ein, sondern zeichnet, nach notwendigen Begriffserklärungen, Hauptpositionen ethischer Theoriebildung nach. Er setzt ein mit der klassischen griechischen Ethik und stellt ihr verschiedene Gestalten biblischer Ethik entgegen, deren durchgehendes Motiv formal benannt wird: Der letzte Grund derjenigen Normativität, der menschliches Handeln unterstellt ist, ist das rettende Handeln Gottes in der Geschichte (74). Die Synthese zwischen griechischer und biblischer Ethik wird anhand der Lehre von der lex naturalis bei Thomas von Aquin dargestellt. Hier sind die grundlegenden ethischen Vorschriften rational einsehbar und - theologisch - schöpfungsmäßig gegeben.

Von der christologisch begründeten Auffassung Luthers dagegen reicht es nicht aus, den Dekalog nur vom natürlichen Gesetz aus zu beurteilen. Durch den Hinweis auf Melanchthons Ethik mit ihrer Orientierung an Aristoteles und der Aufnahme der Lehre von der lex naturalis weist A. auf die Spannungen bei der Ausbildung der protestantischen Ethik hin. Im Anschluss an die reformatorisch-lutherische Position wird nicht die Entwicklung theologischer Ethik verfolgt, sondern an der philosophischen dargelegt, wie sie auf vielartige Weise vom Menschen als dem souveränen Gestalter seines eigenen Daseins (121) denkt. Hobbes, Rousseau, Hume, Kant, aber auch die Bewegungen von Liberalismus und Utilitarismus werden hier reflektiert. Jetzt wird es verständlich, dass das Selbstbewusstsein zu der Größe wird, von der alle Phänomene verstanden werden müssen. Schleiermacher und Kierkegaard werden folglich als Denker vorgestellt, die dem philosophischen Subjektgedanken einen gewichtigen Stellenwert in der theologischen Ethik geben.

In der Folge reflektiert A. die Ethikkritik der neueren Zeit, wie sie durch Nietzsche, Freud, Darwin oder die moderne Soziobiologie vorgenommen worden ist. Diesen Ansätzen werden wichtige philosophische Modelle des 20. Jh.s - von Moore bis Rawls - entgegengestellt, wobei A. durch die positive Würdigung des Buches After Virtue von Alasdair MacIntyre seine Zustimmung zum kontextuellen Denken des Kommunitarismus erkennen lässt. Die Darstellung der philosophischen Ethik des 20. Jh.s gipfelt aber in der Ethik der Interdependenz, die über den Kommunitarismus hinaus zu universellen Reflexionen gelangt, wie es Knud E. Logstrup in seiner Aufnahme der Phänomenologie entwickelt hat. Die theologische Ethik des 20. Jh.s wird leider nur an den Ansätzen von Althaus, Barth, Brunner und wiederum Logstrup ausführlicher vorgestellt, denen sich summarisch bleibende Zusammenhänge der protestantischen Ethik in den USA, der katholischen Moraltheologie und neuen Tendenzen theologischer Ethik anschließen.

Im letzten Kapitel wird die dem Buch zu Grunde liegende Frage nach dem Verhältnis theologischer und philosophischer Ethik wieder aufgenommen. Grundlegend ist A.s Aussage, dass die ethische Theorie einer gegebenen Philosophie in Wirklichkeit eine Reformulierung der christlichen Ethik der Nächstenliebe ist (319). Unter Aufnahme des übergreifenden Konsenses Rawls lässt sich damit die religiöse Ethik nicht als ausschließende Alternative zu einer philosophischen verstehen, wobei Andersen sie durch den Praxis-Bezug immer auf eine partikulare Gemeinschaft bezogen sieht. Die Vermittlung einer lutherisch geprägten theologischen Ethik zur philosophischen gelingt dadurch, dass das religiöse Gebot der Nächstenliebe sich säkular in der goldenen Regel zusammenfasst. Aus theologischer Sicht muß die Frage an die Philosophie somit sein, wie sie einerseits der Goldenen Regel einen zentralen Platz innerhalb der ethischen Theorie einräumen kann, und dies andererseits so tun kann, daß die Theorie mit der Nächstenliebe übereinstimmt (322).

A. hat mit seiner Einführung wichtige Grundlinien theologischer und philosophischer Ethik in ihrer gegenseitigen Beziehbarkeit dargelegt. Wie von ihm vorgesehen, etwa als Begleitlektüre zu ethischen Hauptvorlesungen ist dieses Buch gut geeignet, gerade auch wegen seiner eingängigen Lesbarkeit. Beim Bedenken der Intention dieses Buches stellt sich allerdings sein Titel als Einführung in die Ethik als zu weit heraus. Es ist aber im Rahmen lutherisch geprägten Denkens gut geeignet, notwendige Bezüge der Ethik zur Philosophie exemplarisch aufzuzeigen. Die Ausführungen über Ansätze theologischer Ethik im 20. Jh. hätte man sich gern vielseitiger gewünscht. Für die hiesige Anwendbarkeit dieses Buches wäre zudem eine weitere Ergänzung der Literaturangaben durch deutschsprachige Titel wünschenswert gewesen, um so das eigenständige Ein- und Weiterarbeiten in ethische Problemzusammenhänge zu erleichtern.