Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

658–660

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wiebel, Arnold

Titel/Untertitel:

Rudolf Hermann (1887-1962). Biographische Skizzen zu seiner Lebensarbeit.

Verlag:

Bielefeld: Luther 1998. 348 S. m. Abb. gr.8 = Unio und Confessio, 21. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7858-0408-3.

Rezensent:

Uwe Rieske-Braun

Das Werk Rudolf Hermanns ist für den größten Teil der nachwachsenden Theologengeneration fast unbekannt, urteilte Horst Beintker in der ThLZ 1978, 103, 1). Dieses Urteil ist durch den 1992 edierten Briefwechsel zwischen R. Hermann und Jochen Klepper und vor allem mit der Dissertation von Heinrich Assel (1994) relativiert worden, der die Aufmerksamkeit auf den anderen Aufbruch der Weimarer Zeit lenkte. Im uvre der Lutherrenaissance, der R. Hermann zugerechnet wird, erschließt sich eine in engagierter theologischer Bemühung kreative, eigenständige und anregende Gedankenwelt, deren Substanz und Wirkung kaum verblasst ist und eine weitergehende eingehende Kenntnisnahme reich belohnt: Der interpretatorische Nachvollzug dieser mühsamen theologischen Selbstaufklärung, die Schritt um Schritt die idealistischen und liberalen Problemstellungen hinter sich läßt, verlangt Geduld, schrieb H. Assel 1994: Doch zeigt sie dafür paradigmatisch einen - etwa gegenüber der Dialektischen Theologie ganz eigenständigen Weg ins theologische 20. Jahrhundert. (311)

Die biographischen Skizzen A. Wiebels vertiefen und erweitern Kenntnisse über die eminent anregende Lebensarbeit des 1887 in Barmen geborenen Pfarrersohnes Rudolf Hermann, der sich zu den Prägungen seiner kirchlichen Heimat in der preußischen Union lebenslang bekannte, bei Carl Stange über die Geschichtstheologie Wilhelm Herrmanns promovierte und mit Studien und Veröffentlichungen seit 1921 stetig an Luthers Rechtfertigungslehre anknüpfte. Hermann wurde nach einer Lehrtätigkeit am Theologen-Konvikt Breslau Ende 1926 als Ordinarius für Systematische Theologie nach Greifswald berufen, stand 1933 der kirchenpolitischen Gruppierung Evangelium und Kirche nahe, in der sich die Jungreformatorische Bewegung gegen die Deutschen Christen zusammengeschlossen hatte. In der Bekennenden Kirche hatte er zahlreiche synodale Funktionen, die er auf Grund von Differenzen über den kirchenpolitischen Kurs der BK 1935 niederlegte, 1938 nach Kritik am bruderrätlichen Flügel schließlich auch seine Mitgliedschaft aufkündigte. In den Jahren 1939-42 engagierte er sich in der Pfarrerfortbildung, wurde nach Kriegsende an der wiedereröffneten Universität Greifswald Dekan der Theologischen Fakultät und erhielt 1953 einen Ruf an die Humboldt-Universität Berlin.

Auf diese bewegte Biographie wendet W. acht Skizzen, die, ohne die chronologische Reihenfolge einzuhalten, bei einzelnen Jahren des Hermann'schen Lebenslaufes einsetzen und sich in der biographisch-deskriptiven Darstellung vorwiegend auf Materialien aus dem Berliner Hermann-Nachlass stützen. Zudem werden in einem Resümee (174-195) bleibende Themen aus H.s Lebensarbeit vorgestellt, die der Vf. unter den Begriff der Verantwortung vor jedermann stellt. Etliche der ausgewerteten, überwiegend unveröffentlichten Quellen sind bereits in die Darstellung eingearbeitet und werden hier ausführlich zitiert und interpretiert, sind zudem in einem Anhang eigens ediert. Hier finden sich Briefe aus der Korrespondenz mit Martin Niemöller, Hans Asmussen, Gerhard Kittel, Erich Seeberg, Karl Barth, Hans Joachim Iwand und Richard Hönigswald, zudem autobiographische Notizen Hermanns aus seinem Tagebuch, Exposés nebst tabellarisch aufgelisteten Vorlesungen, Seminaren, Vorträgen und Aufsätzen Hermanns. Eine Bibliographie sowie Zeugnisse, die Hermanns Wirkung auf Schüler und Zeitgenossen belegen, finden sich vor dem Personen-Register und einem unerwartet am Ende des Buches zu findenden biographischen Überblick.

Aus W.s Darstellung lässt sich über die innere Genese der Theologie Hermanns nur wenig Neues lernen. Seine Skizzen bieten vorwiegend eine Reihe von sorgfältig recherchierten, biographischen Details vor allem aus den prägenden Lebensbeziehungen Hermanns. Nicht alle Beobachtungen und Aspekte aus den Beziehungen zur Mutter, zur Verlobten und späteren Ehefrau Milli Meis wie zu befreundeten Theologen, vorrangig zu Hermann Haußleiter (116-133) erscheinen belangreich, stehen neben Versuchen zur Einordnung und Interpretation seiner Haltung im Kirchenkampf, die dann aber doch zeitgeschichtlichen Annäherungswert gewinnen. Sein mit einem zeittypischen, unterschwellig latenten Antisemitismus amalgamierter Nationalismus hinderte Hermann nicht daran, gegen die Amtsenthebungen von schlesischen Pfarrern zu protestieren, obgleich er noch 1937 dem gottgestifteten, vaterländischen Staat eine unverlierbare Treuhänderschaft für die Gemeinschaftsaufgaben des Volkes zubilligte. Es ist leicht vorstellbar, dass Hermann mit dieser Option in Dissens geriet zum dahlemitisch geprägten, bruderrätlichen Flügel der BK, von dem er sich 1937 offen distanzierte. Insbesondere die Erhaltung der Pfarrerausbildung an den staatlichen Fakultäten war Hermann ein bleibend wichtiges Anliegen (74), an der er auch in seinem akademischen Lehramt festhalten wollte - obgleich er bereits im Juli 1934 den befreundeten Erich Seeberg brieflich bat, im Falle einer drohenden Amtsenthebung durch die Reichskirchenregierung auf seine Erhaltung nicht bedacht zu sein ... Ich würde mir sonderbar vorkommen, wenn ich irgendwo sitzen bliebe, wenn meine Freunde hinausmüssen (219).

Es ist ein beeindruckend eigenständiger und ganz unprätentiöser Lebensweg, den die Skizzen W.s an einigen Stationen, oft aber über diese hinausgreifend verfolgen. Hermann suchte stets und unbeirrt seinen eigenen Weg - in seinen theologischen Studien wie in der BK und warb für seine Position brieflich im November 1934 etwa gegenüber Karl Barth, dessen pauschalierende Verurteilung von Theologen des 19. Jh.s Hermannn nicht billigte: ... bedenken Sie, daß es auch andere Überzeugungen innerhalb unserer bekennenden Kirche gibt. Er warnte den theologisch tonangebenden spiritus rector der BK 1934 vor einer Adaption des Gleichschaltungsprinzips auf die Kirche. Man vermag die Faszination des Vf.s für diesen ganz unerschrocken an der eigenen Überzeugung orientierten, kreativen und immer auf klare Differenzierungen drängenden Theologen nachzuempfinden, der in Briefen und Veröffentlichungen keine Mühen scheute, seine in eindringendem Nachdenken gereifte Position sprachlich und gedanklich präzise und nuanciert zu entwickeln. Hermann zeigte ein Maß an Verantwortung auch für die eigene Predigtarbeit, das in seiner dialogischen Konzentration und zeitintensiven Genauigkeit beispielhaft ist. Seine Breslauer Konviktspredigten haben nicht nur auf Jochen Klepper und Hans-Joachim Iwand bleibend gewirkt, sondern überdies auf eine Reihe von Schülern. Es ist verdienstvoll, dass W. eine unveröffentlichte Konviktsandacht Hermanns über Hebr 3, 7-9 vom November 1922 wiedergibt, die vom homiletischen Esprit ihres Predigers etwas spüren lässt. Er habe seine Schüler gelehrt, so schrieb Hans-Joachim Iwand 1957, wie man die Strenge des Denkens mit der Unbedingtheit und Tiefe des Glaubens zu verbinden hat. Man kann den Früchten dieses Geistes nur ein weitergehendes Studium wünschen.