Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

657 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Werner, Ilka

Titel/Untertitel:

Calvin und Schleiermacher im Gespräch mit der Weltweisheit. Das Verhältnis von christlichem Wahrheitsanspruch und allgemeinem Wahrheitsbewußtsein.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. 299 S. 8. Kart. DM 78,-. ISBN 3-7887-1757-2.

Rezensent:

Reinhard Leuze

Folgt man den Prämissen der Dialektischen Theologie, dann lassen sich Calvin und Schleiermacher nur als unvereinbare Antipoden betrachten. Der Zugang zur reformatorischen Einsicht ist nur möglich, wenn man Schleiermacher vernachlässigt oder ihm widerspricht. Es ist ein Verdienst der in Wuppertal entstandenen Dissertation, dass sie diese Entgegensetzung kritisch beleuchtet und in eingehenden Überlegungen grundlegende Gemeinsamkeiten von Calvin und Schleiermacher aufweist. Die Vfn. zeigt immer wieder, wie sehr Barth und andere Vertreter der von ihm bestimmten Richtung eigene theologische Grundsätze zum Maßstab der Interpretation erhoben haben, statt mit der nötigen Unbefangenheit darauf zu hören, was die Texte wirklich sagen (vgl. 30 ff.38.133 ff.218 u. a.).

Natürlich steht sie mit ihrer Zuordnung der beiden Theologen nicht allein: Sie verweist selbst auf wichtige Arbeiten im angelsächsischen Bereich, die in dieselbe Richtung zielen (138f.). Indem sie die für Calvin wie für Schleiermacher grundlegende Verwiesenheit des Menschen auf Gott hervorhebt (237 ff.), stellt sie sich in eine ältere dogmengeschichtliche Tradition, die von Namen wie Heppe und Seeberg repräsentiert wird (247).

Trotzdem darf der von ihr erbrachte selbständige Beitrag zur Forschung nicht übersehen werden. Er besteht vor allem darin, dass die Vfn. die literarische Form der von ihr behandelten Texte in ihre Betrachtungen einbezieht und so, im Anschluss an literaturwissenschaftliche Darlegungen Wolfgang Isers, gerade im Blick auf die Institutio Calvins neue Ergebnisse erzielt (86 ff.).

Die Betonung der Gemeinsamkeit beider Theologen darf natürlich den Blick für die grundlegenden Unterschiede nicht verdecken. Die Vfn. ist sich über sie durchaus im Klaren (vgl. z.B. 251 ff.), ordnet sie aber mehr einem jeweils anderen geistesgeschichtlichen Kontext zu als einer prinzipiell divergierenden Theologie.

Wenige kritische Anmerkungen möchte ich hinzufügen: Trotz gebetsmühlenhafter Wiederholung (17. 23. 229 f. u. a.) wird nicht deutlich, was die Behauptung besagen soll, es gehe darum, das Evangelium zu bewähren, nicht es zu bewahrheiten. Wie soll sich eine Bewährung anders vollziehen als in der Weise, dass im Horizont einer umfassenden Wahrheit die Eigenart des christlichen Glaubens verständlich wird?

Vielleicht ist die an dieser Stelle ungenügende systematische Reflexion der Grund dafür, dass der Schluss der Arbeit das Niveau des zuvor Gesagten nicht zu halten vermag. Während die Vfn. zunächst den Unterschied unserer Zeit zu Calvin und Schleiermacher darin sieht, dass es ein allgemeines Wahrheitsbewusstsein nicht mehr gibt (281), will sie diese Analyse wenige Zeilen später auch für Calvin gelten lassen (281 f.). Soll damit zu guter letzt Calvin als der aktuellere Denker ins Rampenlicht der theologisch interessierten Öffentlichkeit gehoben werden? Die Hoffnung auf den Zuspruch der Religion angesichts der Zersplitterung der Weltweisheit (283) dürfte nicht genügen, wenn man den Problemen dieser Zeit argumentativ begegnen will.