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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

649–651

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hauschild, Wolf-Dieter

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. 2: Reformation und Neuzeit.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. XVII, 978 S., 13 Abb. u. Ktn. gr.8. Geb. DM 98,-. ISBN 3-579-00094-2.

Rezensent:

Ekkehard Mühlenberg

Das Lehrbuch, dessen zweiten Band Hauschild vier Jahre nach dem ersten Band (vgl. ThLZ 122, 1997, 45-48) erscheinen lassen konnte, ist umfangreich und gleichmäßig geordnet. Die Geschichte von der Reformation bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges ist in 10 Paragraphen eingeteilt, deren jeder etwa 90 Seiten umfasst und variierend zwischen 13 und 16 Kapitel aufweist. Jedem Paragraphen geht eine Grundsatzerklärung mit Problemskizze (2 Seiten), eine gegliederte Zeittabelle (1 Seite) und eine geographische Abbildung voraus. Die Abfolge der Themen ist teils chronologisch, teils sind Längsschnitte gewählt.

Die Stoffmasse von fünf Jahrhunderten, die in die zehn Paragraphen aufgeteilt wird, ist also thematisch aufgebrochen, insofern chronologische Zusammenhänge auseinandergerissen werden und sich einerseits Überschneidungen, andererseits Lücken ergeben, was natürlich niemand ganz vermeiden kann. Normale Drucktype soll das Grundwissen enthalten, in Kleindruck wird Ergänzungswissen geboten. Das Grundwissen mache ein Drittel des Umfangs aus, wie in den Benutzungshinweisen versichert wird, d. h. etwa 300 Seiten. Man könnte auch sagen, dass das Grundwissen die dosierte Lehre für die Lernenden ist, das Ergänzungswissen im Kleindruck dagegen lexikonartigen Kompendien zu herausgehobenen Stichworten entspricht. Die Anlage erweckt den Eindruck, dass mehr ein Nachschlagewerk denn ein Lernbuch vorgelegt wird.

Das Lehrbuch, das zugleich Lernbuch sein soll, bemüht sich um konsensorientierte Beschreibung der Sachverhalte. Das wirkt sich auch auf die Themen der Paragraphen aus. Der Vf. ist zwar darum bemüht, Grundwissen mehr auf Schlagworte als auf Einzelfakten auszurichten, aber das kleingedruckte Ergänzungswissen ist mit Fakten und Namen in nicht-erzählendem Stil so durchtränkt, dass es nur begrenzt die fettgedruckten Schlagwörter erläutert. Die Grundwissenabschnitte erscheinen als eine Aneinanderreihung von Aussagen, während die Begründungszusammenhänge nicht in die Beschreibungen eingegangen sind.

Der erste Paragraph ( 11: Anfänge der Reformation in Deutschland) will laut Einführung die Profilierung eines neuartigen Kirchentyps, eines dritten Typus von Christentum in seiner Entstehung vorführen. Dazu wird hingewiesen auf einen Anfang, den Luthers frühe Reformation machte, die ihrerseits zum Kern einer evangelischen Bewegung wurde. Thema sei die Reform der Kirche, die im Humanismus eingebettet gewesen sei, ihre Argumentations- und Motivationsbasis aber in Luthers neuer Theologie gehabt habe.

Dem Anfang, der die Zeit von 1517 (Ablassthesen) bis 1525 (Bauernkrieg) umfasst, folgt mit 12 (Politische Reformation und konfessionelle Spaltung Deutschlands) die Durchführung der Reformation, die 1526 mit dem Reichstag zu Speyer einsetzt und mit dem politischen Ergebnis des Westfälischen Friedens 1648 endet. In 13 wird eine europäische Umschau von 1522 in Zürich bis 1688/89 Toleranzakte in England zugefügt.

Dann, in 14 auf Seite 271, wird Die Theologie der Reformatoren (Luther, Zwingli, Calvin) dargestellt. Von den 15 Kapiteln dieses Paragraphen ist eines Melanchthons Systematisierung gewidmet. Die neue Theologie, die die Argumentations- und Motivationsbasis für die Absage an das bisherige kirchliche System der Heilsvermittlung, Sinnstiftung und Lebensnormierung bildete (1), kommt also erst zum Vorschein, nachdem eigentlich alles gelaufen ist. Es vermittelt sich der Eindruck, dass Mentalitäten und Strukturänderungen ohne die Argumentations- und Motivationsbasis im Bereich christlicher Selbstreflexion entstehen. Dem scheint zu entsprechen, dass die reichspolitischen Kräfte sowohl für die Kirchenspaltung wie auch für die protestantische Kirchwerdung benannt werden. Woher will H. wissen, dass damals die Christen, wären sie nur unpolitisch gewesen, ihre Glaubensüberzeugungen derart verändert hätten, dass sie alle in die Erneuerung der einen Kirche hätten eingehen können?

Der Theologie der Reformatoren folgt die Dogmengeschichte ( 15) mit dem Schlagwort Konfessionalisierung, und es werden einerseits die Bekenntnisbildungen des 16. Jh.s, andererseits die Aufklärung als das Ende evangelischer Dogmengeschichte präsentiert.

Für die Kirchengeschichte des 17. und 18. Jh.s wird der Stoff thematisch geteilt: erst die staatsrechtlichen Entwicklungen ( 17), dann die Frömmigkeitsgeschichte ( 18). Eigenwillig sind die Kategorien für das 19. Jh. ( 19: Staatskirche und Vereinskirche), provozierend diejenigen für das 20. Jh. ( 20: Volkskirche und evangelische Identität). Den Begriff Volkskirche kirchengeschichtlich hervorzuheben, halte ich für richtig. Ich nehme den Notbehelf hin, die Geschichte des römischen Katholizismus in einem evangelischen Lehrbuch zu einem Längsschnitt zusammenzufassen ( 16).

Eine Anzeige kann die umfangreiche Stoffpräsentation nicht gebührend würdigen. Jedoch seien zu Anlage und Intention kurze Bemerkungen angefügt.

Die Anlage des zweiten Bandes des Lehrbuchs verdankt sich dem Konzept, dass das Christentum keine Größe ist, die in sich selber abschließend definierbar sei. Christentum sei Religion, bestimmbar durch die Überzeugung der Christen, dass Jesus der Christus Gottes ist. In den Bekenntnisbildungen der Reformationszeit haben die protestantischen Christen zum letzten Mal ihre Überzeugung als heilsnotwendige Wahrheiten, d. h. als Dogmen, formuliert; obwohl schon dort gebrochen durch den Rückverweis auf die Bibel und die altkirchlichen Bekenntnisse unterliege dann das protestantische Christentum einem Mentalitätswechsel, der als neuzeitliche Subjektivität gekennzeichnet sei. Wenn die innere Lebendigkeit des Christentums so weitgehend von theologischer Selbstbesinnung abstrahiert wird, rücken die geschichtlichen Phänomene des Christentums in die Kategorien von Mentalitäten (philosophischer Zeitgeist und Frömmigkeit) und Strukturen (Organisationsformen). Und wenn noch angenommen wird, dass die das Christentum übergreifende Kultur die christentumsgeschichtlichen Veränderungen determiniert, tendiert die genuin kirchengeschichtliche Darstellung zu Information und zur Registrierung von Fakten, der H. das Leitmotiv von Dechristianisierung und Rechristianisierung gibt.

Ein bedenkliches Symptom dieser Konzeption scheinen mir die völlige Unterbelichtung von Schleiermachers Theologie zu sein, die Reduktion von A. Ritschl in eine kleingedruckte Klammer - und kein Adolf Harnack mit Dogmengeschichte und Das Wesen des Christentums. Die Theologiegeschichte soll prinzipiell fast keinen Einfluss auf kirchengeschichtliche Vorgänge gehabt haben, stellt das Vorwort fest: Die Theologiegeschichte wird hier nur insofern berücksichtigt, als sie zur Vorgeschichte der solennen Lehrfixierung gehört oder einen unmittelbaren Bezug zu kirchengeschichtlichen Vorgängen aufweist. Daraus erklären sich viele Lücken, die man insbesondere zum 18.- 20. Jh. finden wird.

Im Studium der Theologie soll Kirchen- und Dogmengeschichte gelernt werden; dazu hat H. ein Lehrbuch geschrieben. Ob daraus fruchtbar für Pfarramt und Lehramt gelernt werden kann, wird die Praxis derer zeigen, die sich mit diesem Buch auf das Examen vorbereiten wollen. Farbstifte werden ihnen durch die Druckeinrichtung erspart, aber zum Verstehen werden sie viel Findigkeit einsetzen müssen.