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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

648 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Carelli, Roberto

Titel/Untertitel:

La libertà Colpevole. Perdono e peccato nella teologia di Hans Urs von Balthasar. Prefazione di S. Ubbiali.

Verlag:

Milano: Glossa 1999. XVII, 423 S. gr.8 = Dissertatio, 8. Lit 45000. ISBN 88-7105-100-9.

Rezensent:

Fulvio Ferrario

Die als Dissertation an der Facoltà Teologica Cattolica von Mailand vorgelegte Arbeit Roberto Cantellis bewegt sich auf dreifacher Ebene. Zunächst ist sie ein Beitrag zur Theologie Hans Urs von Balthasars, die in ihrer vollen Weite und Komplexität berücksichtigt wird, wenn auch aus der besonderen Sicht der Sündenlehre und demnach aus anthropologischer Perspektive. An zweiter Stelle weist sich die Arbeit als eine Studie über die Anthropologie der schuldhaften Freiheit aus: Der kritische Dialog mit v. Balthasar führt den Autor dazu, die Grundzüge einer Lehre von der Endlichheit als Ort der Offenbarung des Geschenkcharakters sowohl der Gnade als auch - im entgegengesetzten, pervertierten Sinn - der Schuld zu entwickeln; gerade da, wo es um die Bewertung der theologischen Bedeutung menschlicher Unvollkommenheit geht, gehen - wie wir sehen werden - C. und v. Balthasar getrennte Wege. Zuletzt beabsichtigt das Buch, eine vom Ansatz her auf der Achse des Verhältnisses zwischen Christologie und Anthropologie fahrende Hinführung zur katholischen Theologie des Bußsakraments zu sein: Hier entwickelt der Autor die Folgen der eigenen anthropologischen Perspektive im Rahmen der Sakramentstheologie.

Aus der Sicht v. Balthasars entzieht sich die Sünde der kritischen Analyse (auch wenn es billig und möglich ist, eine partielle Phänomenologie zu versuchen), auch ist sie nicht ethisch einholbar, sondern vielmehr kann sie nur vom Ereignis der Vergebung im Kreuz Jesu her zu Bewusstsein und Sprache gelangen. Als Bestimmung der schuldhaften Freiheit ist die Sünde nur mit den Begriffen Abgründigkeit und Umsonstigkeit beschreibbar. In letzter Konsequenz ist sie als Ungläubigkeit, Ablehnung des versprechenden Inhalts des Wortes Gottes in Christus eine Verliererwette der bösen Endlichkeit. Mit anderen Worten: Die Sünde entsteht aus einem schuldhaften Missverständnis der Freiheit.

Die Wiedergeburt der Freiheit kraft göttlicher Vergebung wird von v. Balthasar in sakramentaler Perspektive begriffen: Das Bußsakrament ist Begegnungsort der beiden Freiheiten, der Freiheit Gottes und der Freiheit des Menschen, welche in einem Analogieverhältnis (analogia libertatis) zueinanderstehen: in der römisch-katholischen Sichtweise des schweizer Theologen sei besonders hervorzuheben, dass der liturgische Charakter des sakramentalen Ereignisses Ausdruck der Tatsache sei, dass die Offenbarung der Vergebung, in ihrer Eigenheit gnadenhaft, unableitbar und insofern unilateral, keinesfalls aber von der Ausübung glaubender Subjektivität getrennt werden könne (385). C. ist jedoch der Ansicht, dass dieses letzte Element von v. Balthasar unangemessen entwickelt werde, denn das Analogieverhältnis zwischen christologischer und eigentlich anthropologischer Dimension werde nicht in all den sich daraus ergebenden Konsequenzen untersucht, obwohl v. Balthasar seine Zentralität sehr wohl erkenne. Das entscheidende Element seiner Kritik ist folgendes: V. Balthasar gelinge es, theologisch zu beschreiben, wie sich Gott in seiner gnadenhaften Initiative der Vergebung in der menschlichen Endlichkeit zur Sprache bringe; das, was fehle, sei jedoch eine anthropologische Lehre, in der die Endlichkeit als eine Möglichkeit zur Vollendung zur Geltung komme, als eine ursprüngliche Möglichkeit, Vergebung und Verheißung anzunehmen. Die der menschlichen Natur eigentümliche Unvollkommenheit sei nicht korrekt dargestellt von v. Balthasar, welcher den endlichen, begrenzten Charakter der Freiheit unterstreiche, dies aber auf Kosten der Hervorhebung von Endlichkeit als Bedingung menschlicher Freiheit überhaupt. Nach Meinung C.s ist also die Anthropologie v. Balthasars von einer gewissen Resistenz heimgesucht, die analogia libertatis in radikale Begriffe zu fassen: Wenn eine der beiden Freiheiten, in diesem Falle die menschliche, sei ihr auch auf der ihr eigenen Ebene (ganz deutlich anders als die göttliche) eine vollständige wahrhaftige Bedeutung inne, nicht die Authentizität des Miteinanders zwischen Gott und Mensch erreiche, sei das menschliche Sein kompromittiert. Im Klartext, die These C.s etwas überspitzend, hieße das: Nach C. ist die Anthropologie v. Balthasars nicht hinreichend römisch-katholisch, insofern sie dem Menschen nicht das zubilligt, was ihm theologisch gebühre und über das, was der Ausleger die Barthsche Engführung (388) nennt, nicht hinausführe.

Auf den letzten Seiten versucht der Autor über diese Begrenztheit der Anthropologie v. Balthasars hinauszugehen - mit dem Anspruch, Unvollkommenheit und Endlichkeit als Aufgabe, als offenen Raum für die geschenkte Wahrheit Gottes zu interpretieren. Nur dann, wenn die Endlichkeit als solche gut sei, wäre es nach C. auch möglich, Schuld folgerichtig als Bosheit zu interpretieren. Rahnersche Kategorien aufnehmend, ohne dies allerdings näher zu explizieren, will er die Endlichkeit als radikale potentia oboedientialis lesen, welche nur als solche in korrekter Weise in der Sündenlehre zur Sprache kommen dürfe. Das Bußsakrament sei dabei genau der Ort, an dem die so bestimmte Möglichkeit des Menschen liturgisch konkret werde. Wenn Schuld als praktischer Widerspruch der Freiheit zu bestimmen sei, dann könne sie nur in Form der Beichte ausgesprochen werden, und dies könne, nach Meinung des Autors, nur im sakramentalen Bereich gültig geschehen: das Sakrament ist der praktische Ort des Glaubens, weil dort die Differenz von Wahrheit und Freiheit nicht als das, was die Freiheit verspricht, sondern im Gegenteil als das, worin sie gründet, gelebt wird (403).

Wie man sieht, handelt es sich um eine sich streng innerhalb der Koordinaten römisch-katholischer theologischer Anthropologie bewegende Diskussion. Das besondere Interesse für den protestantischen Leser an dieser Arbeit besteht jedoch nicht nur darin, dass sie einen weiteren Kontribut zum besseren Verstehen eines der größten Theologen des ausgehenden Jahrhunderts leistet, sondern auch darin, dass sie das Thema Beichte wieder aufwirft. Mit Ausnahme Bonhoeffers und weniger anderer, ist ja das leidenschaftliche Interesse Luthers an dieser Dimension christlicher Existenz in der protestantischen Tradition verlorengegangen. Wer weiß, ob sich nicht der Begriff der analogia libertatis in seiner ganzen herausfordernden Problematik zu einer Wiederaufnahme in evangelischer Perspektive anböte, die dazu imstande wäre, ein so fahrlässig zensiertes Thema wieder für die innerevangelische Diskussion fruchtbar zu machen?