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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

642–644

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Peace, Richard V.

Titel/Untertitel:

Conversion in the New Testament. Paul and the Twelve.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1999. XV, 397 S. 8. Kart. $ 25.-. ISBN 0-8028-4235-6.

Rezensent:

Jürgen Roloff

In diesem Buch geht es weder, wie der Untertitel auf den ersten Blick vermuten lassen könnte, um das exegetisch vielverhandelte Verhältnis des Paulus zum Kreis der Zwölf, noch, wie der Haupttitel zu verheißen scheint, um eine neutestamentliche Arbeit im strengen Sinn. Sein Vf., Professor of Evangelism and Spiritual Formation am Fuller Theological Seminary, Pasadena (Cal.), will mit ihm vielmehr einen Beitrag zu der speziell in evangelikalen Kreisen angesiedelten Debatte um Wesen, Recht und Möglichkeit jenes religiösen Phänomens leisten, das man als Bekehrung bezeichnet. Er tut das, indem er zwei Beispiele für Bekehrung aus dem NT analysiert, um aus den Ergebnissen Folgerungen für gegenwärtige Evangelisationspraxis zu ziehen: einerseits Paulus nach dem Bericht der Apostelgeschichte, andererseits die Zwölf nach dem Bericht des Markusevangeliums.

Der Rekurs auf das Damaskus-Widerfahrnis des Paulus in Teil I der Untersuchung lag nahe, wurde dieses doch von jeher als zentrales Leitparadigma erwecklicher Evangelisation in Anspruch genommen. Dass dieses als Bekehrung zu verstehen sei, ist auch - trotz marginaler Einschränkungen - die Meinung des Vf.s. Die mehrheitlich in heutiger Exegese vertretene Sicht, wonach es sich zentral um eine Berufung und demnach nicht um das Paradigma einer allen Christen zugänglichen Erfahrunghandelt, weist er emphatisch zurück - ohne freilich stichhaltige Argumente gegen sie vorbringen zu können. Das ist einigermaßen befremdlich, obwohl er sich ausschließlich an der Apg orientiert und die das Berufungsmoment betonenden paulinischen Eigenberichte nur am Rand einbezieht.

Sicher: In der lk Darstellung gewinnt das bei Paulus gänzlich fehlende, erbaulich gewichtete Moment der Bekehrung Raum (was wohl damit zusammenhängt, dass Lukas Paulus nicht als Apostel zu sehen vermag). Aber auch in ihr fehlt doch keineswegs der Hinweis auf den einmaligen, besonderen Auftrag, der bei Damaskus an Paulus ergangen ist (Apg 26,16). Statt - wie es methodisch sachgerecht wäre - die Belegstellen zunächst im Rahmen der lk Theologie zu interpretieren, schließt der Vf. sie mittels des unbegründeten Postulats, die lk Darstellung fuße sicher auf soliden, von Paulus selbst stammenden Informationen, historisch mit der Biographie des Apostels kurz (58 f.). Besonders wichtig wird ihm dabei Apg 26,18, wo er nichts Geringeres als eine paulinisch sanktionierte Bekehrungssystematik finden will, nämlich eine Abfolge von drei Schritten: Einsicht (in die Verfehltheit der bisherigen Lebenssituation), Umkehr (im Sinn von Abkehr von Verfehltem und Hinwendung zu heilvoll Neuem) und Verwandlung (transformation"). Wenn er dieses Schema von der Biographie des Paulus her zu füllen versucht, geht das nicht ohne grobe Verzeichnungen und Rückfälle in heute längst überwunden geglaubte Sichtweisen ab. So verkennt er in dem zum Thema Einsicht Gesagten nicht nur das Gewicht von Phil 3,6, ja er meint sogar, Paulus sei sich seiner Schuld als Mörder bewusst geworden, und er zögert nicht, dies mit historisch zweifelhaften Aussagen über die Verfolgertätigkeit der Apg (9,1; 22,4) zu belegen und darüber hinaus auch noch die Zugehörigkeit des Paulus zu den Pharisäern unter dessen mörderische, satanische Aktivitäten zu verrechnen. Letzteres begründet er ohne viel Federlesens mit deren angeblichem Mord an Jesus (Mt 26,4) und dem johanneischen Jesuswort über ihre Teufelssohnschaft (Joh 8,44) (50 f.). Nach solchen krassen, unreflektierten Antijudaismen verwundert es dann auch nicht mehr, wenn man unter dem Stichwort Umkehr von der völligen Abkehr des Paulus vom Judentum und seiner Gesetzesreligion erfährt.

Teil II ist dem Bericht des Markus über die Bekehrung des vorösterlichen Zwölferkreises gewidmet. Dieser Teil nimmt nicht nur den breitesten Raum ein, er sprengt auch durch manche für den Zusammenhang unwesentliche Details immer wieder den thematischen Rahmen. Das liegt daran, dass der Vf. in ihn seine bislang unveröffentlichte neutestamentliche Dissertation eingearbeitet hat. Die hier vertretene Grundthese läuft darauf hinaus, dass der Leitfaden für den Aufbau des Mk-Ev die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Jesus und den Zwölfen sei. Es gliedere sich nämlich in sechs Einheiten (samt einem Prolog und einem Epilog), in denen jeweils verschiedene Aspekte der Erscheinung Jesu sowie die ihnen entsprechenden Reaktionen des engsten Jüngerkreises thematisiert seien. Jedem dieser korrespondiere ein bestimmtes christologisches Prädikat: Lehrer (1,16-4,34); Prophet (4,35-6,30); Messias (6,31-8,30); Menschensohn (8,31-10,45); Davidssohn (10,46-13,37); Sohn Gottes (14,1-15,39). Darin zeige sich insofern eine aufsteigende Linie, als jedes dieser Prädikate höher greife als das vorhergegangene. Die ersten drei definieren Jesus von seinem Handeln her. Sie waren in ihrem Inhalt für das damalige Judentum durchaus akzeptabel und darum auch für die Jünger sowohl verständlich wie auch unanstößig. Die Glieder der zweiten Trias hingegen beschreiben das Sein Jesu, vor allem sein Verhältnis zu Gott. Sie fielen für die Zeitgenossen aus dem Rahmen und lösten zunächst auch bei den Jüngern Abwehr und Unverständnis aus. Trotzdem will der Vf. in alledem einen kontinuierlichen Lernprozess konstatieren. Am Ende des Evangeliums haben die Jünger alle Daten vor sich (280). Sie haben verstehen gelernt, wer Jesus wirklich ist. Jetzt bedarf es nur noch der abschließenden Aufforderung angesichts des leeren Grabes, nach Galiläa zurückzukehren, um sie ein Leben in wahrer Nachfolge beginnen zu lassen. Sie haben einen mehrstufigen, sich über längere Zeit erstreckenden Bekehrungsprozess erfolgreich durchlaufen.

Der Vf. hat wohl richtig gesehen, dass die Jüngerthematik zentrale Bedeutung für das Mk-Ev hat. Aber auch hier - wie schon in Teil I - verleitete ihn sein Drang, dem Text durch Systematisierung ein in heutigem evangelistischem Kontext verwertbares Schema abzugewinnen, zu erheblichen Verkürzungen und Verzeichnungen. Von einem fortlaufenden, mehr oder weniger kontinuierlichen Lernprozess der Jünger bei Mk lässt sich schwerlich reden, eher vom Gegenteil: Die Jünger bleiben bis zum Ende unverständig; sie fliehen (Mk 14,50). Wenn der Vf. dies und das Weinen des Petrus nach seinem Verrat (Mk 14,72) als Katharsis und Akt der endgültigen Umkehr interpretiert (272), so hat er damit den Text schwerlich auf seiner Seite. Dies ist pures exegetisches Wunschdenken!

Leider erscheint die Feststellung unumgänglich, dass die beiden exegetischen Teile weder methodisch noch inhaltlich dem heutigen Diskussionsstand entsprechen. Zwar fehlt es nicht an Bezugnahmen auf exegetische Literatur, doch sind diese durchweg eklektisch. Eine Fülle (meist älterer) Literatur wird zwar zitiert, doch dies nur insoweit, als sie Belege für Einzelthesen des Vf.s herzugeben scheint. Auf die auch in dieser Literatur durchaus angesprochenen grundlegenden methodischen Probleme der Markus- wie auch der Paulusexegese wird hingegen kaum eingegangen. Erst recht bleiben hermeneutische Fragen hinsichtlich der direkten Übertragbarkeit exegetischer Beobachtungen in die gegenwärtige Situation unberücksichtigt.

Speziell an diesem Punkt liegt das unverkennbare Defizit von Teil III. In ihm nämlich wird solche direkte Übertragung praktiziert und durch Rekurs auf heutige psychologische Einsichten flankiert. Dies ist ein fragwürdiges Verfahren, wenn auch die These, in deren Dienst es gestellt wird, sympathisch berührt. Zwei Formen von Evangelisation werden hier nämlich kritisch einander gegenüber gestellt: Einerseits Encounter Evangelism", d. h. eine vorzugsweise im Rahmen öffentlicher Massenevangelisationsveranstaltungen - etwa nach der Weise Billy Grahams - praktizierte Verkündigung, die auf die plötzliche Bekehrung Einzelner abzielt und sich dabei auf das biblische Modell der Bekehrung des Paulus beruft. Andererseits Process Evangelism", d. h. ein prozesshafter, sich über längere Zeit erstreckender Evangelisationsvorgang, der mehrere Stufen einer spiritual pilgrimage" durchläuft und dessen biblisches Modell das Wirken Jesu an seinen Jüngern nach der Zeichnung des Markus ist.

Der Vf. plädiert nachdrücklich für eine Evangelisationspraxis, die dieser zweiten Form den Vorrang einräumt. Die Argumente, die er dafür geltend macht, sind im Wesentlichen dem Bereich der Psychologie entnommen. Freilich: Sie wenigstens wirken überzeugend. War der ebenso mühsame wie problematische Umweg über die Exegese also wirklich nötig?