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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

639–642

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kelhoffer, James A.

Titel/Untertitel:

Miracle and Mission. The Authentication of Missionaries and Their Message in the Longer Ending of Mark.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XIX, 530 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 112. Kart. DM 128,-. ISBN 3-16-147243-8.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Der Zusatz zum Mk-Ev, die Verse 9-20 des Kap.s 16, werden in den wissenschaftlichen Kommentaren gerne schnell abgehandelt. Als Thema für eine Doktorarbeit erfreuen sich die Verse dagegen besonderer Beliebtheit. Allein zwölf einschlägige Arbeiten, meist ungedruckt, weist K. (484 f., vgl. 18 f. A. 68; 29 A. 114; 45 A. 176) als Dissertationen bzw. Thesen aus. Auch seine eigene Studie gehört zu dieser Gattung, er reichte sie 1998 unter Adela Yarbro Collins an der University of Chicago ein. Der kleine Textabschnitt verlangt, spätestens wenn er mit ähnlichen Texten verglichen werden soll, solide Kenntnisse der christlichen Literatur des 2. Jh.s. In seiner Arbeit zu Mk 16,9-20 hat Joseph Hug diese Quellen breit berücksichtigt, trotzdem verdient die Arbeit K.s nicht nur ihm gegenüber Beachtung.

In seiner Einführung (1-4) schränkt K. sein Thema ein auf den von ihm Longer Ending" (Abk. LE) genannten Abschnitt Mk 16,9-20. Dabei übergeht er den sog. kürzeren (Zusatz-) Schluss, üblicherweise als Mk 16,8conclbr zitiert, im Nestle-Aland nach 16,8 und vor 16,9 abgedruckt, m. E. zu schnell. Dieser Abschnitt hätte auch für Mk 16,9-20 relevante Beobachtungen liefern können, z. B. bei der Datierung. Das Argument Alands (Der Schluss des Markusevangeliums, in: ders., Neu-testamentliche Entwürfe, TB 63, 1979, 264 f.), dass alle Handschriften, die beide Zusätze zum Mk-Ev bieten, immer die Reihenfolge conclbr vor LE lesen, zeigt, dass conclbr in die Geschichte zwischen dem Mk-Ev und dem LE einzuordnen ist.

Es folgt ein Forschungsüberblick (5-46), der auch in Europa schwer zugängliche Arbeiten in die wissenschaftliche Diskussion einordnet. Für Zahn wäre die Darstellung bei U. Swarat: Alte Kirche und Neues Testament. Theodor Zahn als Patristiker, Wuppertal-Zürich 1991, 68 f., hilfreich gewesen.

In den folgenden zwei Kapiteln bespricht K. die Quellen des LE. Zunächst (Kap. 2) arbeitet er den Wortlaut Vers für Vers verfolgend heraus, wo sich für einzelne Vokabeln und Satzteile des LE in der christlichen Lit. bis ca. 180 n. Chr. (so K. 53 A. 13) Ähnlichkeiten feststellen lassen (48-121). Die erhaltenen apokryphen Schriften erklären nach K. (51-65) keines der in LE auffälligen Motive besser als die Annahme, LE habe Mt, Mk, Lk und Joh als Vorlage benützt bzw. imitiert; einzig die Bezeichnung der Jünger als klagend und weinend (Mk 16,10) könnte auch aus EvPetr und EpApost stammen, dürfte aber eher unabhängig als mündliche Überlieferung zu den drei Schriften gewandert sein, wenn nicht gar LE für EvPetr und EpApost vorlag (57-59; 64 f., vgl. 186 f.). Sonst aber imitiert LE nicht diese Schriften, sondern vielmehr Mt, Mk, Lk und Joh. Diese sprachlichen Imitationen stellt K. den Wortlaut LEs entlang detailliert vor (65-122) und wechselt dann die Perspektive: Nun geht er von Mt, Mk, Lk, Joh und Apg aus und listet auf, welche Stellen daraus LE voraussetzt (137-150); dabei räumt K. ein, dass die Kenntnis von Apg durch LE unsicher belegbar ist (146 f. u. ö.). Der ausführliche Vergleich ergibt nach K. kumulativ die schriftliche Verarbeitung von Mt, Mk, Lk und Joh durch LE. Dieses wesentliche Ergebnis kann K. überzeugend herausarbeiten.

Im Rahmen dieses Kapitels bündelt K. seine Beobachtungen in einer im Ton fairen, sachlich vernichtenden Widerlegung der Thesen Koesters zum angeblich rein (!) mündlichen Austausch der Evangelientraditionen im 2. Jh. (48 f.; 124-130). Nach K. ist diese These für LE stark einzuschränken: Es gibt auch noch einzelne Motive des LE, die wohl der mündlichen Tradition entstammen, so z. B. 16,10b (57; 133 u. ö).

Der Arbeit Joseph Hugs hält K. (130-137) - bei allem Lob seines Fleißes - entgegen, dass Hug mit der Lupe bei Lit. aus dem 2. Jh. nach Parallelen sucht, massive Abhängigkeiten von Mt, Lk und Joh dagegen nur auf eine hypothetische Quelle dieser Evv. zurückführt, weil er überzogene Anforderungen stellt, bevor er lit. Abhängigkeit anerkennen will. Dass Hug dabei die Verarbeitung des Mk-Ev als Quelle des LE curiously" (130) nicht einmal abfragt, vermerkt K. nebenbei.

Die Kompilation aus christlichen Texten, wie sie K. für LE darstellt, hat eine sachliche Parallele in weiteren Schriften (v. a. EpLaod, 3Kor und 5Esr) aus dem 2./3. Jh., die K. knapp vorstellt (150-154). Unglücklich ist m. E. das Stichwort Forgery" (Fälschung) in der Überschrift. Die Imitation/Kompilation des Stoffes in LE zielt m. E. nicht darauf, die Würde der Prätexte für sich zu beanspruchen und so zu fälschen. Leider fragt K. nicht danach, welche Texte die Leser des LE kennen. Sonst hätte er vielleicht erwogen, ob LE die ihm und seinen Lesern vorgegebenen Evangelien trotz ihrer Unterschiedenheit nebeneinander rezipierbar machen will. B. S. Childs, The New Testament as Canon, 1984, 94 f., hat zum LE derartige Erwägungen veröffentlicht, die K. nicht berücksichtigt.

Dass LE durch die lit. Abhängigkeit zu einem der ältesten, wenn nicht dem ältesten Zeugen der Vier-Evangelien-Sammlung (nicht dem four-Gospel canon, 155; 474; 479 f.) gehört, vermerkt K. schließlich mit Hengel gegen Koester (154-156).

Das 4. Kap. sammelt v. a. die Einleitungsfragen zu LE. Zunächst sichert K. die Grundlage für weitere Fragen, indem er die literarische Einheitlichkeit von LE herausarbeitet.

Wiederholt haben Forscher (Hug, Swete, u. a.) den harten Übergang von 16,8 zu 16,9 als Argument benützt, um zu behaupten, in LE läge ein ursprünglich von Mk unabhängiges Fragment vor. Dagegen weist K. (160 f.) auf den ähnlich harten Bruch zwischen 16,14/15 hin, der zeigt, dass der Verfasser von LE mit solchen Brüchen weniger Probleme hat als seine späteren Ausleger. Auf literarischer Ebene ist LE vielmehr einheitlich (164-169). Zur Datierung listet K. die Testimonien auf, einsetzend bei der unbestrittenen Stelle Irenäus, advhaer 3,10,6, und sammelt dann beachtliche Argumente dafür, dass Justin, bes. 1apol 45,5, LE voraussetzt (172-175). So datiert K. LE zwischen Vier-Evangelien-Sammlung und dem Werk Justins auf ca. 120-150 (175; vgl. 260; 475). Die uns überlieferten apokryphen Pilatusakten, die LE zitieren, können schwerlich über Justins Nennung solcher Akten LE vor Justin datieren lassen, so aber K. 176 f.

Die geprägten Formen der Teilstücke des LE untersucht K. (178-238) mit reichem Vergleichsmaterial, wobei mir nicht deutlich geworden ist, welchen exegetischen Gewinn diese Vergleiche für LE bringen. Leider nennt auch die Gattungserhebung für LE Ähnlichkeiten beim EvPetr und den Evv. des Neuen Testaments, ohne die spezifische Besonderheit LEs gegenüber diesen Evangelien in den Blick zu bekommen. K. nennt Hengels Hinweis (239 A. 234), LE als frühe Evangelienharmonie zu deuten, leider ohne diesem Hinweis weiter nachzugehen.

In den Kap. 5 und 6 geht K. zwei Motiven nach, die über das in Mt, Mk, Lk und Joh Erzählte hinausgehen und so gleichsam die spezifische Absicht LEs freilegen können.

Zunächst zeigt er, wie LE darauf zielt, durch Wunderzeichen die Mission zu autorisieren, und ordnet diese Intention ein in die frühen christlichen Schriften (245-339). In LE fällt K. auf, dass die Glaubenden ohne Einschränkung zu Zeichen befähigt sind. Ein sehr ausführlicher Vergleich des Wundertatenverständnisses im und um das Neue Testament zeigt manche partielle Ähnlichkeit (z. B. Joh 14,12; 1Kor 12,9 f.), eine allgemeine Wundertätigkeit von Christen behaupten allerdings sonst erst wieder Texte aus dem 2. (oder frühen 3.) Jh. K. ordnet daher LE nicht in eine bestimmte Entwicklungslinie ein, sieht aber seine Datierung des LE nach den Schriften des NT bestätigt (338 f.).

Es folgt eine enzyklopädische Sammlung von Texten zum Stichwort Schlange aus einem Meer von Referenzquellen (340-416), ausgreifend von der minoischen Kultur (346-348) bis zu Berichten über Schlangenpraktiken im 20. Jh. in den Südstaaten der USA (411-415). Die Fülle hätte ohne großen Verlust für die Auslegung von Mk 16,18 knapper dargestellt werden können, wenn K. einen Filter vorgeschaltet hätte, der alles nur vage Ähnliche ausscheidet, weil er vorweg die zu untersuchenden Motive präzise beschreibt. So kann K. zeigen, dass Schlangengeschichten kulturübergreifend dazu dienen, besondere Macht auszuweisen.

Etwas knapper sammelt das 7. Kap. Material zum Thema: Gift-Trinken ohne Vergiftungserscheinungen (417-472). Auch hier findet K. keine Einzelüberlieferung, von der LE abhängig ist. Die Papiasüberlieferung vom Gifttrunk des Justus genannt Barsabas überliefert Philipp von Side (Papias, Frgm. 10 [Körtner]) nach K. im Wortlaut ursprünglicher als Euseb (h.e. 3,39,17, Frgm. 5). Selbst wenn dies so ist, wäre Papias nicht nur als Quelle (so vorsichtig 442), sondern auch als frühes Testimonium für LE zu erwägen. Wenig sachdienlich für LE, wenn auch gelehrt, sind die umfangreichen Erörterungen K.s, welche literarischen Bezüge zwischen der Passio Iohannis, Virtutes Iohannis und den Acta Iohannis bestehen mögen (449-465; 469).

Das quellengesättigte, gelehrte Werk, an dem zukünftig niemand, der sich mit Mk 16,9-20 beschäftigt, vorbeigehen kann, beschließen eine untergliederte Bibliographie (481-504), Stellen-, Autoren- und Sachregister (505-530).

Gemessen am Umfang des Buches fand ich kaum Tippfehler: 23 (dem dt. Satz im Zitat fehlt ein Verb); 162 A. 16 (unglücklicher Ausschnitt des dt. Zitats); 174 f. A. 62 auf S. 175; 325 Z. 6 v. u.; 435 f. A. 48 auf S. 436; 440 Z. 11.