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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

958–987

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brucker, Ralph

Titel/Untertitel:

’Christushymnen’ oder ’epideiktische Passagen’? Studien zum Stilwechsel im Neuen Testament und seiner Umwelt.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. VIII, 400 S. gr. 8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 176. geb. DM 160,-. ISBN 3-525-53859-6.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Mit dieser Arbeit wird der seit den zwanziger Jahren herrschenden subjektiven Hymno-Manie endgültig der Garaus gemacht (1-22), indem eine umfassende Einordnung der Gattungen in die Praxis und Theorie der hellenistischen Rhetorik vorgenommen wird. Da das entscheidende Kennzeichen der griechischen wie lateinischen Poesie die Metrik war, entfällt jede Möglichkeit der Behauptung neutestamentlicher ’Poesien’ (23-110 - ja sogar alttestamentlicher: 31-35.72-83). Im Gegensatz zu den poetischen griechischen Götterhymnen (36-57), Epinikien und Enkomien (57-72) sowie lateinischen Hymnen (83-110) gehört das prosaische Lob als Funktionstypus der Lob-/Schmährede in den Bereich der rhetorischen Praxis (145-173) wie der ihr nachfolgenden, systematisierenden Theorie (110-145). Sowohl die drei funktionalen Grundtypen von Reden (Verteidigung/Beschuldigung, Zu-/Abraten, Lob/Polemik) wie die Verwendungen der zugeordneten rhetorischen Stilmittel im kleinen erscheinen faktisch meist nur gemischt (174-210). Das wird nicht nur an Prosatexten demonstriert, die epideiktische Lob-/Schmähredensegmente einschließen (210-252), sondern gilt ebenso für solche epideiktischen Partien in Briefen (253-279 - wobei "bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus keine eigenständige Brieftheorie überliefert ist": 254.258).

Mit dieser umfangreichen und überzeugenden Ausarbeitung ist eine beachtliche Lücke der Forschung geschlossen worden, da "das Vorkommen solcher ’epideiktischen Passagen’ in größeren literarischen Zusammenhängen bisher so gut wie gar nicht methodisch reflektiert worden ist" (20). Dabei werden für die einzelnen exemplarischen Textpartien beachtliche Weiterführungen bezüglich der Funktion im jeweiligen Kotext erbracht wie zum Beispiel für Philon (218-226; vor allem zu Leg 143-151 oder das Mose-Enkomion VitMos I 148-162).

Als Fallstudie, auf die diese geleistete Arbeit als Vorarbeit zielt, wird der Philipperbrief als Beispiel für rhetorischen Gattungs- und damit verbundenem Stilwechsel in den Blick genommen (280-346), wobei das Schwergewicht auf dem Aufweis der Funktion der "Elemente epideiktischer Rhetorik im Philipperbrief" (301-346) liegt: "Im Argumentationszusammenhang des Briefes, den wir als symbuleutisch bestimmt hatten, dienen die epideiktischen Passagen überweigend der Vorführung von Beispielen (paradeigmata, exempla), an denen die mahnend entfaltete Lebenshaltung ’würdig des Evangeliums’ (1,27) verdeutlicht wird" (345). Das heißt im einzelnen: "Alle drei Abschnitte des Briefes, in denen die rhetorische propositio (1,27-30) entfaltet wird (2,1-11; 2,12-18; 3,1-21), beginnen mit Aussagen epideiktischen Charakters" (344) und enden auch entsprechend (2,6-11 und 3,20 f. mit einem Christus-Epainos bzw. 2,19-30 mit einem angeschlossenen Lob-Exkurs der Mitarbeiter).

Nachdem schon immer deutlicher geworden war, daß Phil 2,6-11 kein ’Hymnus’ vorliegt (9-17), wird man dem Autor auch darin gern zustimmen, daß man hier sowohl wegen der Kürze als auch wegen der Tatsache, daß keine einzelnen Taten aufgezählt werden, künftig präziser von einem "Christus-Epainos" als von einem "Christus-Enkomion" reden sollte (307-319). Daß man dabei allerdings Käsemanns Einspruch gegen die Funktionsbestimmung als "Beispiel rechter Gesinnung" auf eine Ausblendung des Kontextes verrechnen darf (296), möchte ich widersprechen, da Käsemann damit gerade von der Einleitung Phil 2,5 ausging, wobei deutlich war, daß die Ellipse en Christo Iesu nicht durch ein Verb der Vergangenheit ergänzt werden darf, da Christos urapostolisch immer auf die Gegenwart des österlich zum Mitherrscher Eingesetzen bezogen ist, der wesentliche Bezugspunkt also auf Phil 2,9-11 liegt. Da dieser ’Mitherrscher’ als solcher immer Gott untergeordnet bleibt, spricht es auch dagegen, den spezifischen Bekenntnistitel kyrios in diesem Wortfeld signifikanten-isolatorisch (entgegen 1Kor 8,5 f.) von "JHWH" her zu kodieren (308). Da ich ausdrücklich eine vor-paulinische Herkunft des Christus-Epainos zurückgewiesen und gerade wegen der von Paulus bestimmten Elemente die Annahme eines philippischen - also neben-paulinischen - Ursprungs vorgeschlagen habe, so möchte ich das nicht undifferenziert als spekulativen Nichtpaulinismus abgewertet wissen (318). Man wird sich vor einem Pan-Rhetorizismus hüten müssen und angesichts des wesentlich dialogischen Charakters der Briefe nicht auf die Frage nach "Contributions of the Philippian Community to Paul" (J. Reumann, NTS 39, 1993 438-457) verzichten.

Angesichts der von B. mit Recht hervorgehobenen doppelten- nämlich positiven wie negativen - Funktion der drei rhetorischen Redetypen, was nun gerade hinsichtlich der negativen Epideiktik der ’Schmährede’ besonders wichtig ist, so kommt dieser Einsicht besonders im Hinblick auf Phil 3 eine erhellende Bedeutung zu (325-335). Der Autor hat damit eine starke Stütze in die Einheitlichkeitshypothese des Philippertextes eingezogen, sofern diese Schmährede die voranstehenden Lobreden kontrastierend unterstreicht (280-290). Doch kann eine rhetorische Integrität schon eine literarische Integrität erweisen? Mit einer skeptischen Verneinung dieser Frage schlossen meine diesbezüglichen Ausführungen ThLZ 1995, 346. Welche eigene Textpragmatik (also konkret: antike Rhetorik) auch der möglichen Briefredaktion zuzuerkennen ist, kann man an den vorgelegten Konzeptionen für die Einheitlichkeitshypothese ablesen (ANRW II 25/4, 3284-3286). Die aus den Handschriften rekonstruierte Hypothese des Archetyps eines Textes kann nicht ohne die weitere Frage nach dessen Einheitlichkeit oder Zusammengesetztheit im Ursprung als schon vorgegebene oder erbrachte Einheitlichkeit angenommen werden. Insofern muß es sich auch im Falle der Einheitlichkeit um eine begründete Hypothese handeln. Nun steht und fällt die Hypothese der Einheitlichkeit mit der Bestimmung der von Phil 3 als einer probatio der dritten propositio von Phil 1,28-30 (295 - wobei mir die behauptete "kunstvolle ringförmige Struktur" zu gewaltsam aufgepreßt erscheint). Das vermag ich nicht nachzuvollziehen, da sich die Gleichförmigkeit der derzeitigen Leiden der Philipper mit den derzeitigen des Paulus nach der Vorgabe von 1,3-26 eher auf gerichtliche Repressionen als auf jüdische Widersacher wie in Phil 3 bezieht. Der Einheitlichkeitshypothese hilft es auch nicht auf, wenn sich der Autor mehrfach selbst des epideiktischen psogos bedient: Seine Einsprüche (283 f.) gegen meine argumentativen Heranziehungen von 1Thess 4,1 ("literarkritische Schere") wie 1Kor 4,16-21 ("sein schematisches Vorgehen zwingt ... auch ... zu postulieren") verkennen, daß ich nicht Mittel zum Zwecke der Philipper-Analyse erfinde, sondern schon ganz unabhängig davon wegen der erkennbaren, unterschiedlichen Briefsituationen zwischen 1Kor 16,8-11 einerseits und 1Kor 4 andererseits bzw. zwischen 1Thess 3,2 (2,17-3,8) einerseits und 1Thess 1,1-8; 4,10.13 andererseits zum Verlassen von Einheitlichkeitshypothesen für die betreffenden Briefkorpora genötigt wurde (ZNW 1969, 219-243).

Die Diskussion um diese literaranalytischen Fragen wird weitergehen. Die vorliegende Hamburger Dissertation (sie wurde unter H. Paulsen [1944-1994] begonnen, dessen Andenken sie gewidmet ist, und zu Ende geführt unter G. Sellin) hat einen beachtlichen Beitrag zur Konkretisierung der rhetorischen Gestalt der epideiktischen Rede, ihren Kriterien wie ihren Funktionen erbracht. Damit sind die weiteren Diskussionen sowohl für neutestamentliche Texte wie für die ihrer kulturellen Umwelt auf eine solide Basis gestellt worden. Dieser Epainos gilt uneingeschränkt.