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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

618 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nasuti, Harry P.

Titel/Untertitel:

Defining the Sacred Songs. Genre, Tradition and the Post-Critical Interpretation of the Psalms.

Verlag:

Sheffield: Sheffeld Academic Press 1999. 231 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl.Series 218. Lw. £ 35.-. ISBN 1-84127-028-8.

Das vorliegende Werk präsentiert das Ergebnis einer zehn Jahre währenden Auseinandersetzung des Vf.s mit der Frage danach, welche Funktion Gattungsforschung in der gegenwärtigen Ära nach Gunkel für die Psalmenexegese übernehmen kann.

Nach einer umfänglichen Einleitung (11-29), die als erstes Kapitel wesentliche Meilensteine der Geschichte der Gattungsforschung beschreibt - insbesondere mit Rückgriff auf die Arbeiten von C. Westermann und W. Brueggemann - und knapp den Aufbau des Buches erläutert, kommt Nasuti in Kap. 2 grundsätzlich auf die Frage nach Bedeutung und Aufgabe der Gattungsforschung für die Exegese zu sprechen. Er behandelt das Problem am Beispiel der sieben Bußpsalmen. Der Vf. dekliniert weite Teile der Auslegungsgeschichte der Psalmen durch, um dann mit Rücksicht auf die Diversität der Urteile festzustellen: Gattungsklassifikation von Psalmen geschieht innerhalb eines settings"1, das durch eine bestimmte theologische oder historische Perspektive geprägt ist und das es zulässt, z. B. die sieben Bußpsalmen (Pss 6; 32; 38; 51; 102; 130; 143) als eine homogene Gruppe zu betrachten. Der Ansatz für die Zuordnung von Texten zu einer Gattung liegt folglich nicht ausschließlich in diesen selbst begründet, sondern mehr noch in der Feststellung, welche Elemente eines Textes der jeweilige Leser für allgemeingültig an- und in verschiedenen Texten wiedererkennt: ... it is to see genre as a reading convention rather than as a property of the text itself" (52). Daraus ergibt sich: Gattungsforschung steht in einem Geflecht aus kanonischen Vorgaben, Tradition und Gemeindefunktion; diesem Sachverhalt ist Rechnung zu tragen. Neben der deskriptiven Arbeit der Gattungskritik, nämlich die verschiedenen Wege zu beschreiben, auf denen es zu Gruppierungen von Texten gekommen ist, stellt sich dann auch die konstruktive Aufgabe zu fragen, welcher Gattung die Texte denn im gegenwärtigen Kontext zugehören.

Was der Vf. am Beispiel der Bußpsalmen aufzeigt, die Unmöglichkeit einer rein formalen Gattungsbestimmung, stellt er in Kap. 3 noch einmal anhand der Frage nach dem Zentrum des gesamten Psalters heraus. Sein Durchgang durch die Rezeptionsgeschichte der Texte führt ihn zu dem Schluss, dass auch hier gilt: Ein Text muss in seinen wechselnden Kontexten verstanden werden. Ein abschließendes Ergebnis kann niemals erreicht werden. Dass Gattungsfragen dennoch nicht vollständig überflüssig oder gar willkürlich sind, versucht der Vf. in den folgenden Kapiteln zu verdeutlichen.

Kap. 4, sicherlich das Herzstück des Buches, setzt sich mit der Funktion von Gattungen auseinander. Um das Ergebnis des Vf.s gleich vorweg zu nehmen: Die Psalmen als Gattung haben a) eine expressive, d. h. die Welt beschreibende Funktion, wobei die Übereinstimmung von Wort und Welt vorausgesetzt wird; b) eine kreative, die im Lob beschriebene Welt zu erschaffende und c) eine transformative Funktion, d. h. die den Text sprechende Person erfährt Veränderung (123 ff.). Die Funktionen, zu deren Beschreibung der Vf. neben exegetischen auch sprachwissenschaftliche Arbeiten heranzieht, sind wiederum in verschiedenen settings" unterschiedlich zu beurteilen, d. h. von ihnen abhängig. Diese Funktionsbeschreibung des Vf.s hebt schließlich die Psalmen und jede in ihnen vorgefundene Gattung auch gegenüber dem biblischen Kontext hervor, denn Gattung vermag verschiedene Modi der Existenz in der Welt zu reflektieren oder gar erst zu ermöglichen.

Eine an die Funktion von Texten gebundene Gattungsdefinition bedarf nach Ansicht des Vf.s der Einordnung der Texte zum einen in ein soziales Umfeld (Kap. 5), will sie nicht Gefahr laufen, die Gattungsbestimmung der Willkür des Lesers zu überlassen. Zum anderen erfordert es das Lesen von Psalmen im Kontext des Psalters (Kap. 6). Da er verlässliche Aussagen über den historischen Autor selbst nicht für möglich hält, setzt der Vf. bei den Psalmenüberschriften an und bespricht die Bedeutung der Zuordnung vieler einzelner Psalmen wie des gesamten Psalters zu David bis in rabbinische Tradition hinein. Indem David Texte zugeschrieben werden, geben Situationen aus seinem Leben und sein Schicksal dem jeweiligen Psalm einen Kontext, aus dem heraus er zu deuten ist. Einen erweiterten Interpretationsrahmen bietet schließlich der Psalter als ganzer.

Der Vf. zeigt eine rezeptionsgeschichtlich ausgerichtete Herangehensweise an die Frage nach der Funktion von Gattungsforschung für die Exegese. Die von ihm selbst eingeforderte deskriptive Arbeit nimmt in seinem Werk breiten Raum ein. Sein Ansatz soll einen Kontrast bieten a) zu einer Lesart der Texte, die, so der Vf., diese allein im Kontext Altisraels verstehen will und damit kaum in der Lage ist, deren Wirkweise in der Gegenwart zu erklären; b) zu den Ansätzen, die eine universal gültige menschliche Befindlichkeit, d. h. gleiche grundlegende Bedürfnisse des antiken und des modernen Lesers voraussetzen.

Dennoch bleibt wenigstens eine grundsätzliche Frage: Kann wissenschaftlich begründete Gattungsanalyse Form und Gestalt eines Textes als Ausdruck historischen und theologischen Werdens wirklich so weit hinter sich lassen?

Fussnoten:

1) Nasuti erklärt Gunkels Zugang zu der Frage nach dem Sitz im Leben als eine Einordnung von Gattungen in einen institutionellen Kontext und übersetzt den Terminus mit setting in life" (45 f. u. a.). Er kommt dann selbst aber zu der Auffassung, dass die Texte verschiedene settings" durch die Geschichte der Interpretation bis heute haben. Diese gilt es zu berücksichtigen (82).