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Ausgabe:

Juni/2001

Spalte:

615 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Clifford, Richard J.

Titel/Untertitel:

Proverbs. A Commentary.

Verlag:

Louisville: Westminster John Knox Press 1999. XVI, 286 S. gr.8 = The Old Testament Library. ISBN 0-664-22131-9.

Rezensent:

Jutta Krispenz

Das letzte Jahrzehnt des 20. Jh.s hat der alttestamentlichen Wissenschaft eine ganze Reihe von Kommentaren zum Buch der Sprüche beschert. Das Literaturverzeichnis des neuen Kommentars von Richard J. Clifford nennt unter insgesamt 18 Kommentaren allein fünf aus den Jahren 1991 bis 1999. Auch die Zahl der Monographien zu den Proverbien ist in den vergangenen Jahren gestiegen, die Exegese des AT hat sich also verstärkt dem Buch der Sprüche zugewandt.

C. beginnt die Einleitung zu seinem Kommentar mit einem Überblick über die im Buch der Sprüche zu unterscheidenden neun größeren Abschnitte. Es folgen Ausführungen zur Chronologie sowie zu Komposition und Edition des Buches. C. erwägt zur Klärung der Textgeschichte buchinterne Hinweise, zieht sprachgeschichtliche Beobachtungen heran, diskutiert P. Skehans gematrische Thesen zum Sprüchebuch als möglichen Hinweis auf einen Zeitpunkt der Endredaktion, um schließlich, da all das keine verlässlichen Hinweise ergibt, das Buch in der Zeit zwischen dem 4. und dem 2. Jh. v. Chr. anzusiedeln.

Überlegungen zum Historical Context" (6) schließen sich an, in denen C. die Schule und die mündliche Volkstradition als Hintergrund für die Entstehung des Buches abwägt, um schließlich die Schreiber als die das Buch prägende Institution auszumachen.

Der Abschnitt The Wisdom Literature that Proverbs Inherited" (8) führt in Darstellung und Zitaten die Weisheitsliteratur Mesopotamiens, Ägyptens und Syrien-Palästinas vor. Die Weise, wie C. die Verarbeitung altorientalischer Quellen in den Sprüchen einschätzt, ist eher traditionell zu nennen: Für 22,11-23,24 ist nach C. ohne Zweifel die Lehre des Amenemope die Quelle. Der Darstellung mesopotamischer Texte widmet C. den größten Raum. Über die historischen Wahrscheinlichkeiten eines direkten Einflusses gibt C. weder bei der Besprechung der Weisheitsliteraturen noch in dem Abschnitt Proverbs' Adaption of Ancient Near Eastern Wisdom Literature" (17) Auskunft. Zwischen der von C. vorgenommenen chronologischen Einordnung der ägyptischen Lehre für Ani und derjenigen der Proverbien liegt ein knappes Jahrtausend - bei der Instruction for Shuruppak" ist der zeitliche Abstand auch bei den jüngeren Versionen noch größer.

Nach einem Intermezzo über Distinctive Ideas" (19-23) beschäftigt C. sich ausführlich mit dem Hintergrund und der Funktion der personifizierten Weisheit und ihrer Rivalin (23). Die von C. diskutierten Möglichkeiten für das Verständnis der personifizierten Weisheit sind: (1) Wisdom as a hypostasis of Yahweh; (2) Wisdom as a Syro-Palestinian or Egyptian goddess; (3) Wisdom as the Mesopotamian divine or semidivine umma-nu; (4) Wisdom as a pure literary personification" (23).

Drei weitere Abschnitte (The Hebrew Text and Versions of Proverbs" (28), The Influence of Proverbs on Later Literature" (30), The Meaning of Proverbs Today" (32)) schließen die Einleitung ab. In ihr zeigt sich die auch im Kommentar durchscheinende Einschätzung, dass den Kapiteln 1-9 und 30 f. ein größeres Gewicht beizumessen sei, als den Sentenzensammlungen. Im Kommentar zu den Anfangs- und Schlusskapiteln des Buches zieht C. neuere Sekundärliteratur heran, die unterschiedliche Grundtendenzen verfolgt. Neben den für jeden Vers gegebenen Erläuterungen reflektiert C. auch die Bedeutung ganzer Abschnitte.

Dass das für die Sentenzensammlungen nicht so leicht möglich ist, liegt auf der Hand. C. allerdings blendet die in jüngerer Zeit von mehreren Arbeiten erwogene Möglichkeit, innerhalb der Sentenzensammlungen Zusammenhänge sehen zu können, sehr schnell aus: It is true, that many of the sayings have been arranged by catchword and theme; there are many arresting associations of verses worthy of a commentator's attention. At the same time, one must remember that aphorisms are by definition concise and self-contained. Each must be allowed to have its own say" (108, ähnlich 220). So bleiben denn für C. 17 der 31 Kapitel des Proverbienbuches eine bloße Materialsammlung, aus der jeder sich das gewünschte Aperçu herausnehmen kann. Selbst für den Anfang von Kapitel 16, der inzwischen von vielen Auslegern als ein Zusammenhang gelesen wird, bleibt C. bei seinem Verfahren, die Sprüche ohne Seitenblick auf etwaige Zusammenhänge auszulegen. Die Bemerkung Proverbs 15:33-16:9 form a string of sayings on divine governance. In the series, 'Yahweh' occurs ten times." ist alles, was der Leser zu dieser Frage bei C. zu Prov 16,1-9 findet.

Der Kommentar von C. wird im deutschsprachigen Raum seine hauptsächliche Wirkung wahrscheinlich im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion entfalten. Für die gemeindliche Praxis - für die Proverbienkommentare ohnehin selten benötigt werden - wird man eher zu einem der in deutscher Sprache erschienenen Kommentare greifen. In der wissenschaftlichen Diskussion zum Sprüchebuch wird die Stimme, die der vorliegende Kommentar repräsentiert, selbstverständlich zu berücksichtigen sein.