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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

572–576

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Beate

Titel/Untertitel:

Gute Mütter - starke Frauen. Geschichte und Arbeitsweise des Bayerischen Mütterdienstes.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 416 S. gr.8 = Diakoniewissenschaft, 1. Kart. DM 44,-. ISBN 3-17-016190-3.

Rezensent:

Antje Roggenkamp-Kaufmann

Der erste Band dieser neuen diakoniewissenschaftlichen Reihe beschäftigt sich mit dem Bayerischen Mütterdienst (BMD) in den Jahren zwischen seiner Gründung im Jahr 1933 und 1980- die Zäsur verdankt sich u. a. "Gründen des Personenschutzes" (34). Ziel der praktisch-theologischen Dissertation ist es, durch "die Kombination verschiedener Quellenarten und verschiedener Forschungszugänge ... ein zentrales Anliegen der historischen und theologischen Frauenforschung" aufzunehmen, "nämlich die Erfahrungen von Frauen zur Sprache zu bringen und in ihrer Vielfalt zu reflektieren." (20)

Ein erster Hauptteil ("II. Gründung, Aufbau und Bewährung des Bayerischen Mütterdienstes. Die Jahre 1933-1945" [36-127]) stellt die Anfänge des BMD dar, dessen Aufgaben bereits Ende 1933 festgelegt waren: "Müttererholung, Mütterschulung und Frauenarbeit in den Gemeinden, dazu die publizistische Arbeit" (56). Insofern es "vor 1933 in Bayern in den Kirchengemeinden keine flächendeckend organisierte Frauenarbeit gab" (37), erscheint es naheliegend, dass die Begründerin und langjährige Leiterin des BMD, Antonie Nopitsch, auf Konzepte zurückgriff, die in der seit 1899 bestehenden Evangelischen Frauenhilfe (EFH) diskutiert wurden. Während sich der Hauptvorstand der EFH mit theologischen Argumenten von der Glorifizierung der Mutterrolle im Rahmen eines bevölkerungspolitisch akzentuierten Konzeptes - wie es etwa die "Wegbereiterin des NS-Mutterkultes" (38), Klara (Schloßmann-) Lönnies, vertrat - distanzierte (42), scheint deren Anliegen von Nopitsch positiv aufgenommen worden zu sein. Sie gewann die Leiterin des "Kommissariat[s] für das evang. Mütterdienstwerk" (51) nicht nur als Referentin für ihre Mütterschulungen (54 f.), sondern übernahm auch deren Organ "Mutter und Volk" für Bayern (56). Der BMD, der sich durch seine (äußere) "Eingliederung in die Landeskirche" (77) vor staatlicher Gleichschaltung zu schützen wusste, intensivierte nach dem Verbot konfessioneller Mütterschulungen im Jahr 1935 - mit tatkräftiger Unterstützung des Nürnberger Verlegers Karl Ulrich, der Antonie Nopitsch persönlich zugetan war und dessen Verlag als "NS-Musterbetrieb ... als erster Fotos von den Reichsparteitagen" (96) lieferte - die eigene literarische Tätigkeit durch die Herausgabe des Mütterkalenders und der Schriftenreihe für die evangelische Mutter (83 ff.). Später übernahm der BMD auch katechetische Aufgaben, so ließ er als "Hilfsmittel im Kampf gegen die Verdrängung des Christentums" (119) Bastelbögen für Krippen anfertigen. Als zu Beginn der 1940er Jahre die Pfarrwitwe Liselotte Nold in den engeren Führungskreis des BMD eintrat, verbesserten sich auch die inneren Beziehungen zur Bayerischen Landeskirche, insofern diese "viel Wissen über Beziehungsgeflechte, Gepflogenheiten und Verfahrenswege in der Landeskirche in die Arbeit beim Mütterdienst" einbrachte (122).

Der zweite Hauptteil ("III. Neukonstituierung, Wachstum und Veränderungen des Bayerischen Mütterdienstes: Die Jahre 1945-1980", 128-244) schildert die "wesentlichen Lebensstationen" von Antonie Nopitsch, Lieselotte Nold und Maria Weigle. Zwar stießen alle drei bereits vor 1945 zum BMD, "doch erst ab 1945 verknüpfen sich ihre Lebenswege unmittelbar miteinander und mit dem Bayerischen Mütterdienst" (128).

Als zentrale Gestalt erscheint die zu Ostern 1933 arbeitslos gewordene Nationalökonomin Nopitsch (1901-1975), die "bewußt nicht um die Zulassung in die bestehende Männergesellschaft kämpfte, sondern um eigene Gestaltungs- und Entfaltungsfreiräume als Frau." (137) Innerhalb des BMD repräsentierte sie die "Koordinaten ... Spiritualität und soziales Engagement, während die theologische Reflexion hinter ihrem praktischen Tun zurücktrat." (138) Ihr gegenüber nahm die von der "Bibelschule der Evangelischen Reichsfrauenhilfe in Potsdam" herkommende Preußin Weigle (1893-1979) als Leiterin des Gemeindehelferinnen-Seminars eine eher nachgeordnete Position ein. Ihre Bibelarbeit zeichnete sich dadurch aus, dass "nicht die Theologie, die dahinterstand", sondern "die Fragen der Teilnehmenden und damit sie selbst" (142) im Zentrum standen. Innerhalb des BMD repräsentierte Weigle weniger das gesellschaftliche Engagement, als vielmehr die Bereiche von "Theologie und Spiritualität" (146). Elisabeth Charlotte Nold (1912-1978) stieß kurz vor dem Tod ihres Mannes (1942) zum BMD. Sie war später leitende Redakteurin des z. T. auch überregional einflussreichen Laetare-Kreises (171, 288 f.) und folgte Nopitsch 1965 in der Gesamtleitung des BMD (153). Insofern sich Nolds theologisches Profil - im Unterschied zu Weigle - dadurch auszeichnete, dass an "die Stelle einer pietistischen Jesusfrömmigkeit ... ein sozial engagierter Glaube an den ins Offene führenden und doch schützenden Gott" (155) trat, oblag ihr im Rahmen der Führung des BMD die "Verknüpfung von Theologie und gesellschaftlichem Engagement" (155).

Nach Kriegsende nahm sich der BMD insbesondere der Flüchtlinge an, reorganisierte die Müttererholungsarbeit in Bayern sowie die Frauenarbeit in den Gemeinden und intensivierte internationale Kontakte (156-173). In den 1950er Jahren erhielt der BMD als "Arbeitsgemeinschaft des Bayerischen Mütterdienstes der Ev.-Luth. Kirche" den Vereinsstatus (175, 185ff.). Nopitsch, die "die göttliche Berufung zum diakonischen Dienst und dessen eschatologischen Wert" (183) betonte, lehnte es gleichwohl ab, den BMD als "normalen Betrieb" zu führen (183). Die finanzielle Situation des BMD - die Organisation stand mehrmals vor dem Bankrott - besserte sich nach der Gründung des Müttergenesungswerks am 12.12.1949 erheblich, zumal dessen Sitz nach Stein gelegt wurde (197 ff.). Inhaltlich arbeitete man bis in die Mitte der 1960er Jahre an familienpolitischen und volksmissionarischen Aufgaben (201). Nachdem Nold 1965 den Vorsitz des BMD übernommen hatte, führte sie eine Reihe von Umstrukturierungsmaßnahmen durch: Zwar musste das Gemeindehelferinnenseminar auf Grund fehlender Anmeldungen geschlossen werden (219), auch wurden die Laetare-Hefte eingestellt (227), sie verstärkte aber das Engagement im Bereich der Erwachsenenbildung und suchte demokratischere Mitsprachestrukturen einzuführen (221 ff., 230 ff.).

Der dritte Hauptteil (IV. Der Bayerische Mütterdienst - ein Familienbetrieb mit personenzentriertem Führungsstil - Querschnittsanalyse anhand von Interviews mit Expertinnen und Experten", 245-356) will schließlich den BMD aus der "Sichtweise der Betroffenen" (245) darstellen. Insofern die Vfn. dabei Anleihen bei ökonomischen und soziologischen - so insbesondere bei Max Weber - Theorien macht, beschreitet sie in methodologischer Hinsicht neue Wege. Zentrale These dieses Teils ist es, dass der BMD als Familienbetrieb strukturiert war und dass der "personenzentrierte Führungsstil ... Auswirkungen auf fast alle Bereiche der Organisation" (246) hatte. So wird die personale Autorität ausstrahlende "Beliebtheitsführerin" Nopitsch der eher funktional wirkenden "Leistungsführerin" Nold gegenübergestellt (247 u. ö.). Gleichwohl wird beiden durch die betroffenen Mitarbeiterinnen im Unterschied zu der eher im Hintergrund agierenden Weigle (256 f.) bescheinigt, "daß sie mit großer natürlicher Autorität auftraten, also nicht auf ihre Führungsposition und die damit verbundene formale Macht pochten, sondern diese durch ihr Auftreten verkörperten" (253). Dies veranlasst die Vfn. zu der Folgerung, dass der Führungsstil von Nopitsch dem Modell der charismatischen Herrschaft entsprach, während Nold den Typus der traditionalen Herrschaft verkörperte: Sie behandelte ihre Mitarbeiterinnen trotz der von ihr initiierten Demokratisierungsprozesse als Dienerschaft und kreierte um sich herum ein System der "Günstlingswirtschaft" (259). Während sowohl Nopitsch als auch Nold die Mitarbeiterinnen bis an die Grenze des Erträglichen in Anspruch nahmen - für "die meisten war nur der Anfang ihrer täglichen Arbeitszeit durch die gemeinsame Andacht festgelegt, nicht das Ende" (261) -, brachte Nopitsch zur Durchsetzung ihrer Positionen nach innen und außen - etwa gegenüber der Landeskirche - weibliche Waffen zum Einsatz (282 f.).

Der vierte Teil ("V. Auswirkungen der Geschlechterdifferenz in Geschichte und Arbeitsweise des Bayerischen Mütterdienstes- eine Spurensicherung", 357-390) sucht die Ergebnisse des dritten Teils unter dem Aspekt der "Geschlechterdifferenz" zu ventilieren, um solchermaßen - neben Theologie und Ökonomie - eine dritte Dimension in die diakoniewissenschaftliche Theoriediskussion einzuführen (357.366.367). So verkleidete etwa Nopitsch "ihre Macht als Schwäche und appelliert[e] durch ihre Hilfsbedürftigkeit ..., statt ihre Macht direkt auszuüben." (360) Allerdings reiche die Geschlechterdifferenz nicht aus, um das konfliktbeladene Verhältnis zur Landeskirche hinreichend zu erklären, die Ambivalenz von "Charisma und Bürokratie" (365) sei mindestens gleichwertig zu berücksichtigen. Die Geschlechterdifferenz habe zudem "sowohl die ökonomische als auch die theologische Dimension des Mütterdienstes" (366) beeinflusst. So erfuhr der BMD in Folge der "Gründung des Müttergenesungswerkes als einer überkonfessionellen Wohlfahrtseinrichtung" eine finanzielle Konsolidierung, "die anderen diakonischen Einrichtungen verwehrt geblieben" (366) sei. Auch die "Ungleichzeitigkeit der Geschichte des Mütterdienstes im Vergleich zur allgemeinen Diakoniegeschichte" (366) sei auf die Geschlechterdifferenz zurückzuführen. So hätten die Nationalsozialisten die Frauen des BMD nicht ernst genommen und gerade dadurch - im Unterschied zu den "meisten anderen diakonischen Einrichtungen" (366) - ein Wachstum des BMD ermöglicht. Eine demokratische Organisationsstruktur, die entsprechende Veränderungen im Frauenbild nach sich gezogen habe, sei erst in den 1970er Jahren aufgebaut worden (366 f., 374, 376). In theologischer Hinsicht habe der Mütterdienst frühzeitig spätere Anliegen der feministischen Theologie aufgenommen, "jedoch ohne die strukturelle Patriarchatskritik ... und ohne das Bewusstsein für eine frauengerechte Sprache" (383). Abschließend führt die Vfn. dann aus, dass "die Wahrnehmung und Auswirkung der Geschlechterdifferenz eine, wenn nicht die bestimmende Größe in der Geschichte und der Arbeitsweise des Bayerischen Mütterdienstes" (390) gewesen sei.

Die Vfn. hat eine fleißige Arbeit vorgelegt, die insbesondere für die Zeit nach 1945 auf intensivem Aktenstudium sowie auf der Auswertung zahlreicher Interviews mit Mitarbeiterinnen beruht. Die Anlage der Studie als Beitrag zur historischen und theologischen Frauenforschung, der zugleich die diakoniewissenschaftliche Diskussion um den Beitrag der Geschlechterdifferenz ergänzen will, erfordert gleichwohl einige exemplarische, aber auch methodologische Rückfragen.

Zwar ist die Rekonstruktion der Geschichte des BMD im Nationalsozialismus auf Grund der Zerstörung des hauseigenen Archivs im Jahre 1944 schwierig. Insofern leitende Mitarbeiterinnen nach 1945 das Datum der Gründung des BMD auf 1932 vorverlegten, um seine Geschichte als "eine reine Oppositionsgeschichte" (43) erscheinen zu lassen, hätte man gerne Näheres über eventuelle Verflechtungen des BMD und insbesondere Antonie Nopitschs mit dem Nationalsozialismus in Erfahrung gebracht. Einen Ansatzpunkt hätten hier die Kontakte zu dem Nürnberger Verleger Ulrich bieten können.

Die Anlage des ersten Hauptteils ist nicht unproblematisch, insofern der Rekurs auf die reichsweit, aber eben nicht in Bayern agierenden Verbände, EFH bzw. Reichsfrauenhilfe und später EFW, für die Entstehung des BMD nur wenig austrägt. Die breite Darstellung des Konflikts um die Leiterin des vornehmlich in den zerstörten Landeskirchen einflussreichen EFW, Agnes v. Grone (65-89), wirkt zudem eher störend. Eine in den ersten Hauptteil vorgezogene Behandlung des biographischen Porträts von Antonie Nopitsch, deren Arbeitslosigkeit zumindest den Anlass für die Gründung des BMD darstellte, hätte zu einer stringenteren Gedankenführung beitragen können; auch wäre dann ihre dominierende Rolle im BMD deutlicher geworden. Schließlich nimmt der Leser verwundert zur Kenntnis, dass in der "Zwischenbilanz" eine Reihe von für die Entstehung des BMD einschlägigen Voraussetzungen benannt werden, die im ersten Hauptteil selbst unerwähnt bzw. unkommentiert bleiben (so etwa die Entwicklung der institutionellen Sozialarbeit im 19. Jh., die Entstehung der Kleinfamilie, Wendepunkte im Leben von Antonie Nopitsch, vgl. 122 f.).

Insofern die Vfn. im Übrigen mehrfach auf die Sonderstellung des BMD abhebt (vgl. etwa 125), hätte sich eine vergleichende Analyse verwandter Formen kirchlicher Frauenarbeit empfohlen. So liegt etwa entsprechendes Material für die rheinische Frauenhilfe (vgl. Fritz Mybes, 1975) seit langem vor. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem von Jochen Christoph Kaiser für die Innere Mission entwickelten Konzept des Verbandsprotestantismus hätte die Besonderheiten des BMD - etwa seine charismatische Ausrichtung - hervortreten lassen, damit aber den Status des BMD als eines in jeder Hinsicht diakoniewissenschaftlichen Sonderfalls präzisieren können. Insofern die Vfn. diese Chancen ungenutzt lässt, muss sie den BMD schließlich als einen typischen Fall kirchlicher Frauenarbeit bewerten (vgl. etwa 357).

Schließlich bedarf die Verwendung des Begriffs "Geschlechterdifferenz" in vorliegender Studie der Rückfrage, bezeichnet der Begriff doch gemeinhin eine auf Veränderung des gesellschaftlich fixierten Status quo hin angelegte Grundkonstante in der Differenz menschlichen Miteinanders (vgl. etwa Claudia Koonz, 1994). Die Vfn. benutzt ihn aber als einen deskriptiv-historischen Sammelbegriff für das Handeln von Frauen überhaupt, was etwa zu Verzeichnungen der NS-Politik gegenüber kirchlicher Frauenarbeit führt: Im Rheinland wurden selbst Wohltätigkeitsveranstaltungen und Ausflüge verboten (vgl. Christine Busch, 1999). Darüber hinaus ist der Begriff in dieser unspezifischen Funktion auch für eine weitere diakoniewissenschaftliche Diskussion ungeeignet.

Abgesehen von störenden Wiederholungen (vgl. etwa die Unterstützung des BMD durch die Stadt Nürnberg (45 f.100.105 f.); die Hinweise auf die therapeutische Funktion des Gartens in Stein (181f.309 f., 311); die Mitarbeit Maria Weigles und Meta Diestels an den Mütterschulungen (82, 118, 170) lassen sich gelegentlich gedankliche Inkonzinnitäten nachweisen (so erscheint etwa die Haltung des ehemaligen westfälischen Generalsuperintendenten und Vorsitzenden der RKA, Wilhelm Zoellner, im Konflikt um das EFW als widersprüchlich (77, Anm. 367/S. 77 f.); auch wird die Mitarbeit der Pfarrfrauen im BMD unterschiedlich angesetzt (172, Haupttext zu Anm. 977 bzw. 978). Darüber hinaus bleibt der Titel der Studie "Gute Mütter - starke Frauen" unklar, insofern zwar die kinderlosen Führungspersönlichkeiten Nopitsch, Nold und Weigle sowie ehemalige Mitarbeiterinnen zu Wort kommen, die eigentlich betroffenen Mütter vom methodologischen Ansatz her aber nicht erfasst sind.

Einen nennenswerten Beitrag zur diakoniewissenschaftlichen Diskussion sowohl in historischer als auch in praktisch-theologischer Perspektive dürfte vorliegende Untersuchung aus den genannten Gründen nicht leisten können. Die Bedeutung der Studie besteht allerdings darin, dass sie insbesondere für die Zeit nach 1945 Archivmaterialien einer breiteren Öffentlichkeit erstmals zugänglich und die personenzentrierte Führungsstruktur des BMD in der Analyse der von der Vfn. mit Mitarbeiterinnen geführten Interviews sichtbar macht.