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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

566 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bobert-Stützel, Sabine

Titel/Untertitel:

Frömmigkeit und Symbolspiel. Ein pastoralpsychologischer Beitrag zu einer evangelischen Frömmigkeitstheorie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 424 S. 8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 37. Kart. DM 98,-. ISBN 3-525-62360-7.

Rezensent:

Bernd Schröder

Diese im WS 1998/99 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin angenommene Habilitationsschrift (Ref.: Prof. Dr. Jürgen Henkys) versteht sich als "Grundlegung eines pastoralpsychologischen Zweiges einer evangelischen Aszetik" (381). Während das "Gesamtprojekt einer evangelischen Aszetik" (387) kaum konkretisiert wird - Bobert-Stützel beschränkt sich diesbezüglich auf das im Schlusskapitel (381-390) erhobene "Postulat einer Aszetik als Hermeneutik, Empirie und Kritische Theorie der religiösen Alltagskultur" (381) und verstreute Andeutungen (etwa 125) -, gilt die Aufmerksamkeit der Abhandlung dem Versuch, "aus pastoralpsychologischer Perspektive ein sowohl theologisch als auch psychologisch verantwortetes Verstehensmodell für tradierte Elemente evangelischer Frömmigkeit zu entwickeln" (14).

Als "hermeneutische Leitperspektive" werden Begriff und Sache des "Symbolspiels" gewählt (15 f.). Dies wird hier im Rückgriff auf "eine[n] spezifischen Zweig der Spielforschung", nämlich den "psychoanalytischen ... in seinen nachfreudianischen Konzeptionen der Objektbeziehungspsychologie (besonders D. W. Winnicotts) und der Selbstpsychologie (im Werk von H. Kohut)" erläutert (16). Die Konzentration auf diese psychoanalytischen Referenztheorien versteht sich "als eine optionale Interpretations-Perspektive mit begrenzter Sichtweite ..., die auf Ergänzungen durch eine Frömmigkeitsforschung in kulturwissenschaftlicher und religionssoziologischer Perspektive angewiesen bleibt" (18).

Die Studie gliedert sich in vier Teile. Teil I bietet "praktisch-theologische Grundlagen einer evangelischen Frömmigkeitstheorie" (22-66). Nach Anmerkungen zur Geschichte der Begriffe Aszetik und Frömmigkeit sowie der evangelischen praktisch-theologischen Reflexion über Frömmigkeit werden "gegenwärtige Postulate einer evangelischen Aszetik" referiert (42 ff.: R. Bohren, H. Schröer, M. Seitz, F. Wintzer; "Anstöße aus der feministischen Spiritualität") und jeweils einer Kritik unterzogen, deren wesentlicher Maßstab die Frage ist, ob sie jeweils das "Neu-Erfinden" (63) der Tradition ermöglichen. Implizit ist darin zum Teil eine "Beschreibung des hier vertretenen Ansatzes zu einer evangelischen Aszetik" (20) zu erkennen.

Teil II enthält "Prolegomena zur pastoralpsychologischen Grundlegung einer evangelischen Aszetik mit psychoanalytischer Dialog-Option" (67-132), näherhin Reflexionen zu Theorieebenen der Psychoanalyse, eine Darstellung von Ansätzen psychoanalytischer Religionspsychologie und ihrer "theologisch problematisch erscheinende[n] Aspekte" (100), ein Modell zur Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Psychoanalyse, das sich an R. Riess und H. Wahl anlehnt und hier als "Modell von ,zwei Anderen in Interaktion'" bezeichnet wird (118), schließlich "Teilaspekte einer Definition von einer Pastoralpsychologie mit psychoanalytischer Option" (126). Als deren Gegenstand etwa werden "Übertragungen und Gegenübertragungen" bestimmt (126).

Teil III stellt das "Spiel als Leitkriterium einer evangelischen Aszetik" vor (133-248). Insofern dieser Abschnitt "strukturelle pastoralpsychologische Kriterien für die Spielfelder der Glaubens-Frömmigkeits-Beziehung" (21) bereitstellen soll, ist er grundlegend. Zunächst wird ",Spielen' in psychoanalytischer Perspektive" (139-197) erläutert, dann werden "theologische Grundelemente zu einer pastoralpsychologischen Theorie vom Symbolspiel" (198-254) benannt. Neben der "spannungsreichen Konvergenz" beider Perspektiven sollen dadurch fördernde und hemmende Faktoren von Frömmigkeit als Spiel deutlich werden (21). Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die Rahmenbedingungen des Symbolspiels, nämlich der "Spielraum" als "der Möglichkeits-Raum von ,Finden' und ,Er-Finden'" (162), die "Spielerinnen und Spieler", die durch "Differenzerfahrung" zu "Differenztoleranz" befähigt werden (171), und die "Spielformen" (hier: oratio, meditatio, tentatio; 198).

Teil IV beschreibt "Frömmigkeit als Spielen vor Gott. Grundelemente einer evangelischen Aszetik" (249-390). Näherhin werden "tradierte Formen evangelischer Frömmigkeit" (14) "aus der pastoralpsychologischen Perspektive des Symbolspiels" rekonstruiert (22): Je ein Kapitel widmet sich den Elementen der Trias tentatio, meditatio, oratio. Damit will die Vfn. "Luthers Leitentscheidung zur Konzeption evangelischer Frömmigkeit" nachvollziehen (22; vgl. 249), ohne jedoch einem "restaurative[n], selbstgenügsame[n] Rückzug in das Bollwerk des Ererbten" das Wort zu reden (14). Nach mehr oder weniger knappen theologischen Erläuterungen der Elemente jener Trias werden jeweils pastoralpsychologische Interpretamente angeboten, zum Stichwort "Lesen" etwa Reflexionen zur Frage, "welche anthropologischen Prozesse zur ,religiösen Tragkraft' der Bibel beitragen" (338), oder pastoralpsychologische Modelle von Bibelarbeit (345 ff.).

Voran stellt die Vfn. ein Kapitel "Glauben" (255-302). Hier greift sie ihre systematisch-theologische "Definition von ,Frömmigkeit' als unauflöslicher Beziehung zwischen ,Glauben' als göttlichem Handeln und ,Frömmigkeit' als menschlichem Handeln" (255; schon 31) auf. Sie akzentuiert u. a., dass Frömmigkeit aus pastoralpsychologischer Sicht - mit Klaus Winkler- "als persönlichkeitsspezifische Credo-Inszenierung" zu verstehen sei (257 ff.; vgl. schon 131) und sich in Spielräumen interaktional neu erfindet, die durch den metaphorischen Charakter der Sprache des Glaubens eröffnet werden (277 ff.).

Die Studie führt ihrer Leserschaft mannigfaltige Ergebnisse religionspsychologisch relevanter Psychoanalyse vor Augen und greift mit dem Begriff des Spiels ein anregendes Interpretament der "Frömmigkeit" auf.

Allerdings wird nur ansatzweise erkennbar, warum diese psychoanalytisch aufgeladene Kategorie gerade einer "im Dialog mit ... der sog. Wort-Gottes-Theologie" entworfenen Aszetik (16) fruchtbar und theologisch legitim erscheint - die theologisch fragwürdigen Aspekte der psychoanalytischen Religionspsychologie werden jedenfalls nicht entkräftet (100-107; vgl. etwa 384 f.); auch die Möglichkeit eines Dialoges zwischen Dialektischer Theologie und Psychoanalyse leuchtet angesichts der konstatierten "strukturellen Unverträglichkeiten" (114) nicht recht ein.

Kaum deutlich wird zudem, was der pastoralpsychologische Zweig für eine Aszetik, die im Gefolge H.-G. Heimbrocks als "Hermeneutik, Empirie und Kritische Theorie der religiösen Alltagskultur" (381) postuliert wird, methodisch und systematisch leisten kann und soll. Dem vorgeschlagenen "Verständnis von Frömmigkeit als lebendig im Spielraum zwischen Vorfinden und Er-Finden" (254) ist in dieser Allgemeinheit kaum zu widersprechen, doch dessen operationalisierbares, orientierendes Potential für den frömmigkeitstheoretischen Umgang mit der Vielfalt der einschlägigen Phänomene vermag die Studie kaum zu veranschaulichen. Weder der ambitionierte Sprachstil noch die oft additive Gedankenführung erleichtern dessen Entdeckung.