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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

563–565

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Peitz, Heinz-Hermann

Titel/Untertitel:

Kriterien des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Anregungen aus dem Werk Karl Rahners.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 1998. 464 S. gr.8 = Innsbrucker theologische Studien, 53. Kart. öS 540.-. ISBN 3-7022-2184-0.

Rezensent:

Christian Berg

Obgleich das Interesse an Fragen aus dem Grenzbereich von Theologie (=T.) und Naturwissenschaft (=Nw.) in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, kann man noch keineswegs behaupten, dass Klarheit oder gar allgemeiner Konsens darüber herrsche, wie die Beziehung von Nw. und T. zu denken oder sinnvoll zu gestalten wäre. Es gelingt immer noch zu selten, beide zu korrelieren, "ohne eine Scheinharmonie durch semantische Vermischungen herbeizuführen" oder "die Identität von Naturwissenschaft oder Theologie durch Verkürzungen zu gefährden" (21). Von daher ist eine Untersuchung ihres Verhältnisses und die Suche nach Kriterien für einen Dialog zwischen ihnen sehr zu begrüßen, wie es die anzuzeigende Dissertation von Heinz-Hermann Peitz in Anlehnung an das Werk Karl Rahners zu tun beabsichtigt.

Seine Untersuchung beginnt P. in einem ersten Kapitel mit einem werkchronologischen Überblick der für die betreffende Fragestellung einschlägigen Texte Rahners. P. zufolge befinden sich Rahners Überlegungen "immer in einer eigenartigen Spannung von Pluralismus und Einheitsdenken" - einer Spannung, die es durchzuhalten gelte, wenn "überzogenen Extrapolationen und Totalisierungsansprüchen" ebenso gewehrt werden solle wie einer Beziehungslosigkeit von Nw. und T. (93). Dieser Spannung entsprechen seine in Auseinandersetzung mit Rahner gewonnenen Dialogkriterien. Einerseits nennt P. "Kriterien zur Wahrung einer legitimen Pluralität" (121): Um Konflikte zu vermeiden und "der Versuchung jeder Wissenschaft" zu widerstehen, "sich totalitär zu verabsolutieren", sei es u. a. notwendig anzuerkennen, dass beide Diskurse auf Grund ihrer je unterschiedlichen Formalobjekte eigenständig seien, und dass die Nw. "methodisch atheistisch" und "perspektivisch beschränkt" vorgehe. Der Verschiedenheit und Eigenständigkeit der Diskurse steht aber, wie P. verdeutlicht, Rahners "Glauben an die eine Wahrheit, aus der sich sämtliche Zugänge zur Wirklichkeit speisen", gegenüber, weshalb P. mit Rahner letztlich an einer Integration dieser Zugänge interessiert ist (123). P. erarbeitet daher andererseits "Kriterien für den Weg zu einer tragfähigen Einheit", wozu er z. B. die Einsicht zählt, dass "Integration und Einheit ... letztlich unter eschatologischem Vorbehalt (stehen)", nur in "asymptotischer Annäherung" und nur über Naturphilosophie vermittelt erreicht werden können (124 f.).

Sein an Rahner angelehntes Dialogmodell führt P. dann - ergänzt durch eine Diskussion verschiedener erkenntnistheoretischer Positionen in Kapitel 3 - in den Kapiteln 2 und 4 weiter anhand einer Rezeption des Befreiungstheologen Clodovis Boff, der sich, unter Bezug auf Rahner, um eine Integration von theologischen und sozialwissenschaftlichen "Wissensbeständen" bemüht (127 ff.).

Im Prozess wissenschaftlicher wie theologischer Erkenntnisgewinnung geht P. mit Boff zunächst davon aus, dass jeder Wissenschaft (wie auch der T.) ein Materialobjekt zu Grunde liegt, das mittels eines bestimmten, für diese Wissenschaft spezifischen Begriffssystems bearbeitet wird. Aus der Wirkung dieses Begriffssystems auf das Materialobjekt entstehen dann die konkreten wissenschaftlichen Begriffe und Theorien (171.164). Die in Nw. und T. ablaufenden Diskurse denkt P. sich nun nicht parallel, sondern hintereinander geschaltet, da ihre Gegenstandsbereiche unterschiedlich seien (173 ff.). Laut P. sind es die Ergebnisse und Theorien der Nw., die den Gegenstandsbereich der T. bilden - genauer gesagt: einer bestimmten Form von T., die P. in Anlehnung an Boff als "Theologie 2" (176), als "konkrete, regionale Theologie (T2)" bezeichnet und von der "herkömmlichen Theologie" ("T1") unterscheidet (157). Während die T1 sich um die Ermittlung des Sinnes der T. bemüht und dabei an die Schrift und nicht an die Nw. gebunden sei, habe die T2 die Vermittlung dieses Sinnes "nach außen" zu gewährleisten (160 f.176.312). Dabei habe die T2 einen "organischen Austausch" (113) mit der Nw. anzustreben, wobei allerdings ihre "Ausrichtung an profanen Erkenntnissen" kein Wahrheits-, sondern lediglich ein "Aktualitätskriterium" darstelle (161), da die T2 ja den theologischen Sinn nicht ermittle. Mit dieser Zuordnung will P. offensichtlich einerseits sicherstellen, dass die "herkömmliche Theologie" (T1) der Nw. gegenüber ihre Eigenständigkeit wahrt, während andererseits die T2 theologische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse integrieren soll. Die Unterscheidung von T1 und T2 sowie die von Sinnermittlung und Sinnvermittlung soll also die Spannung zwischen Eigenständigkeit und Integration von Nw. und T. abbilden.

Laut P. ist es nun allerdings nicht möglich, dass die T2 die Ergebnisse der Nw. direkt übernimmt, da die Wirklichkeit nie unmittelbar zugänglich ist, sondern letztlich immer (auch) in bestimmter, disziplinenspezifischer Weise konstruiert wird (281). Die Aussagen der Nw. müssen daher mit Blick auf die "Alltagswirklichkeit" mittels Naturphilosophie re-konstruiert werden (267.281). Es ergibt sich damit eine Reihe, in der die Ergebnisse der Nw. zum Gegenstand der Naturphilosophie und deren Ergebnisse zum Gegenstand der T2 werden, welche wiederum in ihrer Begrifflichkeit von den Ergebnissen der T1 bestimmt wird (285).

Mit Hilfe dieses Modells stellt P. dann in Kapitel 5 eine differenziertere Kriteriologie auf, die in Kapitel 6 anhand verschiedener Entwürfe von Naturwissenschaftlern bzw. Theologen zur Anwendung kommt und zu einem Kriterienkatalog führt (Kapitel 7), mit dem die Arbeit - ungewöhnlicherweise in Form einer Auflistung und tabellarischen Zusammenstellung - endet.

Viele der von P. zusammengetragenen Kriterien - für die oben genannten gilt dies gewiss - haben auch unabhängig von seinem konkreten Dialogmodell bleibende Gültigkeit. Sie werden deshalb auch nicht von den kritischen Anfragen getroffen, die an das Modell selbst zu richten sind. Denn dieses Modell ist zwar zunächst insofern attraktiv, als es Eigenständigkeit wie Integration von Nw. und T. ermöglichen will. Doch kann z. B. eine Trennung einer "T1" von einer "T2" begründet werden? Auch P. konzediert, diese Trennung sei nicht "absolut" (311) - was er allerdings weder begründet noch konkretisiert. Es ist wohl kaum möglich, zunächst (in einer "T1") abstrakt den Sinn theologischer Aussagen ,an sich' zu ermitteln, um dann nach einer Vermittlung desselben im Horizont naturwissenschaftlicher Welterkenntnis (durch die "T2") zu fragen. Nicht nur die Aktualität der christlichen Botschaft, auch die Gewissheit ihrer Wahrheit ist daran gebunden, dass sich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in das Verständnis der Welt als Gottes Schöpfung integrieren lassen. Es wäre von daher auch eine Rückwirkung der "T2" auf die "T1" zu explizieren.

Zudem lässt das Modell - wie P. ebenfalls eingesteht - nur sehr wenig Raum für eine Wirkung der T. auf die Nw., weshalb auch "kein wirklicher Dialog" vorliege (313). Diese Einseitigkeit der Wechselwirkung hätte allerdings vermieden werden können. Denn zum einen kann die T. etwa die Bedingungen der Möglichkeit von Nw. (z. B. Kontingenz und Ordnung der Welt) thematisieren und im Rahmen ihres Schöpfungsverständnisses erklären. Zum anderen ermöglichen die wichtigen, von P. leider ausgeblendeten ethischen Fragestellungen einen wechselseitigen Austausch - sie erfordern ihn sogar. Diese Tatsache fällt angesichts des von P. geäußerten Anspruchs, "jeden auftretenden Dialogversuch" zu erfassen (315), besonders ins Gewicht.

Schließlich ist anzumerken, dass die Arbeit zwar in einem sich angenehm zurücknehmenden und bescheidenen Duktus verfasst ist, die Präzision ihrer sprachlichen Darstellung aber erhöht werden könnte. Es führt beispielsweise zu Irritationen, dass P. durchgängig und ohne Anführungszeichen von "Sprachspielen" redet, die realismuskritische Konnotation dieses Begriffs nicht einschränkt und teils auch selbst realismuskritisch argumentiert (182 ff.), dann aber wieder in recht unbedarfter Weise von "Zugangsweisen zur Wirklichkeit" spricht (z. B. 262).

Diesen kritischen Anfragen zum Trotz zeugt P.s Untersuchung von einer langen und gründlichen Auseinandersetzung mit den Dialogbemühungen zwischen Nw. und T. Die zahlreichen und überwiegend sehr differenziert durchgeführten Detailuntersuchungen beleuchten eine Fülle faktisch bestehender und oft zu wenig beachteter Dialogschwierigkeiten. P. hat damit einen gewiss kontrovers zu diskutierenden, doch profilierten und für eine Dissertation ungewöhnlich inhaltsreichen Diskussionsbeitrag für den Dialog zwischen Nw. und T. vorgelegt, dem eine aufmerksame Rezeption zu wünschen ist.