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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

561–563

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Baukham, Richard [Ed.]

Titel/Untertitel:

God Will Be All In All. The Eschatology of Jürgen Moltmann.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1999. XV, 295 S. 8. Kart. £ 14.95. ISBN 0-567-08663-1.

Rezensent:

Hermann Stinglhammer

"Du hast keine Chance, also nutze sie". Wenn in den 80er Jahren eine enttäuschte Jugendgeneration so ihre Zukunfts- und Hoffnungslosigkeit ins Wort brachte, war es der Tübinger evangelische Theologe J. Moltmann, der mit seinen eschatologisch inspirierten Einreden die Zukunft eröffnende Kraft christlicher Hoffnung als alternative Praxis in den Raum der öffentlichen Auseinandersetzung stellte. In seiner Monographie: Das Kommen Gottes. Christliche Eschatologie, Gütersloh 1995, versammelte Moltmann sein eschatologisches Denken in einer geschlossenen systematischen Darstellung. Diese bildete den Gegenstand eines Disputes, den eine englische Theologengruppe untereinander und schließlich mit Moltmann selbst inszenierte.

Das Ergebnis dieser Begegnung liegt nun unter der Herausgeberschaft von R. Bauckham (University of St. Andrews/Schottland) mit dem für Moltmanns eschatologische Konzeption leitmotivischen Titel "God will be All in All" vor. Dabei entspricht der Aufbau des Buches dem dialogischen und interaktiven Ansatz seines Entstehens.

In sechs in sich geschlossenen Hauptteilen legt je ein Autor eine Analyse tragender Perspektiven der Moltmannschen Eschatologie vor, die von ihm in persönlichen Statements aufgegriffen und kritisch weiterreflektiert werden. Diese Einreden Moltmanns machen mit den größten Ertrag des Buches aus - und verdanken sich darin den profilierten Anfragen der anderen.

Hauptteil I eröffnet das Gespräch mit der Vorstellung seines theozentrischen Ansatzes: das Einwohnen Gottes im vollendeten Kosmos, in dem der kommende Gott selbst die Heimat von Welt und Geschichte sein will. Moltmanns theologische Option für einen erlösend-vollendenden Advent Gottes in die brüchige und verlorene Schöpfung bestimmt auch seine Antwort, einen erstmals abgedruckten Essay zur Logik der Hölle bzw. Allversöhnung (I/3), worin er in nachdenkenswerter Weise aufzeigt, dass die sie leitende Hermeneutik der Freiheit das Gottsein Gottes - sein Suchen des Verlorenen - zu sehr außer acht lässt und darin neuzeitlich-anthropozentische und atheistische Anteile in sich trägt.

Hauptteil VI beschließt den eschatologischen Diskurs mit einer Untersuchung der Eschatologie Moltmanns als Gespräch mit der Moderne bzw. Postmoderne. Auch hier stellt die Entgegnung des Tübingers einen bislang unveröffentlichten Essay über die politisch befreiende Kraft der Eschatologie für ein gegenwärtiges Handeln dar (VII The Liberation of the Future and its Anticipations in History). Darin bietet Moltmann u. a. eine aufschlussreiche Analyse der herrschenden eschatologischen Implikationen konservativer wie progressiver Handlungsstile, sowie Leitlinien eines christlichen Gegenmodells einer Befreiung der Zukunft aus dem strukturellen Unrecht der politisch-ökonomischen Gegenwart im Horizont der jüdischen Sabbattheologie.

Die weiteren Diskussionsbeiträge widmen sich im Rückgriff auf Moltmanns Theologie der Hoffnung (1964) der prophetisch-politischen Seite eschatologischer Theologie und erkunden die alternative, imaginative Kraft christlicher Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes inmitten einer immer auch leidvollen Wirklichkeit (II) gerade im Blick auf politisch-philosophische Utopien (III).

Mit der Befragung der theologischen Funktion seiner millenaristischen Hermeneutik (IV) und der Diskussion seines eschatologischen Zeitmodells - transzendente Ewigkeit als erfüllende Unterbrechung und Transformation der linearen Zeit, wie sie antizipatorisch im kairologischen "Moment" aufleuchtet (V) - ist das Zentrum des Gespräches mit Moltmann erreicht.

Ergänzt wird diese Sicht einer Synchronizität von Zeit und je einbrechender Ewigkeit durch eine phänomenologische Analyse des "Moments" im Rückgriff auf Virgina Woolfs Roman To the Lighthouse und Claude Monets späte Seerosenbilder. In diesem Beitrag R. Bauckhams wird eine ästhetische Eschatologie von großer Erschließungskraft hinsichtlich Antizipationen der Ganzheit im konkreten Jetzt entwickelt. Dieser Versuch - ebenso neu wie schön - ist als einer der Höhepunkte dieses Buches besonders zu erwähnen (The Eschatological Aestetics of the Moment, V/1).

In diesem Symposion mit dem Autor werden Durchblicke durch sein gesamtes eschatologisches Denken geschlagen, Perspektivenveränderungen und Entwicklungslinien werden aufgezeigt, theologische Motive transparent gemacht, Stärken und Grenzen ausgelotet. Darüber gerät das Gespräch - wohl ganz im Sinne Moltmanns - zu einem Prozess des Darüber-Hinaus-Denkens hin auf eine Eschatologie für heute. So wird das Buch selbst zu einer offenen Werkstatt, die ein Netzwerk eschatologischer Essentials ausbreitet, an die die weitere Reflexion anknüpfen kann.

Als solche Brennpunkte werden genannt: Das Problem von Zeit und Ewigkeit (vertikale und horizontale Zeitkonzepte, Kontiuntität/Diskontinuität/Transformation von Zeit); das Gespräch mit den Philosophien der Hoffnung; die Rolle Israels und seiner Verheißungen innerhalb einer christlichen Eschatologie sowie das Verhältnis von Messianismus und Apokalyptik; die Notwendigkeit einer universal-kosmischen Vollendung jenseits einer reinen Anthropozentik; das Verhältnis von Schöpfung und Neuschöpfung bzw. die Relation von Erlösung und Vollendung; eschatologische Kriteriologien für ein kritsch-solidarisches Handeln (der Kirchen) innerhalb einer globalisierten Post-Moderne und ihrer Fixierung auf Siegergeschichten sowie Eschatologie als Dienst der Theologie an der Freiheit von Mensch und Schöpfung im Horizont einer neuen Gesellschaft; und nicht zuletzt die innertheologische Frage nach dem Verhältnis von systematischer Eschatologie und dem Befund der Fachexegese.

Leider macht auch diese Publikation deutlich, dass bisher in der Eschatologie das heute notwendige Gespräch mit der Naturwissenschaft entfällt, so dass sie über eine binnentheologische Plausibilität kaum hinauskommt. Trotz dieses Desiderates erweist sie sich über die Diskussion Moltmannscher Positionen hinaus als ein profilierter Impuls auf dem Weg zu einer kontextuell-welthaltigen Eschatologie.