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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

556–558

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Tichy, Christiane

Titel/Untertitel:

Deutsche evangelische Auslandsgemeinden in Frankreich 1918-1944.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2000. IX, 275 S. gr.8 = Konfession und Gesellschaft, 17. Kart. DM 62,-. ISBN 3-17-015578-4.

Rezensent:

Armin Boyens

Die Ökumene hat viele Gegner. Einer von ihnen ist der Nationalismus. Weil er die eigene Nation vergöttert, kann er sich die Kirche nur als Dienerin der Nation vorstellen, die z. B. Volkstum zu pflegen habe. Am Schicksal deutscher Gemeinden in Frankreich hat die Vfn. Wirkungen des Nationalismus im 20.Jh. dargestellt.

Nach dem Ersten Weltkrieg bestanden in Frankreich noch zwei deutsche Gemeinden: Paris und Nizza. Die bedeutendere war Paris. Die deutsch-französischen Gegensätze waren damals so stark, dass erst neun Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im Jahre 1927 die deutsche Auslandsgemeinde in Paris wiedergegründet werden konnte. Die durch den Vertrag von Locarno geänderte Atmosphäre zwischen Deutschland und Frankreich hatte diese Wiederbegründung befördert. In Paris lebten 1927 etwa 2000 Reichsdeutsche: Diplomaten, Vertreter deutscher Firmen, Journalisten, Künstler und Studenten.

Die deutsche Gemeinde führte ein Eigenleben. Kontakte zu den französischen Protestanten wurden erst 1930 aufgenommen. Ein erster gemeinsamer deutsch-französischer Gottesdienst fand im Juni 1930 statt. Doch wurden diese ersten zarten Anfänge ökumenischer Kontakte nicht fortgesetzt. Im Gegenteil, sie wurden in Frage gestellt, als Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde. In Deutschland brach der Kirchenkampf aus. Nachrichten über das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen ihre Gegner wiederbelebten altes französisches Misstrauen gegen Deutschland.

Das Kirchliche Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche, das ab Anfang 1934 von Bischof Theodor Heckel geleitet wurde, betrieb kirchliche Auslandsarbeit als Volkstumspflege in enger Verbindung mit der Volkstumspolitik der Nationalsozialisten. Heckels Linie vertrat in Frankreich Pfarrer Hans-Helmut Peters, der 1929/30 als Vikar dem Gemeindepfarrer Dahlgrün in Paris zugeordnet worden war. Ende 1933 wurde Peters als Reiseprediger zur deutschen Gemeinde in Nizza abgeordnet. Im September 1940 kehrte er als einziger deutscher Pfarrer nach Frankreich zurück, das er kurz vor Kriegsbeginn im August 1939 verlassen hatte. Er wurde nun: 1) Pfarrer der deutschen Gemeinde in Paris und damit Nachfolger von Pfarrer Dahlgrün, der als Auslandspfarrer nach Italien gegangen war; 2) "Sonderbeauftragter des Kirchlichen Außenamtes in Frankreich" und 3) Standortpfarrer im Nebenamt in der Wehrmachtsseelsorge. Im August 1944 verließ er Paris mit den sich zurückziehenden deutschen Truppen.

Die vier Jahre der Tätigkeit Peters nehmen über ein Drittel der gesamten Untersuchung ein. Nimmt man die Darstellung seiner Tätigkeit in den Jahren 1933-1939 noch hinzu, dann sind es über die Hälfte. Zu Recht, denn diese 11 Jahre der Tätigkeit Peters, besonders in der deutschen Besatzungszeit von 1940-44 waren ein Test für die ökumenischen Beziehungen zwischen deutschen und französischen Protestanten.

Peters vertrat das Ökumene-Konzept Heckels. 1940 hatte Heckel es formuliert als Zusammenarbeit der protestantischen Kirchen Europas unter der Führung der DEK. Peters sollte durch "Bauen goldener Brücken" die französischen Protestanten zur "Kollaboration" mit den Deutschen bewegen. Dabei stieß er auf den entschiedenen Widerstand nicht nur Marc Boegners, den Präsidenten der Fédération Protestante de France (FPF), sondern fast aller französischen protestantischen Pastoren und ihrer Gemeinden. Heckel betrachtete Boegner wegen dieser Haltung als "Deutschenfeind". Im Juli 1940 durchsuchte die Gestapo Büroräume und Privatwohnung Boegners in Paris. Die Gestapo bediente sich dabei der Hilfe von Pastor Peters, der von ihr den Befehl erhielt, die Korrespondenz Boegners nach verdächtigem Material zu durchsuchen. Peters hat dies Ansinnen nicht abgelehnt. Boegner selber war im Juli nicht in Paris, erfuhr aber von der Durchsuchung. Natürlich war sie keine Empfehlung für die von Peters angestrebte deutsch-französische Kollaboration.

Zu einer ökumenischen Zusammenarbeit kam es für Peters auf einem ganz anderen Gebiet: der Gefängnisseelsorge. Als Französisch sprechender Standortpfarrer im Nebenamt wurde er von der deutschen Gefängnisleitung zur Seelsorge an französischen protestantischen Zivilgefangenen, Widerstandskämpfern und Geiseln, gerufen. Die Begegnung mit ihnen hat Peters menschlich in zunehmendem Maße berührt. Er wurde zum Boten zwischen den Gefangenen und ihren Angehörigen. Diesen Dienst hat man Peters in Frankreich nicht vergessen. Boegner schrieb ihm 1946: "Sie haben einer großen Zahl unserer Verwandten und Freunde geholfen, sie unterstützt und bestärkt, wofür wir Ihnen immer sehr dankbar sein werden!" Hier war ein Vertrauensverhältnis entstanden, auf dem nach 1945 im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen neue ökumenische Beziehungen zwischen deutschen und französischen Protestanten aufbauen konnten.

Das Werk der Autorin beruht auf umfangreichen Aktenstudien in französischen und deutschen Archiven und Nachlässen. Diese solide Grundlagenarbeit spürt man in jedem Kapitel. Es ist der Autorin dafür zu danken, dass sie ein wichtiges Stück ökumenischer Geschichte in Europa erschlossen hat.