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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

547 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hope, Nicholas

Titel/Untertitel:

German and Scandinavian Protestantism 1700 to 1918. 2nd Ed.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 1999. XXVII, 685 S. gr.8 = Oxford History of the Christian Church. Pp. £ 30,-. ISBN 0-19-826994-3.

Rezensent:

Ingun Montgomery

Der voluminöse Band, der jetzt vor uns liegt, besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste trägt die Überschrift "Consolidation of Reformation Church Order and the Continuance of Reform", der zweite den Titel "Piety, Enlightenment? Religious Awakening, Rediscovery (ca. 1763-1918)".

Der erste Teil umfasst die Zeit bis 1763, der zweite Teil, etwa zwei Drittel des Buches, die Zeit bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges fiel Preußen und besonders Berlin eine Führungsrolle innerhalb des Protestantismus zu - sowohl hinsichtlich der Lehrentwicklung als auch der Politik.

Die zwanzig Kapitel des Buches bieten eine umfassende und aufschlussreiche Übersicht dieser Periode ,von unten', d. h. aus der Perspektive der Ortsgemeinden und der Laien. Es ist das Wirken des einzelnen Pfarrers in seiner Ortsgemeinde, das ein Bild von den Veränderungen der Frömmigkeit zeichnen soll - eine große und schwierige Aufgabe. Zum Ausgangspunkt nimmt der Vf. nicht nur die traditionelle Kirchengeschichte, sondern er behandelt auch die Geschichte der Frömmigkeit, die früher zur Praktischen Theologie oder Sozialgeschichte gerechnet wurde. Das Buch will eine Gesamtdarstellung des christlichen Lebens in all seinen Aspekten bieten.

Das erste einleitende Kapitel trägt die Überschrift "hard times", was wohl als Angabe der Perspektive zu sehen ist. Hier wird die Erbauungsliteratur für Kirche und Haus in Skandinavien und Deutschland analysiert - mit der Schlussfolgerung, dass sie vor allem verfasst wurde, um in den schweren Zeiten des Lebens zu trösten und zu ermuntern, wie beispielsweise bei Missernten und darauf folgenden Hungersnöten, bei Kriegen, Naturkatastrophen und plötzlichem Tod.

Besonders verdienstvoll ist, dass der Vf. so sorgfältig die religiöse Situation und die besondere Art der Frömmigkeit in den baltischen Ländern darstellt. Damit füllt er eine Lücke, die, gerade was das Baltikum betrifft, sehr groß ist. Es ist als nahezu übermenschliche Aufgabe zu bezeichnen, eine Übersicht über dieses geographisch enorm große und sozial sehr verschiedenartige Gebiet darlegen zu wollen. Doch der Vf. bewältigt diese Aufgabe weitgehend - nicht zuletzt auf Grund seiner Belesenheit und seiner bewundernswerten Sprachkenntnisse. Er beherrscht neben dem Deutschen die Sprachen der skandinavischen und baltischen Länder und liest sogar deren ältere Urkunden.

In einem ausführlichen Kapitel werden die veränderten Verhältnisse zwischen Kirche und Staat in der Mitte des 17. Jh.s dargelegt. Zu dieser Zeit bekam das Naturrecht als Lehre vom Staat eine große Bedeutung und die Epoche des Absolutismus wurde sowohl in den protestantischen als auch in den katholischen Ländern vorbereitet. Aber dennoch ist die Entfaltung des Absolutismus in den verschiedenen Ländern nicht identisch. So ist schon der Unterschied zwischen dem Absolutismus Schwedens und dem in Dänemark beachtenswert.

Danach folgen die Epochen der Erweckungsbewegung, der Aufklärung und der neuen gesellschaftlichen Strömungen, die von der Kirche die Übernahme sozialer Verantwortung verlangen. Große Teile der Bevölkerung ziehen wegen der zunehmenden Industrialisierung vom Land in die Städte. Die dadurch stark veränderten sozialen Bedingungen rufen neue Bewegungen wie Diakonie und Innere Mission hervor. Romantik und Neuluthertum begegnen uns in allen Teilen der Gesellschaft - in der Architektur, in der Kunst und Musik sowie in der Literatur.

Die letzte große Fragestellung, die in diesem Buch aufgenommen wird, ist, wie sich die Kirche zur modernen Zeit verhielt. Die Periode 1890 bis 1910 war eine Blütezeit der Universitätstheologie in Deutschland. Es war die große Zeit Harnacks - sowohl was Gelehrtentum als auch Ethik betrifft. Auch eine so diffenrenzierte Persönlichkeit wie Albert Schweitzer gehörte zu den liberalen Theologen, die eine dauerhafte Einwirkung auf die Menschen und ihre Zeit hatten.

Der Vf. lässt schließlich seine breite Übersicht in einer Szene, die im Herbst 1918 in Uppsala stattfand, ausklingen. Der Berliner Domchor hatte im Dom zu Uppsala ein Konzert gegeben. Nach dem Konzert kam Erzbischof Söderblom mit dem jungen Organisten Wilhelm Kempff über die Gabe der Musik ins Gespräch und sie waren sich darin einig, dass die Musik die allgemeingültige Botschaft sei, durch die sich Gott durch alle Zeiten den Christen mitteilt. Mit dieser optimistischen kleinen Erzählung endet das Buch.