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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

540–542

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thüsing, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus. Grundlegung einer Theologie des Neuen Testaments. III: Einzigkeit Gottes und Jesus-Christus-Ereignis (mit Studien zum Verhältnis von Juden und Christen). Hrsg. von Th. Söding.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1999. XVI, 444 S. 8. Geb. DM 78,-. ISBN 3-402-03410-7.

Rezensent:

Peter Stuhlmacher

Wenn man diesem gewichtigen Buch gerecht werden will, muss man es im Rahmen des von Thüsing auf vier Bände angelegten Gesamtwerks lesen, die zahlreichen Rückverweise auf Bd. 1 und 2 mitvollziehen und die Modifikationen früherer Urteile des Autors bedenken. Außerdem muss man sich darauf einstellen, auch in diesem dritten Band mit dem fundamentaltheologischen Programm konfrontiert zu werden, "die Theologie des Neuen Testaments so zu betreiben, dass sie Grundlage zunächst der systematischen Theologie, dann aber auch der gesamten Theologie sein kann" (XI). Th. hat das Manuskript des Bandes kurz vor seinem Tode am 24. Mai 1998 noch soweit fertiggestellt, dass sich die Herausgebertätigkeit seines Schülers Thomas Söding auf Formalien beschränken konnte. Für den vierten Band, in dem der Autor sein Konzept an paulinischen und johanneischen Texten verifizieren wollte, gibt es leider nur nachgelassene Teilentwürfe; Söding will auch sie in Bälde vorlegen.

In unserem Band will Th. zeigen, "daß das Jesus-Christus-Ereignis mit der Einzigkeit Gottes nicht nur vereinbar ist, sondern deren Offenbarung letztgültig vorantreibt - auf die futurisch-eschatologische Vollendung dieser Offenbarung hin" (XII, kursiv a. a. O.). Treibendes Motiv der Darstellung sind kritische Gespräche mit Franz Mußner und der christlich-jüdische Dialog insgesamt. Das Buch umfasst drei große Teile: "Basileia-Dynamik Gottes und Basileia-Existenz Jesu" (1-104), "Juden und Christen angesichts des Jesus-Christus-Ereignisses" (105-270) und "Die Erhöhung Jesu Christi und die Einzigkeit Gottes" (271-419). Der Mittelteil gibt dem Band seinen Akzent. Hier werden sorgsam all die Fragen erörtert, die sich auf Grund der Debatte über die Wurzeln und Auswüchse des christlichen Antijudaismus an die Anlage einer Theologie des Neuen Testaments stellen. Im dritten Teil versucht Th., die Erhöhung Jesu Christi und die Einzigkeit Gottes so zusammenzudenken, dass der für Juden lästerliche Gedanke an einen schittuf (d. h. eine Ergänzung der Einzigkeit Gottes) vermieden wird.

Bei der Durchführung seines Programms hinterfragt Th. die Texte der Evangelien und setzt "bei dem Juden Jesus von Nazareth" an, genauer: bei "Jesus als im Bekenntnis der Einzigkeit JHWHs lebendem Juden" (214). Außerdem bemüht er sich um eine "Rückübersetzung" der Christologie der großen Konzilien "in die Sprache des Neuen Testaments" (287). Den schon im vierten Evangelium aufkommenden Gedanken an eine "Vergottung" Jesu will Th. unter Berufung auf K. Rahner "auf seinen theologischen und christologischen Grund" zurückführen, nämlich den "singuläre[n] Kontakt des einen Menschen Jesus mit dem absoluten Geheimnis, das wir Gott nennen" (275, kursiv a. a. O.). Die Aussagen über Jesu Präexistenz deutet er (in Anlehnung an W. Pannenberg) als Ausdruck des Auferstehungsglaubens: "Mit der singulären, einzigartigen Erhöhungsexistenz Jesu ist auch seine ,Präexistenz' gegeben: Denn dadurch, daß er in dieser einzigartigen Weise bei Gott ist, umgreift er in Gott und wie Gott die Zeit" (281). Die Inkarnation nimmt Th. mit Jesu Erwählung und Sendung zusammen: Von Uranfang an wollte Gott "seinen Logos mit dem in der Zeit zu schaffenden Menschen Jesus von Nazareth ... verbinden" (327); er hat darum Jesus erwählt wie Israel auch (330). Kraft dieser Erwählung hat Jesus gewirkt als Bote und Repräsentant der Gottesherrschaft (H. Merklein); er war "ein jüdischer prophetischer Charismatiker", der "angesichts der nahenden Katastrophe seinen Tod als ein Sterben für das sündige Israel, zu dem er gesandt war, gesehen und durchlitten hat - also als äußerste Realisierung der Feindesliebe" (215). Auferweckung und Erhöhung des Gekreuzigten sind nach Th. mit Jesu "Aufnahme ... in das absolute Geheimnis der Liebe, das wir Gott nennen" gleichzusetzen; "göttliche Natur" wird Jesus also erst "durch Partizipation am Gottsein des Vaters zuteil" (337). Programmatisch heißt es dann: "Die neutestamentliche Theologie der Einzigkeit Gottes ist Theologie der Hinordnung Jesu Christi auf Gott - und damit Theologie der auf die Theozentrik hingeordneten Christozentrik" (382): Jesus ist Mittler des Heils als "der inmitten des Geheimnisses Gottes lebende, absolut singuläre Mensch Jesus, der nie aufhört, Mensch, jüdischer Mensch, zu sein" (383). Als solcher bleibt er dem Basileia-Willen Gottes stets ein- und untergeordnet. Für diese Sicht beruft sich Th. auf 1Kor 15,20-28 und Paulus insgesamt, bewahrt aber gegenüber Kol, Eph und den Past ebenso deutliche Reserve wie gegenüber der johanneischen Theologie.

Da es leider nicht mehr möglich ist, ein kritisches theologisches Gespräch mit dem Autor zu führen, müssen folgende Hinweise genügen: Der neue Band ist lesenswert und lehrreich, aber man muss sagen, dass Th. dem christologischen Zeugnis des Neuen Testaments und den Lehrsätzen der altkirchlichen Symbole nicht gerecht geworden ist. Das Neue Testament ist nicht nur "das Dokument des Ablösungsprozesses von Gemeinde Christi und jüdischer Synagoge" (184 f.), sondern besteht selbst noch im Wesentlichen aus judenchristlichen Zeugnissen, die als solche gewürdigt werden wollen. Aber schon Th.s bewusst gewählte abstrakte Rede von der "Basileia-Dynamik des Je-mehr", mit der er das Handeln des einen Gottes charakterisiert (15 f.), lässt nicht deutlich genug erkennen, dass die Hauptzeugen des Neuen Testaments in der Sendung, dem Sühnetod und der Auferweckung Jesu ein messianisches Erfüllungsgeschehen gesehen haben, und sie verdeckt den Umstand, dass die urchristliche Mission auf den Tag der Aufrichtung der Basileia für Israel (!) hingearbeitet hat (vgl. Apg 1,6; 3,20-21). Phil 2,6-11; Kol 1,15-20 und Joh 1,1-18 bezeugen keine nur ideelle, sondern die personale Präexistenz Jesu sowie seine reale Schöpfungs- und Heilsmittlerschaft.

Die alte judenchristliche (!) Tradition des natus ex virgine übergeht Th. ganz. Der tödliche Konflikt zwischen Jesus und den jüdischen Oberen, der sich an Jesu Anspruch entzündet hat, als der messianische Repräsentant Gottes zu handeln, wird vom Autor theologisch unterschätzt. Die Bezeichnung Jesu als Gott in Joh 1,1.18 redet vom Sein des Logos, und auch 20,28 (vgl. mit Ps 35,23) spricht nicht bloß davon, dass "der auferweckte Gekreuzigte transparent wird für den Gott, der Liebe ist" (417, kursiv a. a. O.). Jesu Erhöhung zur Rechten Gottes gemäß Ps 110,1 und seine Belehnung mit dem Gottesnamen Kyrios (Phil 2,9) meinen seine Einsetzung in das Amt des endzeitlichen Weltenherrn und Weltenrichters; als solcher ist Jesus entscheidend mehr als nur der in das Geheimnis der Liebe aufgenommene jüdische Mensch aus Nazareth, nämlich der mit dem einen Gott wesens- und willensgleiche Repräsentant der Basileia. Was schließlich 1Kor 8,6 anbetrifft, führt exegetisch kaum etwas an eben dem binitarischen Gottesverständnis vorbei, in dem Th. ein gefährliches Missverständnis des Textes sieht (412).

Die Absicht des Autors, Theozentrik und Christozentrik zusammenzudenken, ist angesichts der vorliegenden judenchristlichen Texte mehr als berechtigt. Aber bei der Synthese bleibt Th. von Mal zu Mal hinter den Aussagen dieser Texte zurück, und von den altkirchlichen Symbolen mit Einschluss von Chalcedon gilt das Gleiche. Sein neues Buch bietet also leider noch keine exegetisch angemessene und dogmatisch wegweisende Lösung der anstehenden fundamentaltheologischen und hermeneutischen Probleme.