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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

530–532

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

LaGrand, James

Titel/Untertitel:

The Earliest Christian Mission to 'All Nations' in the light of Matthew's Gospel.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1999. XIV, 290 S. m. 1 Kte. gr.8. Kart. $ 32.-. ISBN 0-8028-4653-X.

Rezensent:

Hans-Theo Wrege

Ausgehend von Reminiszenzen an Harnack (Mission und Ausbreitung) sowie F. C. Baur bereitet der Vf. seine Leser auf eine kritische Überprüfung der Gegenüberstellung des Universalismus der Kirche einerseits und des jüdischen Partikularismus andererseits vor. Ebenso will er den Hegelschen Dreischritt im Strukturschema der Tübinger Schule (Petrus-Paulus-Johannes) untersuchen (2).

Dazu dient ihm ein Blick auf Positionen der modernen Debatte: Dix (Jew and Greek), Munck (Paul and the Salvation of Mankind) und Cullmann (Peter. Disciple, Apostel, Martyr; 3 f.). Von hier aus kann der Vf. Schlüsselbegriffe der Debatte benennen: Sektiererisches Judentum, jüdischer Proselytismus und Judenchristentum. Jedem dieser Begriffe ist eine Skizze seiner Geschichte und seines Bedeutungsumfanges beigegeben (6ff.). Der Vf. begründet dies damit, dass Judentum und Christentum im Laufe ihrer Geschichte sich wie ein Chamäleon verwandelt hätten (12). Als Ziel seiner Untersuchung benennt er die Klärung der Identität und der Berufung der messianischen Mission zu den Völkern im Licht des MtEv im Zeitraum der drei Dekaden, die auf den Tod und die Auferstehung Jesu folgten (33-63 n. Chr., 14).

Diese Klärung kann dadurch unerreichbar werden, dass der moderne Zeitgenosse sich durch die Tücken der sprachlichen Vermittlung täuschen lässt. Dies umso mehr, als Antworten auf wissenschaftliche Fragestellungen i. A. durch letztere, also die Fragen präjudiziert sind (17 ff.). Zwar kennt der Vf. die aus dem hermeneutischen Zirkel erwachsende Doppelstruktur wissenschaftlicher Erschließung antiker Texte in modernen Fragehorizonten (18). Aber die weiteren Ausführungen zeigen, dass er sich selbst mehr im Zusammenhang mit der angelsächsischen Wittgenstein-Rezeption orientiert; d. h. es geht ihm im Sinne des klassischen Wahrnehmungsproblems beim "Gänse/Kaninchen-Kopf" um die Auflösung von Doppeldeutigkeiten (21) nicht zuletzt durch methodische Anleihen beim "logischen Positivismus" bzw. der "analytischen Philosophie" (23 ff) und der von hier aus bestimmten Linguistik bzw. der Verhaltenspsychologie. Alles kommt also darauf an, die Mehrdeutigkeiten metaphorischer und allegorischer Elemente der Alltagssprache zu klären, um so massive und gefährliche Missverständnisse abzuwehren. Vieles, was für klar gehalten wird, erweist sich als "Verhexung durch Sprache" (31). Nach diesen Darlegungen wendet er sich seinem Thema im engeren Sinne zu, denn nun weiß der Leser, dass ihm der Vf. unter den genannten linguistischen Prämissen den wechselnden Bedeutungsumfang der Wendung ",Israel' und die Nationen" für die Zeit der beginnenden urchristlichen Mission erschließen will (31 ff.). Besonders ausführlich widmet sich der Vf. der Abwehr des von Gobineau und H. St. Chamberlain maßgeblich geprägten Rasse-Begriffs und seiner Anwendung auf das Judentum (34 ff.43). Da es höchst unterschiedliche Definitionsebenen für Israel und sein Verhältnis zu den Völkern gibt, kann der Vf. hier dringenden Klärungsbedarf geltend machen. Geht es doch in der Konsequenz darum, entweder "Israel" unter die Völker zu rechnen, oder umgekehrt die Völker "Israel" zuzuordnen (31.37).

Insbesondere ist der Begriff "Nation" angesichts seines rassistischen Missbrauchs im 19. und 20. Jh. vor entsprechenden ideologischen Missverständnissen zu schützen ("But in any way, todays interpreter of ancient documents who accepts Nazis as guides should take special warning." [39.43] Der Vf. markiert rassistische Züge auch in der Apartheids-Politik von Hendrik Verwoerd und - latent - in modernen Veröffentlichungen bei J. Enoch Powell u. P. Wagner, 44 f.). Dabei geht es genauer um ein Verständnis von "Rasse" als rein biologische Ab/Herkunft (33).

Auf diesem Hintergrund hebt der Vf. proselytenfreundliche Züge bei Josephus und Philo hervor (85). Hier wäre ein Hinweis auf F. Siegert, Gottesfürchtige und Sympathisanten, JSJ 4, 1973, 109-164, angezeigt gewesen (dort vor allem die Diskussion der Izates-Beschneidungs-Problematik Jos, Ant. XX, 34 ff.: Siegert, 128 ff.).

Hier fällt nun auch ein Blick auf Paulus (86 ff.). Der Vf. zeigt sich überzeugt davon, dass Saulus seine Bundes-Identität mit Israel und Israels Gott nicht verlassen habe, als er Apostel der Völker wurde. Geändert habe sich für Paulus allerdings die Bewertung seiner Verfolgung von Christen zunächst als eifernd, dann, nach der Damaskus-Offenbarung, als gotteslästerlich (86). An Röm 11,25 zeigt der Vf., dass "Paul now understands that the Salvation of all Israel ... itself is to be established through the entry of the 'complete number of nationals' ..." (88). Der Vf. bezeichnet diesen Blick auf Paulus zwar selbst als "cursory view" (89). Es ist mir aber zweifelhaft, ob sich ein angemessenes Paulus-Verständnis ohne einen Hinweis auf die Gesetzesproblematik und ohne eine Bestimmung ihres Verhältnisses zur Apokalyptik erreichen lässt.

Im Hinblick auf vor- und neben-paulinische Mission ist der Vf. vom Wirken anonymer Wandermissionare überzeugt, sieht aber den Missionsbefehl Mt 28 durchaus im Zusammenhang mit den Zwölf Aposteln (93 ff.).

Besonderes Interesse zeigt der Vf. am syrischen Christentum (95 ff.). Er hebt (mit J. Neusner) das Fehlen jeglichen Anti-Semitismus' ebenso hervor, wie (mit A. Vööbus) das starke Bundesbewusstsein in der syrischen Christenheit (96 f.).

Im Folgenden betont der Vf. universalistische Elemente im AT als konstitutiv für das jeweilige Selbstverständnis von Israel (ohne den abgrenzenden Ethnozentrismus Israels gegenüber z. B. den Samaritanern z. Z. Jesu zu leugnen, 141). Die christliche Völkermission sieht er in einem Lichte, das den AT-Universalismus eher bestätigt als in Frage stellt. Dabei möchte er die Begründungsstrategien der christlichen Mission eher aus dem Mt-Evangelium als aus Paulus erheben (103 ff., s. auch die ausführliche Behandlung des Missionsbefehls Mt 28,16-20, S. 235ff., die den dortigen Universalismus in keiner Weise einschränkt).

Überzeugend ist m. E. die kritische Auseinandersetzung mit den von Gobineau und H. St. Chamerlain ausgehenden rassistisch-ideologischen Engführungen der Begriffe Nation und Mission.