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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

528–530

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hirschberg, Peter

Titel/Untertitel:

Das eschatologische Israel. Untersuchungen zum Gottesvolkverständnis der Johannesoffenbarung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. X, 340 S. 8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 84. Geb. DM 98,-. ISBN 3-7887-1750-5.

Rezensent:

Traugott Holtz

Der Vf. dieser Untersuchung ist mit dem Thema, das er bearbeitet, auch persönlich in starkem Maße verbunden. Er hat (u.a.) in Jerusalem studiert, war von 1990 bis 1995 Theologischer Referent im BCJ (Begegnung von Christen und Juden) und seit 1995 Leiter des Evangelischen Zentrums für Touristen und Pilger in Jerusalem. Im Vorwort verweist er auf für ihn und seine Studien wichtige Freundschaft zu Judenchristen in Israel. Das ist seiner Arbeit offensichtlich - auch - zugute gekommen. Denn, so will es mir jedenfalls scheinen, er ist mit Blick auf die christliche Position des von ihm behandelten Autors (und auch seiner eigenen) unbefangener und gewisser als man es gegenwärtig in manch vergleichbarer Publikation findet.

Gleichwohl stellen sich auch bei diesem Buch Schwierigkeiten bei dem Umgang mit dem sensiblen und auch tabuisierten Thema des Verhältnisses der Kirche zu ihrer alttestamentlich-frühjüdischen Herkunftsgeschichte und zu dem ihr gleichzeitigen nichtchristlichen Judentum ein. Der Vf. versucht, das Problem, das sich durch die scharfe Absage der Apk an die Juden im Umfeld der von ihr angesprochenen christlichen Gemeinde (Apk 2,9; 3,9) sowie durch die Inanspruchnahme alttestamentlich-jüdischer Heilsprädikate für die von ihr angeredeten Zugehörigen zum geschlachteten Lamm (7,4 ff.[14,1]; 21,1-22,5) stellt, geschichtlich zu lösen - und damit theologisch wenigstens mit Hinblick auf die Apk geradezu zu eliminieren.

In einem 1. Teil analysiert H. die historisch-politische Lage des "kleinasiatische[n] Judentum[s] am Ende des 1. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Situation in Smyrna und Philadelphia" (31-81), die des "kleinasiatische[n] Christentum[s] am Ende des 1. Jahrhunderts" (82-106) sowie den "Konflikt zwischen Synagoge und christlicher Gemeinde und seine Hintergründe in den Sendschreiben der Offb" (106-127). Das Urteil des Vf.s ist hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinde in moderater Weise durch die neuere Diskussion bestimmt, nach der eine gezielte Christenverfolgung durch Domitian in Kleinasien nicht erfolgte, wohl aber ein nachhaltiger Assimilationsdruck in Richtung auf die hellenistische Zivilgesellschaft die Gemeinden gefährdete, dem die Nikolaiten und die Parteigänger der Prophetin "Isebel" bereits erlegen waren. H. meint nun, dass die jüdischen Gemeinden in Smyrna und Philadelphia, über die (allein) in den Sendschreiben (negativ) geurteilt wird, solchem Druck der hellenistischen Gesellschaft, in die sie eingebettet waren, nachgegeben haben und darüber hinaus mit ihr gemeinsame Sache im Vorgehen gegen den derartigen Versuchungen widerstehenden Teil der Christen machten. Dessen Sache nun wiederum vertritt die Apk. Das scharfe Urteil des Sehers ergeht über die in Frage stehenden jüdischen Gemeinden, weil sie Gott lästern; und "sie lästern Gott einerseits dadurch, daß sie aufgrund ihrer paganisierenden Lebensweise Götzendienst treiben. Sie lästern Gott andererseits dadurch, daß sie diese Assimilationsbereitschaft zu dem beschriebenen feindlichen Verhalten den Christen gegenüber führt" (124). Freilich: "Letztlich ist das in den Augen des Sehers götzendienerische und christenfeindliche Verhalten der Juden Ausdruck ihrer Verweigerung, sich dem Christus zuzuwenden" (125); doch relativiert H. sogleich dieses Urteil, indem er es als Ausdruck prophetisch-theologischer Deutung einer konkreten historischen Situation verortet. Daher stellt er in Frage, "daß Johannes den jüdischen Gemeinden den Ehrentitel IÔÖÔ auch dann abgesprochen hätte, wenn sie sich gegenüber Rom, dem Kaiserkult und den Christen anders verhalten hätten" (303). Indessen wissen wir über das Verhalten der jüdischen Gemeinden, die Joh im Blick hat, gegenüber Rom und dem Kaiserkult zumindest aus der Apk gar nichts; selbst hinsichtlich der Nikolaiten und Isebel-Parteigänger haben wir für diesbezügliche Vermutungen (trotz gegenwärtig immer gewisser sich gebender Annahmen) keinen wirklichen Anhalt. Das Verhalten der Synagoge gegenüber den Christen dürfte vielmehr, allem nach, was sich begründet vermuten lässt, in deren Bekenntnis zum geschlachteten Lamm als dem, durch den Gott eschatologisch gültig handelt, das auf einem konfliktreichen Weg zur gegenseitigen Trennung geführt hatte, begründet sein. Der Entscheidungsfrage, die sich hier stellt, ist nicht durch eine Historisierung auf der Basis kühner Vermutungen zu entkommen!

Das gilt auch hinsichtlich des Problems, das durch die Inanspruchnahme alttestamentlicher Institutionen und Strukturen des Gottesvolkes und seiner Zukunft durch die Nachfolger des Löwen aus dem Stamm Juda, der Wurzel Davids, des (wie) geschlachteten Lamms (Apk 5,5 f.) und ihrer Zukunft aufgegeben ist. Zwar erkennt H., dass die JohApk in ihrer Darstellung sowohl der empirischen als auch der durch das Lamm begründeten geistlichen Wirklichkeit der "Überwinder" nicht zwischen Juden- und Heidenchristen unterscheidet, meint aber doch nachweisen zu können, dass für Joh das Gottesvolk durch Angehörige des historischen Israel gebildet wird, das sich - entsprechend alttestamentlich-prophetischer Verheißungen für die Endzeit - ihm zuströmenden Heiden gegenüber öffnet und sie in sich aufnimmt. Das Judenchristentum ist "Basis und Grundstock des Gottesvolkes" (201; s. auch z. B. 289 f. zum Neuen Jerusalem), die Völker "werden ... nicht einfach metaphorisch als Israel tituliert, sondern sie werden zu Israel, weil sie durch Christus in das vollendete Israel integriert und nun sowohl von der Christusbotschaft als auch von dessen Traditionen geprägt wurden" (ebd.; s. z. B. auch 285). Indessen: Das zu lösende Problem, nämlich das Verhältnis von Christusbotschaft zu den Traditionen Israels, ist durch das "sowohl ... als auch" allenfalls markiert, in keiner Weise aber bereits wirklich angegangen oder gar gelöst.

Die gleichwohl bleibende und theologisch schließlich entscheidende Frage nach dem "nicht an Christus gläubige[n] Judentum" wird in diesem Zusammenhang (202) zwar als solche benannt, aber dann übergangen. Tatsächlich beruhigt sich H. bezüglich dieser Frage für den Bereich der Apk offensichtlich mit der Auskunft, das nichtchristliche Judentum sei zumindest mehrheitlich das von sich selbst zum Synkretismus der kleinasiatisch-hellenistischen Gesellschaft hin abgefallene Judentum, das deshalb auch jüdisch zu Recht als Synagoge des Satans (Apk 2,9) bezeichnet werden muss. Denn das erkennt H. für die Apk schließlich doch an, "daß das nicht glaubende Israel solange nicht mehr zum Gottesvolk gehört, solange es im Unglauben verharrt" (288). Nur ist das nach seinem Urteil für die Apk offenbar eine quantité négligeable (was er freilich so nicht sagt).

In dem (kurzen) Schlussteil "Abschließende Überlegungen und offene Fragen" (301-308) habe ich nicht wirklich Weiterführendes finden können. Dass das joh Verständnis des eschatologischen Gottesvolkes in "Opposition zu einer Kirche (steht), die sich über weite Strecken ihrer Geschichte als Gegensatz zu Israel verstanden hat" (304), ist natürlich völlig richtig. Nur: An welche Kirche soll man dabei denken? Für die Kirche Markions mag das zutreffen, auch wohl für gewisse Gruppen der DC etwa; für die christliche Kirche insgesamt trifft es selbst dann, wenn man "Israel" durch "Synagoge" (im Sinne von ,nachchristliches Judentum') ersetzen würde, schwerlich so zu.