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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

519–521

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seters, John van

Titel/Untertitel:

The Pentateuch. A Social-Science Commentary.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 233 S. gr.8 = Trajectories. 1. Kart. £ 16.95. ISBN 1-84127-027-X.

Rezensent:

Marc Wischnowsky

John van Seters legt mit diesem Werk den Eröffnungsband einer neuen Kommentarreihe vor, die in Sheffield erscheinen wird: Trajectories, "a social science commentary". Dazu die Herausgeber u. Herausgeberinnen D. Edelman und B. B. Schmidt: "Trajectories is neither a verse-by-verse commentary nor a thematic or synthetic-oriented handbook. Rather its emphases center on the social production of texts", also die historischen, soziologischen und kulturellen Entstehungsbedingungen. "Trajectories will aim to explore the personal, class, group and national interests that the texts reflect; their compositional histories, religious ideologies and contexts of reception." (Editor's Foreword)

Den Auftakt zu diesem Projekt setzt v. Seters mit seinem Band zum Pentateuch. Er schränkt sein Ziel zunächst ein. Der Vf. will nicht mehr als seinen eigenen, über die letzten 25 Jahre entwickelten Ansatz zur Pentateuchentstehung darstellen, d. h. "to sketch in broad outline the implications of my method and results for the whole of the Pentateuch" (11). Dies soll anfängergerecht geschehen, aber "faithful to the complexity of the discussion on method and fair to opposing viewpoints" (11).

Der Zielgruppe entsprechend umspannt der forschungsgeschichtliche Teil nahezu die erste Hälfte: "The Pentateuch as a Whole: Basic Features and Problems", "A Survey of Historical-Critical Research on the Pentateuch", "New Currents in Pentateuchal Studies from 1975 to the Present". Es folgen drei Kapitel zu "Deuteronomy", "The Yahwist (J)" und "The Priestly Writer (P)", schließlich ein kurzer Abschnitt zu "Law in the Pentateuch".

Einleitend klärt der Vf. zunächst sein Verständnis von "so- cial science" im Sinne eines deutlichen Bekenntnisses zur historisch-kritischen Exegese. Weil es den Pentateuch als "final form" im Sinne eines 'canonical approach' nie gegeben habe, müsse kritisch zwischen der Frage des Kanons und der Literargeschichte unterschieden werden (16 f.). Jede ,sozialwissenschaftliche' Interpretation erfordere ein literargeschichtliches Verständnis des Textes und dessen relative wie auch absolute Datierung (18 f.).

Das Kapitel Pentateuch as a Whole bietet einen Aufriss der fünf Bücher mit ersten literarkritischen Annäherungen. Konsens der Forschung sei die Aufteilung des Materials in die Komplexe "D" (Deuteronomium), "non-P" (nicht-priesterschriftlich) und "P" (priesterschriftlich). Der Vf. weist allerdings darauf hin, dass weder deren Charakter als Quelle noch deren Einheit oder Zusammenstellung im Einzelnen geklärt seien. Der Survey beleuchtet die historisch-kritische Erforschung des Pentateuch von den Anfängen der Quellenkritik zu Beginn des 19. Jh.s bis zur Mitte des 20. Jh.s. Der Vf. fühlt sich dem Erbe J. Wellhausens verpflichtet, dessen religionsgeschichtlichen Zugang er als "'social scientific' albeit within the limitations of those disciplines in the nineteenth century" charakterisiert (35, Anm. 7). Entsprechend kritisch setzt er sich mit dem formgeschichtlichen Ansatz H. Gunkels (47 f.), der traditionsgeschichtlichen Methode G. v. Rads und M. Noths (48-50) und der 'Myth and Ritual-School' im Gefolge W. F Albrights auseinander (53 ff.). New Currents setzt ein mit van Seters eigenem Beitrag zur Forschungsdiskussion 1975 (Abraham in History and Tradition). Hier werde zusammen mit H. H. Schmid (Der sogenannte Jahwist, 1976) und R. Rendtorff (Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, 1977) die deutlichste Kritik an der Urkundenhypothese formuliert. Der Vf. profiliert in Auseinandersetzung mit anderen neueren Entwürfen (C. Westermann, W. F. Albright, F. M. Cross, E. Zenger, R. Rendtorff, E. Blum) seine eigene literargeschichtliche Position als ,neuere Ergänzungshypothese' ("New Supplementary Model").

Sie wird in den folgenden Kapiteln schwerpunktartig entfaltet: Das Deuteronomium sei früheste Quelle und literargeschichtlicher Beginn der Pentateuchüberlieferung. Der Jahwist komponiere Ur-, Väter- und Mosegeschichte als "National Antiquities" zum Prolog des deuteronomistischen Geschichtswerkes. Er nähme dabei insbesondere in der Väterüberlieferung ältere Stoffe auf ("early J"), sei aber vor allem ein historischer Autor hohen Grades. J schreibe im 6. Jh. in Babel und habe insbesondere in den Landesverheißungen und der Exoduserzählung die Exilssituation aufgenommen. Am Ende der persischen Zeit schließlich ergänze und revidiere P die nationalen Traditionen von J und D im Sinne priesterlicher Restauration und Ideologie.

Unter den Gesetzeskodizes im Pentateuch gilt dem Vf. Dtn 12-26 als der früheste. Das Bundesbuch Ex 20,22-23,33 sei "J's Version of the law" (199), setze aber das (exilische) Heiligkeitsgesetz (H) Lev 17-26 ebenfalls schon voraus (205). H wiederum sei zum ersten Teil von P geworden (204); die weiteren priesterlichen Gesetze ließen sich als Neuinterpretation der älteren Gesetzesüberlieferung deuten (209).

Inhaltlich sind die Positionen des Vf.s bekannt, die Kritik daran ebenso (vgl. die Rez. zu Prologue to History 1992 von L. Schmidt in dieser Zeitschrift, ThLZ 119, 1994, 235-237, zu The Life of Moses 1994 von E. Blum, ZAW 109, 1997, 157). Als wiederkehrendes Argument bringt er die "greatest economy" (78) des von ihm vorgeschlagenen Ergänzungsmodells in Anschlag: "the supplementary method using three major sources greatly simplifies and clarifies the compositional history of the Pentateuch" (212). An Grenzen gelangt diese ,Vereinfachung', wo sie historisch unwahrscheinlich wird. Wenn etwa das dtrG (was der Vf. nicht zu bestreiten scheint) im 6. Jh. in Palästina entstanden ist, J zeitgleich im babylonischen Exil (151 ff.), dann ist J zwar denkbar als konkurriendes Nationalepos (so jetzt C. Levin, Der Jahwist, 1994, 434 f.), kaum aber als Prolog zum dtrG. Sollte man nicht gerade bei einer späten Datierung des Jahwisten dessen un- oder sogar antideuteronomistischer Tendenz Rechnung tragen und für die Zusammenstellung beider Geschichtswerke besser eine spätere (End-)Redaktion verantwortlich machen? Und wird man dieser dann nicht weitere deuteronomistisch wie jahwistisch inspirierte Überarbeitungen zutrauen dürfen? (Vgl. die Forschungen von E. Otto, H. C. Schmitt, J.-L. Ska, M. Vervenne, J. C. Gertz u. a.). ,Ökonomie' ist hier sicher kein zureichendes Kriterium für eine literargeschichtliche Theorie. Ob die Argumente des Vf.s weit genug tragen, um schließlich sogar den breiten und wohlbegründeten Forschungskonsens über die innere Abhängigkeit der Gesetzeskodizes in Frage zu stellen, scheint mir ebenfalls zweifelhaft. Letztlich zeigt sich an vielen Stellen, dass er seine an der Vätergeschichte überzeugend gewonnenen literarischen Erkenntnisse nur mit Mühe am gesamten Pentateuch bewähren kann.

Insgesamt ist festzuhalten, dass eine derartig übersichtliche, forschungsgeschichtlich begründete und persönlich verantwortete Darstellung der Forschungen zum Pentateuchproblem "for the student and the novice" sicher nützlich ist. Die Sprache ist knapp und klar, die Position eindeutig und in ihrer Einfachheit nach wie vor bestechend. Wer mehr über ihre Begründungen erfahren will, muss bei dem Vf. an anderer Stelle nachlesen. Wer andere Positionen sucht, wird zu anderen Autoren greifen, auf die der Vf. in einer Kurzbibliographie zu Beginn jedes Kapitels und ausführlich am Ende des Bandes verweist. Um einen ,Kommentar' handelt es sich nicht; Einzelexegesen unterbleiben. Der Band bietet eine klassische ,Einleitung' in den Pentateuch.

Der Rez., dem die Bestimmung "social science commentary" noch in den Ohren klingt, bleibt etwas ratlos zurück: Inwiefern erfüllt dieser Band die Kriterien der Reihe, wie sie eingangs dargelegt wurden? Die Position des Vf.s ist historisch-kritisch in jedem Sinn; sozialhistorische Einbettungen finden sich nur in Ansätzen (153 ff. zum exilischen Hintergrund von J, 177 ff. zum "Social Setting of P", 208 f. zu den Trägern des Priesterkodex), Kulturgeschichtliches ebenso (118 ff. zu den mesopotamischen Parallelen der Sintflutüberlieferung). Der konkrete ,Sitz-im-Leben' einer Literaturgattung "National Antiquities" bleibt offen, eine Auseinandersetzung mit den Verstehensbedingungen der Rezipienten der Literaturwerke (dem "context of reception") unterbleibt ganz.

Die Einleitung von van Seters bietet nicht mehr und nicht weniger als eine solide Einführung in sein literargeschichtliches Modell der Pentateuchkomposition. Die ,sozialwissenschaftlichen' Erwartungen richten sich nun auf die angekündigten nächsten Bände der ,Trajectories' zum deuteronomistischen und chronistischen Geschichtswerk, zur Weisheit und Prophetie.