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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

513–515

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kreuzer, Siegfried, Vieweger, Dietrich, Hausmann, Jutta, u. Wilhelm Pratscher

Titel/Untertitel:

Proseminar I: Altes Testament. Ein Arbeitsbuch.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 208 S. gr.8. Kart. DM 30,70. ISBN 3-17-013050-1.

Rezensent:

Aaron Schart

Siegfried Kreuzer und seine Mitautoren haben eine Einführung in die historisch-kritische Methode der Textinterpretation vorgelegt, die ganz bewusst als Arbeitsbuch für die Hand der Studierenden konzipiert ist. Der Sinn und Zweck des ganzen Unternehmens wird von S. Kreuzer im Vorwort (5-6) dargestellt. Zu Recht wird darauf abgehoben, dass die historisch-kritische Methode sich von ihrem Ursprung an als "offen und entwicklungsfähig" gezeigt hat. Entgegen einer manchmal zu beobachtenden Tendenz, die historisch-kritische Methode als einen abgeschlossenen Kanon an Schritten mit einem gegenüber neueren literaturwissenschaftlichen Entwicklungen antiquierten Begriffsapparat darzustellen, können neue Fragestellungen, wie etwa feministische und tiefenpsychologische Auslegung, deshalb als ergänzende Methoden begriffen werden. Kreuzer stellt dar, dass die "klassischen Fragestellungen und Arbeitsweisen" nach wie vor der eigentliche Ausbildungsgegenstand eines Proseminars sein müssen, weil sie die Grundlage bilden, auf die auch die weiteren Zugänge nicht verzichten können. So ergeben sich für den Aufbau des Buches grundsätzlich zwei Teile: Im ersten (13-120) sollen die Studierenden in die "Exegese des Alten Testaments" eingeübt werden, im zweiten (121-188) werden ergänzende Methoden vorgestellt und diskutiert. Die Arbeitsschritte des ersten Teils sollen die Studierenden im Rahmen des Proseminars selbst anwenden, die Schritte des zweiten Teils sollen sie dagegen lediglich kennen und einschätzen lernen. Ein dritter Teil (189-196) behandelt knapp, aber treffend die formalen Anforderungen an eine schriftliche wissenschaftliche Arbeit. Ein ausführliches, thematisch gegliedertes Register (197-208) schließt das Buch ab.

Wie in Methodenbüchern üblich wird die historisch-kritische Methode als eine Abfolge von Methodenschritten dargestellt, die, unbeschadet ihres Ineinandergreifens (etwa 55), nacheinander am Text abzuarbeiten sind und in einem die so gewonnenen Ergebnisse zusammenfassenden Schritt der Gesamtinterpretation gipfeln. Folgendes Inventar an Schritten wird vorgestellt: Aufgabe und Geschichte der Exegese (13-25), Textkritik (26-48), Sprachliche Beschreibung (49-54), Literarkritik (55-65), Formkritik und Formgeschichte (66-78), Überlieferungskritik und Überlieferungsgeschichte (79-86), Traditionskritik und Traditionsgeschichte (87- 94), Redaktionskritik (95-102), Einzelexegese und Gesamtinterpretation (103-111). Ein sehr gut ausgewähltes und übersichtlich gegliedertes Verzeichnis an Grundlagenliteratur (112-120), das sogar Internetadressen enthält, beschließt diesen ersten Teil. Der vorgestellte Bestand an Methodenschritten repräsentiert sicherlich den Mainstream exegetischen Forschens. Grob werden "Zusammenhang und Reihenfolge der exegetischen Schritte" auf S. 16-18 behandelt.

Ohne dass der Name Brevard Childs fällt, der mit seiner "Introduction to the Old Testament as Scripture" 1979 die Diskussion angestoßen hatte, wird deutlich, dass sich das Autorenteam um Kreuzer bei aller diachronen Arbeit der kanonischen Endgestalt des Textes verpflichtet weiß. In der Vorstellung der einzelnen Teilschritte finden sich dann jeweils noch genauere Hinweise darauf, wie die Schritte sich zueinander verhalten. So ergibt sich bei der Diskussion des Verhältnisses von sprachlicher Beschreibung und Literarkritik (53-54) etwa, dass grundsätzlich synchrone Arbeitsschritte vor diachronen bearbeitet werden sollen. Weiterhin zeigt sich, dass kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Der erste Satz des Abschnitts "Sprachliche Beschreibung" (49) verweist z. B. auf die Übersetzung, die "zu ersten Festlegungen bezüglich Inhalt, Struktur und Verständnis des Textes" geführt habe. Ein eigener Arbeitsschritt zum Thema Übersetzung fehlt dem Buch jedoch. Offensichtlich bleibt dessen Darstellung einem Hebräischlehrbuch überlassen (51, Anm. 6). Auch die Abfolge der Arbeitsschritte muss, einem Hinweis im Rahmen der Literarkritik (55) folgend, nicht notwendig in der vorgestellten Weise eingehalten werden, sondern kann je nach zu interpretierendem Text davon abweichen. Überhaupt kennzeichnet das Buch die Sensibilität dafür, dass trotz des Erfordernisses klar strukturierten Fragens und Vorgehens der Intuition und den jeweiligen Besonderheiten Raum gelassen werden muss.

Schon das im selben Verlag erschienene Buch "Proseminar II: Neues Testament - Kirchengeschichte", das die Fortsetzung zum besprochenen Werk bildet und zu dem ebenfalls Siegfried Kreuzer das Vorwort verfasste, zeigt im Falle des Neuen Testaments ein etwas anderes Inventar (dort findet sich der Arbeitsschritt Übersetzung) und eine andere Abfolge von Methodenschritten.1

Die Vorstellung der einzelnen Methodenschritte beginnt jeweils mit einem geschichtlichen Teil, in dem die Entstehung und die Entwicklung des betreffenden Methodenschritts dargestellt wird. Dieser Zugang vermittelt den Studierenden von Anfang an, dass sich die Arbeitsschritte nicht von zeitlosen Voraussetzungen her stringent deduzieren lassen, sondern dass sie ständig im Fluss waren und bleiben müssen, um dem übergeordneten Ziel, nämlich einem adäquaten Textverstehen, zu dienen. Freilich ergeben sich auch Arbeitsschritte, Begriffe und Vorgehensweisen, die sich bewährt haben. Diese werden durch Rahmungen, Einrückungen und Striche am linken Rand besonders hervorgehoben. Gut gegliederte Fragebatterien helfen, die im Rahmen der jeweiligen Schritte relevanten Textbeobachtungen selbständig zu machen (etwa 45-46.51-52.69-70). In aller Regel sorgen gut ausgewählte und wenig kontroverse Beispiele dafür, dass der Stoff anschaulich und eingängig bleibt (z. B. 26.46-48, 83-84.101-102). Immer wieder eingestreute Arbeitsaufträge berücksichtigen die elementare Einsicht, dass man die Dinge erst richtig versteht, wenn man sie selbst anwendet.

Wendet man sich der Darstellung der einzelnen Schritte zu, so ergibt sich ebenfalls der Eindruck, dass der Mainstream exegetischer Arbeit gut getroffen wurde. Die Textkritik ist ohnehin in allen Methodenbüchern der unproblematischste Teil und auch von Kreuzer sehr schön dargestellt. Die sprachliche Beschreibung leitet in kompakter, aber gut gegliederter Weise zu einer genauen Lektüre des Textes an. Man fragt sich jedoch, ob nicht eine Dopplung zu Arbeitsschritten der Formkritik vorliegt (man vergleiche dazu 51-53 mit 69-73). Literar-, Form-, Überlieferungs- und Traditionskritik, vorgestellt von Vieweger, führen klar und anschaulich die Indizien vor, die zur Annahme von geprägten Inhaltssegmenten sowie zur Rekonstruktion literarischer und mündlicher Vorstufen des Textes berechtigen.

Im Bereich der Formkritik hätte man aktuelle Entwicklungen, etwa Narrativik und Textlinguistik, noch stärker integrieren können. Aber man kann dazu auf den bereits erwähnten Band "Proseminar II" verweisen, der entsprechende Abschnitte zum Neuen Testament enthält. Die Redaktionskritik, wiederum von Kreuzer dargestellt, ist vielleicht etwas knapp angesichts der Tatsache, dass einerseits dem kanonischen Endtext, der sich ja mehrfachen Redaktionsprozessen verdankt, zu Anfang der Darstellung (17) so hohe Bedeutung zugemessen wurde, und andererseits im Rahmen der Gesamtinterpretation der redaktionellen Bearbeitung die Funktion zugesprochen wird, "die innere Dynamik" eines Textes zu offenbaren (106). Sehr zu loben ist, dass ausdrücklich festgehalten wird, dass die Exegese des AT in biblische Theologie ausmünden muss. Leider fehlen an dieser Stelle die anschaulichen Beispiele, die sonst das Buch auszeichnen.

Die ergänzenden Beiträge stellen das jeweilige Forschungsgebiet übersichtlich und knapp dar. Grundlegende Fachbegriffe werden erläutert und Hinweise auf wissenschaftliche Standardwerke gegeben. So können sich Studierende schnell orientieren. Viewegers Einführung in die Biblische (oder besser: palästinische) Archäologie (121-143) ist ausgesprochen empfehlenswert. Kreuzers Darstellung der sozialgeschichtlichen Auslegung (144-168) erarbeitet in gelungener Weise die Geschichte soziologischer Theoriebildung, ehe zu exemplarischen alttestamentlichen Fragen übergegangen wird. Seine Darstellung entkleidet diesen Arbeitsschritt weitgehend der gesellschaftskritischen Parteilichkeit, den manche Personen, die gerade dieser Auslegungsweise Priorität einräumen, vielleicht vermissen werden. Dagegen weist Hausmann in ihrer Skizze der feministischen Exegese (169-177) deutlich darauf hin, dass es das erklärte Anliegen dieser Richtung sei, die frauenunterdrückende Seite der Bibel aufzudecken und zu kritisieren, um dadurch gesellschaftliche Veränderungen zu unterstützen. Sehr schön arbeitet sie heraus (173-176), wie das erkenntnisleitende Interesse feministischer Exegese sich in den Methodenschritten des ersten Teils auswirkt, ohne neue Arbeitsschritte zu erfordern. Pratscher stellt anhand von beispielhaften Analysen von Drewermann (zu Nimrod Gen 10,8-12) und Theissen (zu Paulus Röm 7,7-25) die tiefenpsychologische Textauslegung dar (178-188). Dabei insistiert er darauf, dass tiefenpsychologische Interpretation die historisch-kritische Arbeit voraussetzt (184-186), um dann "die unbewußten Implikationen eines Textes zu erheben" (185).

Ohne Zweifel muss man Methodenlehrbücher von Zeit zu Zeit neu schreiben, um sie der gewandelten exegetischen Forschungsdiskussion anzupassen. In unserer heutigen Situation des methodischen Pluralismus, in der viele neue methodologische Impulse mit Exklusivansprüchen auftreten, ist das sicherlich keine leichte Aufgabe. So ist sich, um ein kleines Beispiel anzuführen, auch die Autorengruppe nicht einig, ob es nun eine historisch-kritische Methode gibt (so Kreuzer im Vorwort, 5) oder "verschiedene historisch-kritische Methoden" (so Pratscher, 186). Die Stärke dieses Buches liegt darin, dass es sich in Inventar, Vorgehen und Terminologie eng an die klassisch zu nennende Form der historisch-kritischen Methode anschließt, neuere Einsichten durchaus aufnimmt (z. B. Arbeitsschritt "Sprachliche Beschreibung", Endtext/Kanon-Orientierung, Vorordnung synchroner Arbeitsschritte vor diachronen) und Neuansätze positiv würdigend darstellt, ohne ihnen freilich im Ausbildungsgang eines Proseminars zu großes Gewicht einzuräumen. Dies gewährleistet für die Studierenden eine weitgehend ungebrochene Kontinuität zu den klassischen Werken der Exegese des 20. Jh.s, die ja auch trotz aller Neuansätze den Mainstream exegetischer Arbeit beherrschen.

Als Arbeitsbuch muss sich diese Einführung auch an hochschuldidaktischen Maßstäben messen lassen. Auch in dieser Hinsicht kann man den Autoren in aller Regel ein gutes Geschick bescheinigen. Die Darstellungen sind nicht zu einfach, aber auch nicht zu kompliziert. Die Beispiele sind meistens treffend, wenn auch oft sehr knapp. Nur sehr selten werden freilich Analogien aus der heutigen Lebenswelt herangezogen (z. B. Zeitungs-Kleinanzeigen, 73).

Differenzierte Fragebatterien regen zum eigenständigen Beobachten an, erschlagen aber auch nicht mit zu vielen Distinktionen. Die Arbeitsaufträge sind meist geschickt gewählt, mit realistischem Aufwand zu bewältigen und bewegen sich in den Bahnen möglichst wenig kontroverser Interpretationen. Hier und da lassen Hinweise auf Sekundärliteratur erkennen, wie sich die Autoren die Lösung der Arbeitsaufträge vorstellen. Trotzdem bleibt es der jeweiligen Lehrperson weitgehend selbst überlassen, die Methodenschritte anhand der vorgeschlagenen oder anderer Texte im Einzelnen zu demonstrieren, was die Verwendbarkeit des Buches keineswegs einschränkt.

Insgesamt ist den Autoren ein überzeugendes Einführungswerk in die klassische historisch-kritische Methode gelungen, das hoffentlich vielen Lehrenden ein Arbeitsbuch an die Hand gibt, mit dessen Hilfe sie ihren Studierenden eine solide Grundlage für die eigene exegetische Arbeit vermitteln können.

Fussnoten:

1) Meiser, Martin u. a.: Proseminar II: Neues Testament - Kirchengeschichte. Ein Arbeitsbuch. Stuttgart u. a.: Kohlhammer 2000.