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Ausgabe:

Mai/2001

Spalte:

509–512

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fabry, Heinz-Josef, u. Hans-Winfried Jüngling [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Levitikus als Buch.

Verlag:

Berlin-Bodenheim: Philo 1999. VII, 371 S. gr.8. Pp. DM 114,-. ISBN 3-8257-0113-1.

Rezensent:

Henning Graf Reventlow

Der Band enthält die Referate, die auf der Tagung der "Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen katholischen Alttestamentlerinnen und Alttestamentler" vom 1.-5.9.1997 in Trier gehalten wurden. Die Referenten, darunter ein evangelischer (E. Otto), waren freilich sämtlich masculini generis.

Laut Vorwort (Fabry/Jüngling, unpag.) war es die Absicht, das Buch Levitikus, das "als eigene Größe, als Buch in sich, gelegentlich übersehen und höchstens nur im Zusammenhang mit den anderen Büchern des Pentateuchs interpretiert" werde, in seinem besonderen theologischen Rang herauszuheben. Tatsächlich bietet der Band, auch wenn er vorwiegend einen bestimmten kritischen Ansatz zu Worte kommen lässt, einen guten Einblick in den Lev betreffenden Forschungsstand. Dass dabei der Pentateuch als ganzer, speziell Ex und Dt, doch nicht aus dem Blick geraten ist, liegt in der Natur der Sache.

A) Diesen Aspekt betont H.-W. Jüngling sofort im Eingang seines einleitenden Forschungsberichts "Das Buch Levitikus in der Forschung seit Karl Elligers Kommentar aus dem Jahre 1966" (1-45). Die Büchergrenzen werden für die kritische Forschung bis zu einem gewissen Grade belanglos: "Der in Genesis begonnene Impetus des Erzählens drängt über alle Büchergrenzen hinaus" (1). Einen engeren übergreifenden Horizont bildet die Sinaiperikope Ex 19,1-Num 10,10. J. erwähnt außerdem die mentalen Reserven christlicher Exegese gegen das Buch Lev überhaupt: Die Themen "Opfer" und "Reinheit" gelten vom neutestamentlich-christologischen Blickpunkt aus als in dieser Form überholt, verstärkt durch protestantische Aversionen gegen "Opfer" und "Kult" (2 f.). Der die verschiedenen Hypothesen zum Werden des Pentateuchs referierende Artikel "Pentateuch" von H. Seebaß (TRE 26 [1996], 185-209) biete ein Bild "der gegenwärtigen unübersichtlichen und konfusen Situation der Pentateuchforschung" (4).

J. beschreibt diese in den Abschnitten: I. "Zusammenhang und Eigenständigkeit der fünf Bücher in einem Buch" (7-23). Zahlreiche Zitate aus der zwischentestamentlichen Literatur zeigen, dass in der Tradition meist singularisch von dem "Buch des Mose", schon protokanonisch von dem "Gesetz des Mose", später von "dem Gesetz" (der Tora) gesprochen wird, gleichwohl die Einteilung in fünf Bücher schon (unbestimmt) früh bekannt ist. Dass Lev eine zentrale Stellung einnimmt, behauptet J. Blenkinsopp (The Pentateuch, 1992) und führt E. Zenger (in: Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament, 19962, 34-46) weiter aus (vgl. u.). J. bestätigt: "Das Buch Levitikus gibt sich als Zusammenstellung von JHWH-Reden zu erkennen."

Abschnitt II (23-26) bietet ein kritisches Referat von K. Elligers Kommentar "Leviticus" (HAT I/4; 1966). J. kritisiert an ihm das Minimum an theologischer Deutung und das trotz eingangs betonter Vorbehalte durchgängige Vertrauen auf literarkritische Lösungen. Zwei Thesen Elligers hätten nachgewirkt: 1. die Beschränkung der P-Erzählung auf überwiegend Erzählmaterial und ihre Ausdehnung bis Dt 34; 2. die Aussage, dass H niemals ein selbständiges Korpus gewesen, sondern von vornherein für den Einsatz in P komponiert worden sei.

III. Auf "Konzeptionen zur priesterlichen Geschichtserzählung" geht J. nur kurz ein (27-28). Die Alternative "eigenständiges Erzählwerk" oder "unselbständige, gleichwohl höchst einflußreiche Redaktionsschicht" stehe im Vordergrund [zu E. Otto s. u.]. - In dem Abschnitt IV "Sind die Kapitel Lev 17-26 eine selbständige Größe?" (28-39) geht J. von Wellhausens Urteil aus, dass es sich in H um ein älteres, in P eingearbeitetes Gesetzeskorpus handele, und zeigt über Elliger, A. Cholewin'ski ("Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium", 1976), E. Blum (Studien zur Komposition des Pentateuch, 1990) und F. Crüsemann (Die Tora, 1992) die fortschreitende Neigung, eine selbständige Existenz von H überhaupt zu leugnen. E. Otto und H. Seebaß sähen dagegen Lev 17-26 als Zusatz zu P an. - Zum Verhältnis von Dt zu H: Cholewin'ski und Otto beurteilen H als von Dt abhängig und als dessen Korrektur gedacht. Ausführlich zitiert J. (36 f.) aus der Gegenthese von G. Braulik, der in Dt 19-25 eine Novellierung von H und damit "die am meisten aktualisierte Form alttestamentlichen Rechts" erblickt. - Abschließend betont J., dass im Streit um Lev auch der theologische Aspekt der "Reflexion über die Funktion der Tora in Judentum und Christentum" involviert sei (39). In der Tat!

B) E. Zenger, "Das Buch Levitikus als Teiltext der Tora/des Pentateuch. Eine synchrone Lektüre mit kanonischer Perspektive" (47-83), formuliert sein Programm bereits im Titel. Z. denkt in großen Linien. Was er schematisch bereits in E. Zenger u. a., "Einleitung in das Alte Testament" (Stuttgart 1995; 19962) in dem Abschnitt "Die Tora/Der Pentateuch als Ganzes" (34-46, bes. 36 f.) entworfen hatte, führt er jetzt breiter aus (vgl. 47). Er überblickt synchron die "Endkomposition" - nicht die kanonische Endgestalt, denn etwa Lev 27 ist ein Nachtrag (48). Der Pentateuch, nicht der Hexateuch, ist der maßgebliche Textkomplex (49-53). Der Tod des Mose (Dt 34) ist betonter Schluss. Die Einteilung in fünf Bücher (53-62) ist literarisch und theologisch planvoll. Von Gen 1 bis Ex 40,36-38 reicht ein Erzählungsbogen, der in Lev 1, 1 nicht fortgesetzt wird. Lev ist "beinahe vollständig eine durch insgesamt 36 Redeeinleitungsformeln gegliederte Gottesrede" (56). Lev 1,1 stellt Lev in den in Ex (bes. Ex 19, 3-8) entworfenen Sinai-Horizont, sogar als Höhepunkt der Sinai-Offenbarung. Auch Dt ist "auf der Ebene der Endkomposition" "integrierender Bestandteil des Pentateuch" (60). Der Pentateuch hat eine Doppelstruktur: eine linear-progressive von Gen bis Dt und eine konzentrische, "bei der das Buch Levitikus die Mittelposition einnimmt und als theologische Mitte des Pentateuch gedeutet werden will" (61).

Zur Kompositionsstruktur von Lev (62-76) weist Z. alle - von der Existenz von H ausgehenden - Vorschläge zur Zweiteilung in Lev 1-16 und 17-27 ab. "Die Herausarbeitung der Endkomposition darf nicht diachrone Hypothesen zum Ausgangspunkt nehmen" (64). Aus der Analyse der Einleitungsformel "Und JHWH redete zu Mose" lasse sich eine Kompositionstruktur von 7 Einheiten (1-7.8-10.11-15.16-17.18-20.21-22.23-26 [27]) erkennen (65). Bedenken gegen eine Zusammenordnung von Lev 25 und 26 weist Z. mit dem Hinweis auf terminologische Verklammerungen zurück (70). Theologisch erblickt Z. in der Sühnetheologie von Lev 16-17 als der Mitte des Buches eine Zentralaussage ("Gottesnähe", 72). Die übrigen Teile des Buches seien dann "planvoll spiegelbildlich angeordnet". Für Lev 26 macht Z. gegen die Deutung als formgeschichtlich notwendiger Abschluss von H (mit E. S. Gerstenberger, Leviticus [ATD 6, 1993]) auf den Predigtcharakter des Fluchabschnitts, außerdem auf ein Übergewicht des "Segensabschnitts" V. 3-13 (konträr zu M. Noth, TB 6, 155-171!) und vor allem auf 26, 40-45 aufmerksam.

Im Blick auf den theologischen Ort des Lev "als konstitutives Element des im Endtext des Pentateuch/der Tora vorliegenden Textzusammenhangs" (79) sieht Z. als christliche Deutung Einsichten für "das Verständnis des Sühnetodes Jesu, das unauflösliche Ineinander von Ethos und Kult als Grundkonstituenten kirchlichen Zusammenlebens und nicht zuletzt eine Liturgietheologie unter der Perspektive der geschenkten, gefährdeten und wiederhergestellten Gottesnähe" (80).

Auch ohne die auf sekundäre Rahmenformeln gegründeten hypothetischen Konstruktionen einleuchtend zu finden, kann man diese Intentionen teilen.

C) Wohltätig nüchtern gegenüber diesem und dem folgenden Beitrag (s. u.) wirkt das Referat von Christian Frevel, "Kein Ende in Sicht? Zur Priestergrundschrift im Buch Leviticus" (85-123). Er erkennt - auch wenn er sich schließlich darauf einlässt- die Problematik einer Priestergrundschrift, spricht vom "Hexenkessel" Sinaiperikope und urteilt: "Die sog. Pentateuchkrise hat die Priesterschrift lange erreicht" (86). Trotzdem akzeptiert er Pg als Quelle, wenn auch mit der Einschränkung, "daß der Erklärungswert der Pg-Hypothese ... hinter Ex 14 immer weiter gegen Null geht" (88). Beachtlich ist die Erkenntnis, dass die Unterscheidung zwischen Pg und Ps "oft Mustern folgt, die inzwischen als unzureichend erkannt sind, wie etwa die schroffe Trennung von Geschichte und Gesetz" (ebd.). Sie steht wie die Ausgrenzung des kultgesetzlichen Materials als Ps unter Ideologieverdacht! Vgl. die Wolke der Zeugen seit Nöldeke (89). Heutiger annähernder Konsens rechnet nur in Lev 9 noch mit Stoffen aus Pg.

Ein Durchgang durch mehrere Vorschläge zum Ende von Pg (Lev 16; 10, 1-5; 8; 9; Ex 40, 33b [T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, 1995]; Ex 29, 46 [E. Otto, ThR 1997]; Lev 9, 24 [E. Zenger, Einleitung, 95; TRE, Art. "Priesterschrift", 438 f.]) bringt erhebliche Zweifel: Kann z. B. Lev 9 in Entsprechung zu Ex 16 komponiert worden sein, wo doch "Wüste Sin" und Sinai unterschiedliche Orte sein dürften? (114). Endergebnis: "Es gibt keine Anteile der Pg im Buch Levitikus" (117). Leider werden dabei auch die Einsichten vom Anfang wieder aufgehoben, wenn daraus folgen soll: "Es gibt keine Opferhandlungen auf der Erzählebene der Pg. Damit wird die Pg noch deutlicher als zuvor Geschichtserzählung." (ebd.) Innovativer ist ein anderer Gedanke: "Mir erscheint der Sinai als Endpunkt des Exodus weder in einem exilischen ... noch in einem frühnachexilischen ... Entwurf plausibel" (118). Sinai ist ein Höhepunkt göttlicher Nähe, aber die Landgabe das eigentliche Ziel der Priesterschrift. Das ist bei Otto, Pola und Zenger zu wenig berücksichtigt. - F. bleibt geneigt, den Abschluss von Pg doch in Dt 34 zu suchen (120). (Vgl. neuerdings ders., "Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern. Zum Ende der Priestergrundschrift." Freiburg i. Br. 2000.)

D) Ein zentraler Beitrag ist nochmals der von E. Otto, "Innerbiblische Exegese im Heiligkeitsgesetz Levitikus 17-26" (125-196). Otto hat in zahlreichen Publikationen zum Thema (vgl. die vielen Selbstverweise und 64 [!] Titel im Literaturverzeichnis) ein redaktionskritisches System für die Genese des Pentateuchs entwickelt, das in sich eine eindrucksvolle Geschlossenheit aufweist. Ausgangspunkt ist auch hier die These von einer (frühnachexilischen) Quelle PG, die nach Otto ihren Zielpunkt in Ex 29, 42-46 hat (130). Ausführungsberichte finden sich in Ex 35-40; Lev 8 f. (PS) nach Errichtung des zweiten Tempels und Kultgesetze aus diesem Tempel in Lev 1-7 (nicht: "17"); 10-16 kamen hinzu (PS). So wird "durch die Erweiterungen die Gottesgegenwart der priesterlichen Grundschriftkonzeption vom Sinai nach Jerusalem geholt und trifft hier auf einen anderen Entwurf zur Gestaltung Israels nach dem Exil, das deuteronomistisch in diesem Sinne bearbeitete Deuteronomium" (131). H (Lev 17-26) gehört in eine von der Urgeschichte bis zum Deuteronomiumsrahmen reichende Pentateuchredaktion (134). Für seine Rolle als "Vermittlung von Deuteronomium und Priesterschrift" (134) beruft sich Otto vor allem auf Cholewin'ski (s.o.) und auf I. Knohl ("The Sanctuary of Silence", 1995), der, über Lev 17-26 hinaus, allerdings im Rahmen einer Frühdatierung, mit einer P insgesamt überarbeitenden Redaktionsschicht (der "Heiligkeitsschule") rechnet, "die die in der Priesterschrift ausgegrenzten Aspekte der Volksfrömmigkeit und Alltagsethik wieder integriert" (136). Bei nachexilischer Datierung von H (Ottos Position) als selbständige Redaktionsstufe (entgegen der teilweise vertretenen Integration in P) ergibt sich die Aufgabe einer rezeptionskritischen Bestimmung seines Verhältnisses zu Bb, Dt und P. Diese wird für Lev 17; 19; 23 und 25 im Einzelnen durchgeführt (141-172), wobei jeweils die Rezeptionsrichtung auf H zuläuft, vor allem in der Richtung Dt H (etwa: "Dtn 15 ist der Quellgrund für das Jobeljahrprogramm in Lev 25,8-55", 168). Das ist oft bei genauem Vergleich des Wortlauts und der Terminologie wenig überzeugend, eine genaue Nachprüfung leider im Rahmen einer Rezension nicht möglich. Das "paränetische Fachwerk" [Rahmenwerk] (172-176) in Lev 18, 1-5.24-30; 19,1-4; 20,7 f.22-27; 22,8.31-33; 25,18 f.38.42a. 55; 26,1 f. geht auf den Hauptredaktor von Lev 17-26 zurück. Auch in Lev 26 ist er tätig, wobei P-Motive in einen vor allem durch Dt 28 bestimmten Kontext eingefügt werden und Ez 34,25-31 aufgegriffen, aber das Hirtenmotiv in Richtung Gesetzesgehorsam korrigiert wird (180-182).

Das Ganze ist ein geschlossenes System. Ist es überzeugend? Die Prämissen wären zu hinterfragen: Hinter der Scheidung zwischen PG und PS steht die liberalprotestantische Ideologie (s.o.). Ist sie noch haltbar? Außerdem: Ist die Grundvoraussetzung der Redaktionskritik - in der die alte Literarkritik überraschend wieder aufgelebt ist -, dass wir es mit der Arbeit von Literaten zu tun haben, die schriftliche Quellen lesen, ergänzen und kommentieren, überhaupt plausibel? Müsste für Toramaterial nicht vielfach mit mündlicher Tradition gerechnet werden? Für Stoffe wie z. B. Lev 1-7 als "priesterliches Berufswissen", aber auch in anderen Fällen wäre das einleuchtend.

E) Der Band enthält noch ergänzende Beiträge: G. Wilhelm referiert über "Reinheit und Heiligkeit. Zur Vorstellungswelt altanatolischer Ritualistik" (197-217). T. Seidl bringt zu Lev 16 eine die Einheitlichkeit des Kapitels bestätigende Analyse (219-248). A. Schenker prüft das Verhältnis zwischen ¹sm und ht¹t in Lev 5, 1-6 (249-261). H. U. Steymans untersucht Lev 26 textsemantisch (263-301). H. J. Fabry referiert über "Das Buch Levitikus in den Qumrantexten" (309-336). Die Lev-Rezeption spiegelt "die priesterlich und laikale Gemeindekonzeption Qumrans wider" (336). G. Bodendorfer, "Der Horizont einer Exegese des Buches Levitikus in den rabbinischen Midraschim" (343-371) zeigt auf, wie das nachbiblische Judentum nach dem Verlust des Tempels das Studium der Opfer-Halacha aktualisieren konnte.

Im Ganzen ist dies ein zur Einführung in die heutige Lev-Forschung hervorragend geeigneter Band. Jeder Beitrag enthält eine reichhaltige Bibliographie.