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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

448 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lück, Wolfgang, u. Friedrich Schweitzer

Titel/Untertitel:

Religiöse Bildung Erwachsener. Grundlagen und Impulse für die Praxis.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 248 S. gr.8. Kart. DM 39,50. ISBN 3-17-014982-2.

Rezensent:

Martina Blasberg-Kuhnke

Mit ihrem Entwurf zur religiösen Bildung Erwachsener beabsichtigen die beiden evangelischen Autoren eine Lücke zu schließen: Angesichts des stets wachsenden Bedarfs an religiöser Bildung fehlt bislang eine "Darstellung zur religiösen Erwachsenenbildung aus evangelischer Sicht" (9). Lück und Schweitzer treten nach eigenem Bekunden an die Seite der von katholischer Seite vorgelegten Entwürfe von F. J. Hungs, M. Blasberg-Kuhnke und R. Englert, die in den 90er Jahren erschienen sind. Mit dem Band kommt hoffnungsvoll zum Ausdruck, dass Erwachsene, ihre Lebens- und Glaubensgeschichten im Horizont der entfalteten Moderne und die für sie in diesem Kontext entstandenen Bildungsbedürfnisse, endlich die religionspädagogische Aufmerksamkeit erfahren, die ihnen gebührt.

Lück und Schweitzer gliedern ihren Band übersichtlich in vier Teile. Ein erster Hauptteil ist den Grundlagen religiöser Bildung Erwachsener gewidmet, bevor sich der zweite Teil den Planungs-, Lehr- und Lernprozessen zuwendet. Ein dritter Hauptteil liefert Impulse für die Praxis, wobei Modelle zu einzelnen Lernfeldern religiöser Bildung Erwachsener im Vordergrund stehen, bevor ein kurzer vierter Teil Hilfen für die Praxis anbietet, indem Anschriften und Auswahlliteratur zusammengestellt werden. Der Band, der theoretisch gehaltvoll zwischen Praxis und Theorie vermittelt, wendet sich an alle, die im Bereich der Erwachsenenbildung tätig sind, geht mithin weit über die Zielgruppe hinaus, die kirchliche Erwachsenenbildung verantwortet. Vielmehr wird der Dialog mit der Agogik insgesamt gesucht, bezeichnet religiöse Bildung doch einen Bereich und eine Dimension allgemeiner Bildung, die beispielsweise auch im Kontext von Volkshochschulen angeboten wird. Die Zusammenarbeit der beiden Autoren spiegelt die Verzahnung von Theorie und Praxis; entsprechend verantworten beide Autoren den gemeinsamen Entwurf zur religiösen Erwachsenenbildung.

Gleichwohl lässt sich die Handschrift des einen und anderen Autors nicht verkennen: Deutlich trägt der erste Hauptteil, die Klärung von Begründungen, Aufgaben und Zielen religiöser Erwachsenenbildung und die Diskussion des Forschungsstands zum Thema Religion im Erwachsenenalter die Handschrift Schweitzers. Dem gegenüber profitieren die beiden folgenden Hauptteile zu den Angeboten religiöser Erwachsenenbildung, zur Didaktik und Methodik (2. Teil) sowie zu den Modellen und Beispielen aus der religiösen Erwachsenenbildung (3. Teil) von den Erfahrungen Lücks als Leiter der Arbeitsstelle für Erwachsenenbildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Wenngleich im Ganzen die Vermittlung von Theorie und Praxis gelungen ist, lassen sich die Kontexte von universitärer Religionspädagogik und Praxis religiöser Erwachsenenbildung nicht ganz verleugnen. Darin, d. h. in der Spannung zwischen den Fragen nach dem Warum und Wozu religiöser Bildung Erwachsener, nach der Bedeutung von Religion und religiöser Entwicklung im Erwachsenenalter und nach Religion als Thema und Dimension von Erwachsenenbildung und den Erfahrungen mit religiöser Erwachsenenbildung in konkreten Lehr-Lernprozessen, liegt aber auch ein besonderer Reiz dieses Buches.

L. und Sch. wählen konsequent einen induktiven Ansatz, "bei den - mehr oder weniger ausdrücklich - religiösen Fragen, die im Leben selbst aufbrechen" (15) und entwickeln von dort her ihren Bildungsbegriff, der "auf den mündigen Menschen, der sich seiner Selbständigkeit und Freiheit bewusst ist und sie verantwortlich wahrnimmt" (ebd.), zielt. Entsprechend werden die religiösen Traditionen und die in ihnen tradierten Antwortmöglichkeiten ins Spiel gebracht, weil und insofern sie geeignet sind, mit den "großen Fragen des Lebens" (ebd.) umgehen zu können. Damit benennen die Autoren ein Dreieck, das es in der religiösen Bildung Erwachsener ernst zu nehmen gilt: die Lebensgeschichte des Individuums, die religiöse Situation der Gesellschaft und den kirchlichen Zusammenhang (vgl. 68 u. ö.).

L. und Sch. ist es durchgängig um ein Bildungsverständnis zu tun, das die Vielfalt und Vielgestaltigkeit von Erwachsenenleben ernst zu nehmen gewillt ist. Entsprechend bestimmen sie religiöse Bildung Erwachsener als "ein Angebot ..., das von im weitesten Sinne religiösen Fragen Erwachsener ausgeht, das bildungstheoretisch begründet ist und das auf religiöse Mündigkeit zielt. Religiöse Mündigkeit ist dabei nicht individualistisch zu verstehen und darf nicht auf eine persönlich-private Religiosität des Einzelnen beschränkt werden" (17). Gerade das zweite Kapitel arbeitet deutlich verschiedene Glaubensweisen im Erwachsenenalter und unterschiedliche strukturelle und kognitive Stufen des Umgangs mit religiösen Fragen im Erwachsenenalter heraus, so dass L. und Sch. betonen, "der Erwachsene" erweise sich einmal mehr als "Kunstfigur" (57).

L. und Sch. legen ein Buch vor, das den agogischen Diskurs über eine religiöse Bildung Erwachsener im Kontext einer multikulturellen, multireligiösen Gesellschaft in der entfalteten Moderne entscheidend bereichert und vorantreibt. Die Praxis religiöser Erwachsenenbildung wird angeregt und begleitet durch eine gehaltvolle Theorie. Es ist diesem Buch zu wünschen, dass es nicht nur Verbreitung bei jenen findet, die sich im kirchlichen Kontext religiöser Erwachsenenbildung widmen, sondern darüber hinaus dem Anspruch zum Durchbruch verhilft, dass religiöse Bildung unverzichtbar zur Bildung jedes erwachsenen Subjekts gehört.