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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

444 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Greve, Astrid

Titel/Untertitel:

Erinnern lernen. Didaktische Entdeckungen in der jüdischen Kultur des Erinnerns.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. 251 S. gr.8 = Wege des Lernens, 11. DM 48,-. ISBN 3-7887-1758-0.

Rezensent:

Bernd Schröder

In ihrer Doktorarbeit, vorgelegt im Jahr 1997, sucht Astrid Greve für die Weiterentwicklung der von Ingo Baldermann geprägten biblischen Didaktik vom Judentum zu lernen. Baldermann ist es auch, der ihre Arbeit an der Universität-GH Siegen betreut und ein Nachwort beigesteuert hat (249-251). Das Thema des Erinnerns bildet die Schnittmenge der "Lernerfahrungen in biblischer Didaktik" der Autorin und ihrer "Erfahrungen des jüdischen ... Umgangs mit der Biblischen Tradition" (während eines "Studiums in Israel"; 11). Näherhin stellt "die Frage nach der Didaktik, die dem jüdischen Erinnern immanent ist, sowie die Frage, was und wie davon für einen christlichen Religionsunterricht und speziell auch für die biblische Didaktik zu lernen ist, ... [den] Kern dieser Arbeit" dar (11).

Abgesehen von der "Einleitung" (9-14), die den Sitz im Leben dieser Studie und deren Vorgehensweise erläutert, gliedert sich das Buch in fünf Kapitel. Das erste Kapitel ("Zachor! Erinnere dich!";15-60) stellt die zentrale Bedeutung des Erinnerns in der Hebräischen Bibel vor Augen. Auf den Spuren etwa Willy Schottroffs und Jürgen Ebachs wird Erinnern als vielschichtiger Vorgang erkennbar, dessen Wichtigkeit mit dem eigentümlichen hebräischen Zeitverständnis zusammenhängt: Die Vergangenheit liegt ,vor Augen', die Zukunft im Rücken (42 f.); der Begriff der "Zukunftserinnerung" pointiert dieses uns paradox anmutende Denken, das im Neuen Testament fortwirkt (48 ff.).

Das zweite Kapitel beleuchtet die didaktischen Implikationen des Erinnerns in der Hebräischen Bibel ("Und wenn dich heute oder morgen dein Kind fragen wird"; 61-83). Angelehnt an die "Verfahren kollektiver Mnemotechnik", die Jan Assmann im Deuteronomium ausgemacht hat (35; vgl. 62), skizziert G. die Funktion etwa des wiederholenden Einprägens, der ,Denkzeichen', Feste und Lieder für das Erinnern-Lernen. - Das dritte Kapitel nimmt die "Didaktik des Erinnerns im Judentum" in den Blick (85-135). Dabei werden neben zentralen Kategorien rabbinischen Denkens (Schriftliche/Mündliche Tora; Aggada und Halacha; 85 ff.) auch der Sabbat (104 ff.) und etwa das Pessachfest (117 ff.) auf das Thema Erinnerung hin ausgelegt.

Im vierten Kapitel ("Erinnerung in der religionspädagogischen Diskussion: eine verlorene Perspektive"; 137-173) werden ausgewählte religionspädagogische Konzeptionen daraufhin befragt, "inwieweit sie die Dimension der Erinnerung berücksichtigen bzw. was das Fehlen einer solchen Perspektive an Verlusten mit sich bringt" (139). Historisch-kritisch orientierte Bibeldidaktik, Symboldidaktik, das Konzept eines religionskundlich-ethischen Unterrichts oder eines multikulturell geöffneten RU- in all diesen Ansätzen sucht man "vergeblich nach Erinnerung als grundlegende[r] oder gar die Didaktik prägende[r] Dimension des Unterrichts" (137).

Den Preis, der dafür bezahlt wird, sieht G. u. a. darin, dass Schüler und Schülerinnen der eigene Zugang zu biblischen Texten (142; vgl. 155) und die Identifikation mit der eigenen Tradition erschwert wird (173). - Das fünfte Kapitel gibt unter der Überschrift "Zachor: Erinnern lernen - Impulse" Anregungen für eine "Didaktik der Erinnerung" im Religionsunterricht (175-235). Diese sind "nicht schulstufenspezifisch" angelegt (175) und akzentuieren die Bedeutung des Erzählens, der Handlungsorientierung und der Sinnenhaftigkeit (176). Die Vorschläge zielen etwa auf eine auf Taufe und Abendmahl konzentrierte "anamnetische Symboldidaktik" (200) oder eine "Sabbatstunde", in der "bestimmte Rituale und immer gleiche Texte wiederholt" werden (233).

So führen alle Abschnitte der Studie in gut lesbarer Weise anregende Überlegungen zum biblisch-jüdischen Erinnern und zu dessen didaktischem Potential für den Religionsunterricht zusammen. Die Stärke der Arbeit liegt eben darin, eine solche praxis-interessierte thematische Schneise zu schlagen.

Bedauerlich ist allerdings etwa, dass als Gesprächspartner durchweg das traditionelle Judentum herangezogen wird (ohne dessen Praxis erkennbar mit der des modernen, keineswegs durchgängig religiösen Judentums in Israel oder anderswo zu korrelieren) und dass die Didaktik des Erinnerns nicht zu ihr möglicherweise nahe stehenden didaktischen Konzepten wie etwa demjenigen des hermeneutischen Religionsunterrichts ins Verhältnis gesetzt wird. Dessen ungeachtet lässt die Arbeit deutlich erkennen, dass "die Entdeckung der Bibel als ein Buch der Erinnerungen" (5) fruchtbare Wege des Lernens eröffnen kann.