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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

440–442

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Guth, Rupert

Titel/Untertitel:

Der Ausdruck von Wahrheit und Freiheit. Ethischer Entwurf zur schöpferischen Selbstgestaltung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. X, 194 S. gr.8 = Bibliothek Töpelmann, 98. Lw. DM 128,-. ISBN 3-11-016497-3.

Rezensent:

Christofer Frey

Die an der katholisch-theologischen Fakultät in Bamberg angenommene Habilitationsschrift hat ein auf den ersten Blick plausibles Anliegen: An die Stelle eines formalen Vernunftsubjekts der Ethik in der Tradition Kants soll ein "ethico-ästhetisches Subjekt" treten, das Vernunft ebenso wie Emotion zum Ausdruck bringt. Der Vf. wirft Vertretern der ,autonomen Moral' vor, sich zu sehr bei Kant aufzuhalten. Stattdessen will er sich der modernen bzw. postmodernen Situation zuwenden (ohne deren Bestimmung und Abgrenzung auch nur im Ansatz zu klären). Diese These bedürfte einer intensiven Begründung, die jedoch in sehr vielen Redundanzen stecken bleibt. Wer sich durch diese nicht vom Lesen abhalten lässt, wird spannungsvolle und damit auch widersprüchliche Gesichtspunkte in einer Monographie vereint finden, die oft harmonisiert oder an späterer Stelle durch eine gegensätzliche Aussage konterkariert werden. Dem ethico-ästhetischen Subjekt soll es um sein Glück gehen (vgl. u. a. 1.38.56 ff.) Das Glück ist nicht im Sinne des 'pleasure' des frühen Utilitarismus zu verstehen, sondern zielt auf Lebenserfüllung (vgl. 38), auf gelungenes Subjektsein (vgl. 46), auf Erfolg als Übereinstimmung mit sich selbst (vgl. 57). Spätere Teile des Buches lassen erkennen, dass sich die Eudämonie in der Auseinandersetzung mit der Dysdämonie bewähren muss (vgl. u. a. 63). Jedoch begnügt sich der Vf. mit diesen sehr allgemeinen Aussagen. Die ,innere Großbaustelle' der sittlichen Praxis (vgl. 84) bleibt weitgehend leer; nicht einmal Werkzeuge liegen herum, obwohl die Phantasie (vgl. 151 f.) ein wichtiges Ingrediens des glückenden Lebens ist und zu schöpferischen Experimenten freimachen will (vgl. 151).

Ebenso blass bleibt die Situationsanalyse, ob sie nun auf Moderne bzw. Postmoderne (so offen, vgl. z. B. 48) oder auf die katholische Moraltheologie in dieser Epoche bezogen wird. Die ,Zeitdiagnose' sei eine fundamentale Herausforderung (vgl. 11), aber welches Ergebnis zeitigt sie? An die Stelle der einen Vernunft seien unterschiedliche Wahrheitsansprüche getreten (mit Honnefelder, vgl. 9 oder 109). Ob das ein Ergebnis der Verfallsgeschichte der modernen Subjektivität ist, bleibt unklar, denn einerseits soll der Pluralismus zu Gunsten des schöpferischen und kreativen Subjekts respektiert werden (vgl. u. a. 55) und andererseits geht es dem Vf. um die aristotelisch-teleologische Tradition des Mittelalters - zumindest im Blick auf eine Strebensethik (vgl. den Perspektivenwechsel: 33).

Der Vf. will den Stellenwert des Subjekts neu bestimmen (vgl. 16), weil es am Ende der Moderne verloren zu gehen drohe (vgl. 71). Subjekt einer Strebensethik sei der einzelne (vgl. u.a. 27) als praktisches Subjekt (vgl. u. a. 18, Anm. 46). Garanten dieses Ansatzes sind so unterschiedliche Autoren wie H. Krämer (u. a. 17), aber auch Tugendhat, H. Ebeling (vgl. 12 f.). Das scheint eine integrative Leistung zu sein, aber sie geht auf Kosten der Profile einzelner Autoren. Dem Subjekt wird zugemutet, dass es das ,Andere der Vernunft' (vgl. u. a. 87) entfaltet, schöpferische Freiheit zur Geltung bringt (vgl. u. a. 93), sein Leben wie ein Künstler gestaltet (vgl. 102), seine Existenz ästhetisch prägt (vgl. 121 ff.) und zu einem unverwechselbaren Kunstwerk wird (vgl. 121, 169 ff. passim). Trotz der damit gelebten Pluralität muss es einen Konsens über gutes Leben geben (vgl. 55), das Verbindung und Differenz in einem kennt. Könnte der Konsens nicht zu dem Minimum schrumpfen, dass zwar alle einen Konsens finden müssen und sie dennoch keinen inhaltlichen Konsens im Blick auf das gute Leben gewinnen können? Der Einzelne als Subjekt (vgl. 22, 27) und die Universalität der Vernunft bilden wohl einen Widerspruch (vgl. 109). Viele Positionen der Moderne zu umarmen führt zu ständiger Anlehnung, die dann allerdings nur geringe Bedeutung erlangt oder sehr schnell vergessen wird (vgl. die Vielzahl von Beiträgen der praktischen Philosophie, mit denen sich der Autor treffen will - 35). Das gilt auch von jenen Passagen, in denen der Autor der Existenzphilosophie nahe kommt und einerseits Zeit und Zeitlichkeit sowie andererseits den Bruch mit der Ewigkeit hervorhebt (vgl. 157 ff.), um dann ,ewige Momente' als ,Essenz der inneren Welt' hervorzuheben (vgl. 160). Hier scheint ein theologischer Allmachtsgestus zu walten: Wir verstehen alles und geben ihm seinen Ort. Im Übrigen kommt aber die Theologie zu kurz, und das trotz der Kritik an der ,autonomen Moral'. Vermutlich ist die am Subjekt zu entdeckende ,unbedingt angehende Sinnhaftigkeit' (vgl. 46) der Einsatzpunkt; sie soll auf das von Rahner festgehaltene absolute Geheimnis verweisen (vgl. 47). Das ethico-ästhetische Subjekt wird sich als Glaubenssubjekt realisieren (vgl. 133, 151). Gott ist nicht mehr ,letzter Geltungsgrund' der Ethik, aber Vertiefung des christlichen Glaubens (vgl. 144); denn der Geltungsgrund liege im Subjekt (vgl. 143). Spiritualität und mystische Erfahrung (vgl. 154) schwanken also zwischen einem eher anonymen Gott und dem Gott geschichtlicher Selbstoffenbarung, der Erlösung bringt und neuzeitliches Freiheitsbewusstsein weckt (vgl. 149).

Die vom Vf. gesuchte Ethik findet verschiedene Kennzeichnungen: integrative Ethik (mit Krämer), (vgl. 13 ff.), Konvergenzethik (vgl. 22), teleologischer Ethiktyp (vgl. 36). Sie soll in gesteigerter, umfassender Selbsterfahrung das Allgemeingültige zum Ausdruck bringen (vgl. 61). Besondere Probleme der Moderne - die Abwesenheit der Teleologie in der empirischen Sicht der Welt, das Verblassen der Wahrheitsfrage im Praktischen - werden bei so viel Konvergenz schlicht zugeschüttet. Welcher Philosoph würde heute noch vom ,absoluten Verpflichtungscharakter der sittlichen Wahrheit' (vgl. 86) reden wollen? Um seinetwillen hatte Kant das Streben nach Glück von der sittlich-ethischen Universalisierung unterschieden.

Als Ergebnis von Lektüre und Rekonstruktion einer weitschweifigen und redundanten Monographie ist festzuhalten: Der Vf. benennt Fragestellungen, die seit langem im allgemeinen Bewusstsein sind, aber er bekundet leider mehr guten Willen als Argumentationsvermögen. So gewinnt seine Arbeit oft den adhortativen Charakter einer intellektuellen Predigt.

Manche Sätze sind überhaupt nicht verständlich, etwa der folgende: "Die erwähnte Unterscheidung zwischen Verfügungswissen, größtenteils ermittelt und repräsentiert durch Wissenschaft, Forschung und Technik einerseits und regulativem Orientierungswissen andererseits, welche jeweils unterschiedliche Zugänge zur Wirklichkeitsdeutung darstellen, macht für die theologische Ethik mit der positiven Gewichtung des zur Verfügung gestellten Orientierungswissens ein wesentliches Desiderat sichtbar" (31).