Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2001

Spalte:

438–440

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fetzer, Joachim, Grabenstein, Andreas, u. Eckart Müller

Titel/Untertitel:

Kirche in der Marktgesellschaft. Hrsg. im Auftrag des Marburger Arbeitskreises Theologische Wirtschafts- und Technikethik.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 237 S. 8 = Leiten-Lenken-Gestalten, 6. Kart. DM 34,-. ISBN 3-579-02620-8.

Rezensent:

Traugott Jähnichen

Die These, dass sich die Kirchen gegenwärtig von einer "staatsanalogen zur intermediären Institution der Zivilgesellschaft" (W. Huber) verändern sollen und müssen, findet eine breite Zustimmung. Daraus ergibt sich auch die Konsequenz einer Verortung der Kirchen auf dem öffentlichen Markt, wobei sich diesbezüglich mancher Widerspruch regt, da die Marktmetapher angesichts einer zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche nicht ohne Tücken ist. Die Herausgeber dieses Bandes wollen demgegenüber die Marktwirtschaft vor allem "unter dem Aspekt ihrer Steuerungspotentiale" (12) sehen: Märkte gewährleisten "effizienten Einsatz und Verteilung von Ressourcen" und basieren auf dem Prinzip individueller Wahlfreiheit mit "freiwillig geschlossenen Verträgen" (203). "Marktgesellschaft" umschreibt in dieser Sicht grundlegende Tendenzen heutiger Gesellschaftsentwicklung, da nicht mehr staatlicher Zuteilung oder Regelung, sondern "marktwirtschaftliche[n] bzw. marktähnliche[n] Austauschprozesse[n]" (205) die dominante Regelungs- und Koordinationsfunktion gesellschaftlicher Prozesse zukommt. Angesichts dieser Situation spitzen sich für die Kirche die Herausforderungen einer Organisations-, Leitungs- und Finanzierungsreform zu, wie sie in der Metapher "Unternehmen Kirche" veranschaulicht werden.

In einem theoriegeschichtlichen Rückblick beschreibt Hartmut Ruddies den Beitrag Ernst Troeltschs zum Gespräch zwischen Theologie und Ökonomik, wobei dessen Hinweise auf die Schwierigkeiten, die "verselbständigten Momente ,Religion und Wirtschaft' ... ineinander einzuordnen" (34), besonders herausgestellt werden. Ulrich Rosenhagen kritisiert in seinem Beitrag die theologische Institutionendebatte nach 1945, da diese sich einseitig auf den Stiftungscharakter von Institutionen konzentriert und vertragstheoretische Ansätze weitgehend vernachlässigt habe. Diese Kritik trifft sicherlich im Grundsatz zu, sollte aber weniger pauschal vertreten werden, da einzelne Theologen wie Ernst Wolf durchaus eine anspruchsvolle theologische Institutionentheorie entwickelt haben.

Der Hauptteil des Bandes diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen der Metapher "Kirche als Unternehmen". Dabei bemängelt Klaus Tanner, dass der Unternehmensbegriff im Blick auf die Zukunft der Kirche zu unspezifisch, d. h. kaum analytisch, sondern metaphorisch verwendet wird. Die "Komplexität der sozialen Wirklichkeit Kirche" bedarf jedoch eines breiten analytischen Instrumentariums, so dass gerade ökonomische Theorien "das Spektrum der Möglichkeiten zur Erfassung der Kirchen zu erweitern" (55) vermögen. Wird dieser Aspekt ausgeblendet, so Joachim Fetzer, verschiebt man eine Vielzahl drängender Probleme ungelöst in die Zukunft. Kritisch gegenüber dieser Argumentation hebt Elisabeth Gräb-Schmidt die ekklesiologisch begründeten Grenzen der Rede vom "Unternehmen Kirche" hervor, indem sie mit dem Verweis auf die notae externae der Kirche die Unangemessenheit der betriebswirtschaftlichen Metaphern "Unternehmen", "Kunde" und "Produkt" sowie die Problematik der ökonomischen Nutzenorientierung herausstellt. Unter der Überschrift "Kameraden, Klienten oder Kunden?" greift Jan Hermelink einen dieser Aspekte explizit heraus und thematisiert am Beispiel unterschiedlicher praktisch-theologischer Programme die Frage der Adressaten kirchlichen Handelns. Hermelink plädiert für den Begriff des "Kunden" und will Kirche als eine Dienstleisterin verstehen, die ihr Angebot spezifisch theologisch zu profilieren hat. Ein empirischer Bericht von Achim Riggert beschließt diesen Teil, der die Einschätzungen der Kirche und entsprechende Veränderungsimpulse von Unternehmern bzw. Unternehmensverbänden referiert, wie sie im Kontext des Konsultationsprozesses für das Sozialwort der beiden großen Kirchen genannt worden sind.

Ein weiterer Abschnitt des Bandes zeigt Praxisfelder des "Unternehmens Kirche" auf. Hier werden Management-Theorien im Blick auf ihre mögliche Anwendbarkeit für kirchliches Handeln kritisch geprüft, wobei vorrangig Schweizer Modelle - die sog. St. Gallener Schule und die Freiburger Managementlehre für Non-Profit-Organisationen - vorgestellt werden. So spricht sich Alfred Jäger angesichts der Versäumnisse theologischer Kybernetik für eine Rezeption des Ansatzes von Hans Ulrich aus, während Andreas Grabenstein die Stärken und Grenzen der Managementtheorie von Peter Ulrich diskutiert. Thomas Röhr konkretisiert diese Impulse, indem er zeigt, wie Management-Modelle von Non-Profit-Organisationen für ein "Kirchen-Marketing" fruchtbar gemacht werden können. Eckart Müller hat als weiteres Praxisfeld das Thema der kirchlichen Finanzstrukturen aufgegriffen und angesichts des drängenden Reformbedarfs Zukunftsperspektiven entwickelt, wonach "die Verwendung möglichst vieler Gelder direkt im Verantwortungsbereich der Gemeinde liegen" (163) sollte.

Susanne Edel fragt in ihrem ausblickenden Beitrag nach der Möglichkeit der Ökonomie der Kirchen als Vorbild für andere Bereiche der Gesellschaft und mahnt dabei an, die Erkenntnisse theologischer Wirtschaftsethik fruchtbar zu machen. Die Hgg. des Bandes haben schließlich in einer Thesenreihe versucht, den Ertrag der einzelnen Beiträge zu bündeln. Sie plädieren im Sinn eines "ekklesiologisch-ökonomische[n] Brückenschlag[s]" für die Profilierung der Kirche als eines "Unternehmen[s] der besonderen Art" (213), die organisatorisch die Wandlung von einer Behörde zu einer Dienstleisterin vollzieht, gleichzeitig jedoch "um ihrer Botschaft willen ... dem Nutzenkalkül entzogene Lebensspielräume" (216) offenhält bzw. eröffnet.

Die häufig emotional geführte Debatte um das Stichwort "Unternehmen Kirche" kann durch diesen Band versachlicht werden. Wenn auch in einigen Beiträgen die Verschränkung ekklesiologischer und ökonomischer Sichtweisen eher gefordert bzw. beschworen denn expliziert wird, liegen hier wichtige Argumente zur Bereicherung der Diskussion um die Zukunft der Kirche vor. Gerade auch die unterschiedlichen Wertungen zur (Un-)Angemessenheit ökonomischer Kategorien im Blick auf die Kirche provozieren eine Fortführung dieser Debatte.