Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2001

Spalte:

435–437

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Zeilinger, Thomas

Titel/Untertitel:

Zwischen-Räume - Theologie der Mächte und Gewalten.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 403 S. gr.8 = Forum Systematik, 2. Lw. DM 68,95. ISBN 3-17-015987-9.

Rezensent:

Georg Plasger

In seiner 1997/1998 von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau angenommenen Dissertation widmet sich der Vf. einer "nicht alltäglichen Thematik" (9). Das Thema aber weckt Neugierde. Die zu biblischen und auch mittelalterlichen Zeiten unbefangene Rede von Engeln, Dämonen und vom Teufel ist seit der Aufklärung zumindest in Europa und Nordamerika kein dringendes theologisches Thema mehr, so scheint es. Ist damit ein Wirklichkeitsverlust gegenüber biblischen Zeiten eingetreten?

Der Vf. geht zwei US-amerikanischen Stimmen nach, der von William Stringfellow und der von Walter Wink, indem er sie knapp darstellt und anschließend mit den beiden Entwürfen im Rücken vier Sachfragen folgt: Wie sind die Mächte konstituiert? Wie bestimmen sie die Menschen und eignet ihnen personaler Charakter? Wie sind die Mächte im Verhältnis zur Macht Christi zu bestimmen? Wie ist die Macht der Mächte wahrzunehmen?

William Stringfellow (1928-1985), von Hause aus Jurist, dann aber in der theologischen Szene Nordamerikas der sechziger Jahre zu Hause, lernt in seiner praktischen Arbeit in schwarzen Ghetto-Gemeinden vorhandene irdische Gewalten als dämonische Mächte zu identifizieren. Davon ausgehend entwickelte Stringfellow eine "prophetisch-apokalyptische" Theologie der Mächte und Gewalten. Sie ist nicht hermeneutisch auf das Verstehen von Mächten und Gewalten angelegt, sondern zielt auf den rechten Umgang mit ihnen. Die nach Stringfellow größte im NT erwähnte Geistesgabe ist die der Unterscheidung der Geister: "Diese Gabe befähigt das Volk Gottes die in Nationen und Institutionen oder anderen Geschöpfen oder besessenen Menschen inkarnierte Macht des Todes zu unterscheiden und zu erkennen, zu identifizieren und zu enthüllen, zu berichtigen und zurückzuweisen, während sie zugleich das Wort Gottes bestätigen, wie es im Ganzen des Lebens inkarniert und überragend zugleich in Jesus Christus versinnbildlicht ist" (Stringfellow, zit. nach Zeilinger, 66 f.). Diese Unterscheidungsgabe ereignet sich zentral in liturgischen Akten, hat aber ihre eigentliche Stoßkraft im Verständnis "gelebten Widerstands" (70).

Stringfellows Werk ist "die biblische Inanspruchnahme der biblischen Rede von Mächten und Gewalten für die Interpretation gegenwärtiger sozialer und gesellschaftlicher Realitäten" (40). Sie hat neben anderen auch den Neutestamentler Walter Wink angeregt zu einer dreibändigen Monographie: "Naming the Powers" (1984), "Unmasking the Powers" (1986) und "Engaging the Powers" (1992). Aber anders als Stringfellow versteht Wink die Mächte "als eine Mischung von gut und böse" (zit. nach Zeilinger, 42) und entwickelt deshalb "einen zusammenhängenden kosmologischen Entwurf" (42). Dabei wird erkennbar, dass Einflüsse der Psychologie Jungs und der Philosophie Whiteheads Winks Arbeiten stark beeinflusst haben. Die Mächte sind nach Winks Verständnis ursprünglich und primär gut geschaffen worden, dann aber gefallen; und deshalb auch erlösbar - und schon versöhnt durch den Tod Christi am Kreuz (so Wink mit Hinweis auf Kol 1,16). Das hat zur Konsequenz, dass Wink in der Frage des Umgangs mit den Mächten zwei Seiten betont. Die des sozialen Kampfes, da greift er Stringfellow auf, aber auch die des "inneren Wandels" (90); letzterer geschieht durch "kreative Imagination" und Gebet: Aktion und Meditation sind also die beiden anzuratenden Verhaltensweisen gegenüber den Mächten. (Winks besondere Betrachtung des in der Johannesapokalypse betrachteten "Engels der Gemeinde" hat übrigens nach Z.s Auffassung eine enge Affinität zur Praxis der Gemeindeberatung, vgl. 368-374.)

Ausgehend von der Darstellung beider Positionen widmet sich der Vf. - nach einer hermeneutischen "Verständigung über den symbolisch-mythischen Charakter der Redeweise von Mächten und Gewalten" (115) - grundlegenden Fragestellungen.

1. Sind die Mächte gewachsene menschliche Eigenmächtigkeiten oder sind sie als Werk Gottes zu bezeichnen? Und wie ist der Himmel als Ort der Mächte und Gewalten zu verstehen? Der Vf. führt hier Gespräche vor allem mit Barth, Tillich, Moltmann und Pannenberg mit dem Ergebnis, dass Mächte und Gewalten als "relativ eigenständige Gestalten" zu bezeichnen sind.

2. Das lässt aber die Frage entstehen, ob die Mächte und Gewalten Personen oder Subjekte sind. Das Ergebnis lautet hier, dass zwar nicht in gleicher Form von Personalität geredet werden kann wie bei Mensch oder Gott, dass sie aber sehr wohl in personaler Gestalt begegnen, ohne dass von ihnen nur personal geredet werden kann.

3. Es ist dann zu fragen, wie sich die Mächte im Verhältnis zur Macht und zum neutestamentlich benannten Sieg Jesu Christi verhalten, und auch hier ist das Ergebnis differenziert: Es muss einerseits eine einheitliche Macht des Bösen angenommen werden, aber andererseits muss eine einheitliche Vorstellung dieser Macht abgelehnt werden. Die neutestamentliche Rede von der Erlösung kann deshalb nicht ausschließlich in Kampfmetaphern erfolgen.

4. Und schließlich stellt der Vf. die Frage nach der Wahrnehmung der Mächte in sozialethischer und soziologischer sowie in psychologischer und phänomenologischer Hinsicht.

Den Schluss der Arbeit bildet ein Ausblick, wobei neben der schon erwähnten Gemeindeberatung der Weg zwischen priesterlichem und prophetischem Umgang gegangen sowie die Frage nach der exorzistischen Kraft liturgischen Handelns erwogen wird.

Der Vf. hat hier eine umfangreiche, viele Aspekte der Thematik berührende und doch die Grundfragen nicht verdrängende Arbeit vorgelegt, an der man so schnell wird nicht vorbeigehen können. Er hat gleichzeitig einen bisher nicht beachteten Strang nordamerikanischer Theologie für die deutsche Theologie fruchtbar zu machen versucht, gerade indem er Diskussionen mit deutschsprachigen Entwürfen führt. Und er hat auch eine Linie von theologischen Reflexionen hin zu Fragen der praktischen kirchlichen Relevanz gestellt und bearbeitet. All das ist hoch einzuschätzen und für gegenwärtige theologische Literatur nicht selbstverständlich.

Aber es ist doch manches auch anzufragen. Die Arbeit ist an Aspekten und Diskussionssträngen übervoll; der Vf. hat eine Unmenge von Seitensträngen genannt und führt eben so viele Seitenreferenten auf, die doch die Lesbarkeit arg beeinträchtigen. Der rote Faden muss manchmal erst destilliert werden. Bei dieser beinahe überbordenden Fülle ist verständlich, dass zuweilen die Argumentation an Schärfe und Genauigkeit verliert. So hat man nicht immer den Eindruck, dass wirklich diskutiert, sondern manchmal auch schnell abgetan wird - etwa S. 165, in der Barths Ablehnung der Nicht-Zusammengehörigkeit von Engeln und Dämonen ohne weiteres Argument bestritten wird. Und auch das "Christus-Victor"-Paradigma (274 ff.) ist trotz des differenzierten Ergebnisses (s. o.) forschungsgeschichtlich einseitig dargestellt. Der "Person"-Begriff (etwa 250 ff.) wird tendenziell recht diffus gebraucht. Und ein bibliographischer Hinweis: Das häufig nach englischer Übersetzung zitierte Buch von H. Berkhof heißt im Original "Christus en de machten" (und nicht an).

Neben diesen eher formalen Anfragen ist das Werk knapp theologisch zu würdigen. Der Titel "Zwischen-Räume" entspricht der These der Arbeit: Die Wirklichkeit der Mächte und Gewalten ist als ekklesiologische Herausforderung anzusehen und anzunehmen. Aber der Untertitel verspricht doch mehr, als die Arbeit hält. Zu fragen ist nämlich, ob die anthropologisch-phänomenologische Herangehensweise, die trotz mancher Kritik an Wink letztlich von ihm übernommen wurde, nicht doch zu Wahrnehmungsbeschränkungen führt. Ein stärker theologisch und damit christologisch verfahrender Zugang hätte den Blick noch einmal ganz anders lenken können: Von der Doxologie der Engel, von der Differenz zwischen Engel und Seraphinen im Alten Testament, auch vom Zeugendienst und der Funktionalität von himmlischen Wesen ist kaum die Rede. Engel werden subsummiert unter die Mächte und Gewalten. Das ist bei der Verfahrensweise der Arbeit konsequent, aber gleichzeitig ihr Defizit. Damit soll der oben genannte Wert der Arbeit nicht aufgehoben werden. Vielleicht löst die Arbeit in Verbindung mit anderen Strömungen eine Diskussion zum Wirklichkeitsbegriff aus, der theologisch aussteht.