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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

432 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Korthaus, Michael

Titel/Untertitel:

"Was uns unbedingt angeht" - der Glaubensbegriff in der Theologie Paul Tillichs.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 248 S. gr 8 = Forum Systematik, 1. Kart. DM 59,65. ISBN 3-17-015976-3.

Rezensent:

Martin Leiner

Das zu besprechende Buch, eine von E. Lessing betreute Dissertation, reiht sich bewusst in die sehr kritischen Beiträge zu Tillich ein, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Die Arbeit geht noch über die von O. Bayer geäußerte Tillich-Kritik hinaus und kommt zu dem Ergebnis, dass Tillich "keinen genuin theologischen Begriff des Glaubens" (226) habe, und dass er "schließlich doch von einem anderen Glauben" (227) rede als es von der reformatorischen Tradition aus gefordert sei. Ein solch gravierendes Urteil verlangt gute Gründe.

K. geht folgendermaßen vor: Ein einleitender Abschnitt stellt die Untersuchung in den Rahmen der apologetischen Theologie Tillichs, deren Kernstück die Korrelationsmethode ist. Diese hat nicht nur methodisch-darstellenden, sondern auch einen ontologischen Sinn (vgl. Tillich, Systematische Theologie (=ST) Bd. I, 73-80). Das Konzept der Korrelation verbindet folgende "familienähnliche" Begriffe (Clayton) miteinander: 1. die Logik von Frage und Antwort, 2. die Korrelation zwischen religiösen Symbolen und dem, was symbolisiert wird, 3. die Korrelation zwischen Begriffen für den menschlichen Bereich und solchen für Gott und 4. die reale Korrelation zwischen dem Zustand des religiösen Ergriffenseins des Menschen und dem, was ihn ergreift (vgl. ST I, 74). K. kritisiert, dass Tillich bereits in den ontologischen Grundlagen (bes. die 4. Bedeutung des Korrelationsbegriffs) seiner Korrelationsmethode von einer "indifferierenden Einheit" (24) zwischen Gott und Mensch ausgehe, die bewirke, dass alle Differenz zwischen Gott und Mensch zum bloßen Schein werde. Er begründet seine Interpretation mit Tillichs Aussagen zum "mystischen Apriori" (21; vgl. aber Tillich, ST I, 16 - Betonung des Beziehungsaspekts der mystischen Erfahrung!), sowie mit seiner Rede vom ontologischen Prinzip der Religionsgeschichte, das die unmittelbare Gewissheit des Unbedingten einschließt (21, vgl. Tillich, Gesammelte Werke V, 131 f.).

Zu dieser Argumentation dürfte Folgendes zu sagen sein: Tillich eine indifferierende Einheit von Gott und Mensch vorzuwerfen, verlangt nach Präzisierungen, (a) wie Identität zu verstehen ist und (b) wo und wann diese vorliegt. Zu (b) betont Tillich, dass der Identitätspunkt "kein Moment der Zeit" ist (ST I, 75). K. findet aber diesen Identitätspunkt im Sein des Menschen, das sich auch in der Zeit abspielt: "Indem neben dem Deus est esse auch gilt: Homo est, bringt der Seinsbegriff die prinzipielle Identität von Gott und Mensch, ja vielmehr die prinzipielle Identität von allem, was ist, zum Ausdruck" (21). Tillichs Konzeption muss darum komplexer rekonstruiert werden. (a) Identität schließt nach Tillich Beziehung und Differenz ein: Gerade der Begriff des Unbedingten konstituiert sich im Entstehen einer Beziehung zu Bedingtem.

In diesem Zusammenhang erhalten Identität und Differenz und die Zusammengehörigkeit beider Begriffe ihren Sinn. Tillich erläutert dies u.a. am trinitarischen Symbol; K. nähert sich diesem Gedanken in 215-218. Weil aber die Hintergründe des Tillichschen Begriffs des Unbedingten in Schellings Philosophie von der Arbeit nur gestreift werden, bleibt der Autor gerade diese wichtige Klärung dem Leser schuldig. (b) Zu Tillichs in Wahrheit nicht univokem Seinsbegriff vergleiche man Tillichs differenzierte, wenn auch nicht unproblematischen Ausführungen in ST I, 273-276 (s. auch die Bemerkungen bei K. 130). Eine Kritik an Tillich könnte sich mit besserem Recht entweder (zu a) speziell gegen die philosophische und nicht ausreichend christologische Beschreibung des Identitätspunktes richten oder (zu b) ganz allgemein die Verwendung onto(theo)logischen Denkens bestreiten.

Im ersten Hauptteil zeichnet K. die Genese der Glaubensformel in Tillichs Werk nach. Den ersten eindeutigen Beleg für die Formel findet K. in dem Aufsatz "Christologie und Geschichtsdeutung" (Main Works, VI, 189-212, bes. 201 f.) von 1930, Vorläufer dieser Aussagen gibt es aber schon im Frühwerk, so "sind schon in der Schellingschrift von 1913 entscheidende Parameter sichtbar geworden, die Tillichs Unbedingtheitsbegriff von nun an durchgehend bestimmen" (46). Immer wieder kommt K. auf seine grundlegende Kritik zu sprechen, dass der Begriff des Unbedingten bei Tillich das Identitätsprinzip, die paradoxe Identität zwischen Bedingtem und Unbedingtem einschließe (48.51.89 zur Mystik bei Tillich, u. ö.). K. erwähnt auch, dass Tillich in seiner ST die Auffassung äußert, die Formel "Glaube sei Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht", sei eine abstrakte Übersetzung des ersten Gebots (63; vgl. Tillich, ST I, 247); er lässt sich aber von Tillichs Anspielungen an Luthers Auslegung dieses Gebots nicht in seinem Urteil beeinflussen.

Zu einer Vertiefung seiner Argumentation gelangt K. im 2. Teil, der Tillichs Glaubensbegriff in den Schriften "The Courage to Be"(1952) und "Dynamics of Faith" (1957) gewidmet ist. In diesen Schriften spricht Tillich von einem absoluten Glauben, der auch dann noch besteht, wenn die konkrete Gestalt eines Glaubens zusammengebrochen ist. Das Element des Unbedingten bleibt noch im Zweifel bestehen. Gegenüber dieser Argumentation wendet K. zweierlei ein: zum einen gelangt Tillich gerade nicht zu jenem radikalen Zweifel, der den Sinn von Sein insgesamt in Frage stellt (151). Tillichs Theologie ist wie K. zurecht anmerkt "gerade nicht eine Theologie für die radikal Fragenden oder die radikal Zweifelnden ... sondern für diejenigen, die noch - vielleicht unbewußt - von einer religiösen Rest- oder Grundgewißheit zehren" (225). Die zweite Kritik wendet sich gegen die rein formale Formulierung des Glaubens, die von konkreten Elementen wie der Wortgebundenheit (109-115) und von ihrem Bezug zu Christus, Geist und Kirche abstrahiert. Der dritte Teil der Arbeit zeigt, dass Tillich nicht zu einer befriedigenden Integration dieser konkreten Größen, die den Glauben in reformatorischer Sicht bestimmen, gelangt. Tillichs Aussagen, dass die Christologie oder die Pneumatologie die Mitte seines Systems sei, beurteilt der Autor als eher randständig. Statt dessen spricht K. vom "Scheitern der Tillichschen Pneumatologie" (208), weil in ihr bloß die menschliche Erfahrung der Geistigkeit auf Gott übertragen werde. Außerdem kommt er zu der Behauptung: "Die in Tillichs Bild-Christologie wurzelnde Selbst-Begründung des Glaubens hat ... zum Verlust des Kirchenbegriffs geführt" (194).

Neben solchen schnell gefällten Urteilen wirkt zweierlei an der Arbeit befremdlich: Dass K. trotz Luthers Auslegung des ersten Gebots gerade im Glaubensbegriff einen so radikalen Gegensatz zu den Reformatoren findet und dass der Autor die Bildung von verallgemeinernden Abstraktionen ablehnt, wie es Tillichs Glaubensbegriff ist. Nur solche verallgemeinernden Abstraktionen (von Gott, Glaube, Offenbarung usw., solche gibt es schon im AT) erhalten den Glauben verstehbar und dialogfähig mit Philosophie, Kultur und anderen Religionen. Die Alternative wäre Theologie als in sich verschlossene Esoterik. Richtig ist, dass Tillich häufig nicht zu befriedigenden Konkretionen gelangt und dass er in seinem Bemühen um Vereinfachungen angreifbar und kritikwürdig ist, die polemischen Spitzensätze der Arbeit von K. können aber - gerade aus reformatorischer Perspektive - nicht überzeugen.