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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

429–431

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gorringe, Timothy J.

Titel/Untertitel:

Karl Barth. Against Hegemony.

Verlag:

Oxford: Oxford University Press 1999. XIII, 313 S. 8 = Christian Theology in Context. Kart. £ 14.99. ISBN 0-19-875247-4.

Rezensent:

Eberhard Busch

Im englischsprachigen Raum ist eine intensive Beschäftigung mit der Theologie Barths neu entbrannt. Das vorliegende Buch ist ein Beleg dafür. G. kennt sich umfassend in Barths Werken aus und wendet sich mit seiner Kenntnis bewusst an angelsächsische Adressaten. Er will Barths Theologie von dem ihr gerade dort aufgeklebten, den Zugang zu ihr störenden Etikett der "Neo-Orthodoxie" befreien (10.17) - durch den Nachweis, dass sie im Kontakt mit ihrer zeitgenössischen Wirklichkeit gebildet sei. G. will zugleich mittels eines aufmüpfig gezeichneten Barth eine "Bürgerlichkeit" - wofür indes im Englischen der entsprechende Begriff fehle (273) - in Marsch setzen in Richtung auf eine befreiungstheologische Praxis. G. übernimmt für sein Vorhaben eine bestimmte deutsche Barthinterpretation. Der Leitstern seiner eigenen Deutung ist ihm F. W. Marquardts Barth-Buch "Theologie und Sozialismus" (1972), in dessen Umkreis er auch P. Winzeler, P. Eicher, D. Schellong, M. Weinrich und Sabine Plonz als vorbildlich anerkennt. Seine Deutung verknüpft drei Aspekte (18!).

Erstens, er will Barths Theologie kontextuell interpretieren, wie auch sie selbst kontextuell verfasst sei: Sie "emerges" als "response to his context" (16.13). Nein, nicht "purely as a response to contempory events" (8.80)! Denn Barth "constantly responded to his political context as a theologian" (11). Aber das schwächt nicht ab: Barth "took the need of the theologian to respond to his or her context with absolute seriousness" (8). Darum tue die idealistische Deutung Barths als eines, der Ideen hatte und für den sein Kontext bloß Hintergrund war, unrecht. Bei G. wird der zum Vordergrund, und er periodisiert darum Barths Theologie nach zeitgeschichtlichen Epochen: Zusammenbruch der Belle époque, Weimar, deutscher Faschismus, Kalter Krieg und Tauwetter (11). So gerät Barths Anselm-Buch und der erste Teil seiner Kirchlichen Dogmatik unter die Überschrift: "Kampf gegen den Faschismus"! Immerhin bekommt man den Eindruck, G. scheue vor seiner eigenen These zurück, indem er sie im Einzelnen mehr nur andeutet als wirklich ausführt.

Zweitens, G. versteht kontextuell nahezu synonym mit "politisch". Denn eine bewusst kontextuelle Theologie bilde sich unter Anerkennung des historischen Materialismus. Barths Theologie ist also, "from first to last, a political theology or ... a contextual theology" (5.16.163.71 f.) und erfordert mithin "a historical materialist reading" (19). Gegen Jüngel sagt G., Politik sei bei Barth nie bloß Prädikat seiner Theologie gewesen (9). Auch hier scheut der Vf. im Einzelnen etwas zurück vor dem, was er programmatisch ankündigt. So dass er dann doch nur sagt, diese Theologie habe "political implications" (273) oder "political consequences" (123). Immerhin hält er dafür: "Barth's theology is a political theology in the first instance as a theology of revelation" (273).

Drittens, dass Barths Theologie kontextuell und politisch sei, heißt für G. verblüffend selbstverständlich, dass ihr Vertreter Sozialist war. Jedenfalls haben H. Gollwitzer und G. Casalis, "who knew Barth best", das gesagt: "that throughout his life Barth remained a committed socialist" (17). Darauf zielt der Titel des Buches "Against Hegemony", was so viel bedeutet wie herrschaftskritisch, was verwandt ist mit ideologiekritisch. "From first to last his work is 'against hegemony'" (1.290) - und das bewegt seine Theologie wiederum dazu, dem jeweiligen Kontext zu antworten, und zugleich dazu, immer gegen den Strom zu schwimmen. Im Unterschied zur aufklärerischen Freiheit, die nicht vor Totalitarismus schützt, ist "a free life, according to Barth's picture ..., the life of a resistance fighter, but in a spirit of joy, celebration, and thankfulness, and always for human beings" (267). Denn die Freiheit sei hier in der Gnade begründet, aber - in einer Gnade "in its radical political consequences" (271).

G. sieht eine Reihe der Schwierigkeiten, in die ihn seine Sicht bringt, und sucht sie aus dem Weg seines Deutens zu räumen. Hat nicht Barth z. B. in Safenwil dem Religiösen Sozialismus Lebewohl gesagt? Ja, sagt G., aber gerade so habe er sich frei gemacht für seinen Beitrag zur "Revolution Gottes", wie auch Marx die gängige Sozialistenliteratur nicht brauchte für seine Revolutionstheorie (10). Und hat nicht Barth auch oft von Politik geschwiegen? Ja, aber unausgesprochen war sie stets bei ihm da (19), sogar in der Weimarer Zeit, wo er zwar als Ausländer sich zurückhielt (12.84), aber doch an der Seite der kulturellen Avantgarde den Stil der "neuen Sachlichkeit" dieser Jahre mit geprägt habe (75.95.98 f.). Und wollte er nicht 1933 f. nur Theologie treiben, "als wäre nichts geschehen"? Ja, ja, aber er hat gerade jetzt die christliche Lehre als politische Ressource gefasst: die Lehre von Gott als der alles verändernden Wirklichkeit und so als tiefsten Grund für politische Befreiung (144), in analoger Rolle wie die Vision befreiter Arbeit bei Marx (147), ferner: die Entschlüsselung des bloßen Begriffszeichens "Wort Gottes" in eine Christozentrik als das Prinzip, das durch seine Einheit von Idee und sozio-historischer Realität politisch hoch aktiv ist (133f.9), ferner: die Prädestinationslehre als Gegengift gegen die Gesetze des Marktes (163), oder dann die Lehre von Evangelium und Gesetz als Lehre des wechselseitigen Zusammenhangs von Theorie (= Evangelium?) und Praxis (9). Es sieht hier so aus, als schmuggele Barth zunächst politische Interessen in seine Theologie, um sie dann wieder aus der Theologie zu destillieren.

Man wundert sich, dass dem Vf. gerade die Zeit 1933 f. nicht mehr zu denken gegeben hat. Barth hat da (und die Bemühung kulminierte immerhin in der Barmer Erklärung!) einen theologischen Streit geführt, in dem er einer ausgesprochen kontextuellen und politischen Theologie, die allerdings für "rechts" votierte, nicht ein Votum für "links" gegenübergestellt hat, unter Anerkennung desselben Verfahrens. Er hat da, charakteristisch für seine Theologie, gerade dieses Verfahren selbst angegriffen. Steht sein Name nicht für eine Theologie, die ausschließlich in der Weise die Offenbarung in Beziehung zu Vernunft, Erfahrung, Geschichte, geschöpfliche Existenz usw. setzt, dass sie diese "Instanzen nach Maßgabe der Offenbarung und nicht etwa die Offenbarung nach Maßgabe jener anderen Instanzen" interpretiert (so Barth im März 1933)? Das umgekehrte Verfahren nennt Barth "natürliche Theologie", die er bis zuletzt strikt abgelehnt hat.

Es ist nicht zufällig, dass G. mit Barths Abgrenzung dagegen nicht viel anfangen kann. Sie sei eine zeitgebundene polemische Pointe, an die er sich selbst nicht gehalten habe (131). Und ferner sei gegenüber dem Einwand, man habe ja auch mit natürlicher Theologie gegen Hitler sein können, wenigstens das als der gute Sinn dieser Polemik zu loben: ihr Nein zum bürgerlichen status-quo-Denken (162).

G. arbeitet nicht klar heraus, dass Barth alles daran lag, nicht nur 1933, alle "kontextuellen" Instanzen "nach Maßgabe der Offenbarung" zu sehen- und das heißt konkret: demgemäß, wie Jesus Christus "in der Heiligen Schrift bezeugt wird". Nicht nur macht den Vf. der Einwand allzu verlegen, dass Barths Bibelauslegungen in seiner Dogmatik unnütz seien, gemessen am kritischen Exegetenstandard (283 f.). Er hat hier auch selbst auf einmal tiefe Bedenken gegenüber dem sonst von ihm so bejahten Theologen. Es ist die Frage "which we have to put to all (!) of Barth's theology, namely whether to give absolute priority to exegesis over against empirical observation", ... ob das nicht eine Abstraktheit gegenüber der kontextuellen Wirklichkeit bedeute (151). Es blitzt an diesem Punkt bei G. die Einsicht auf: Es könnte seine Rechnung, in der er sich in seiner Kontextualitäts-These mit Barth im Einklang zu befinden meint, doch nicht aufgehen.

Schließlich: Wo man Barths Theologie derart ausgibt als "response to his context", stellt sich die Frage, die G. zuletzt selbst auch aufwirft: "the question of how relevant it is beyond that context" (287). Ihr Hauptnutzen kann nunmehr ja eigentlich nur in ihrer Anregung bestehen, die sie uns gibt: "to respond, theologically, to our own context" (290). Zudem habe uns ja Barth noch einiges zu tun übrig gelassen, da das "against hegemony" sich bei ihm noch nicht auf Frauen und Homosexuelle beziehe (288). Sodann erinnert sich G. auch der Erkenntnis Barths, dass kraft der Auferstehung von den Toten zur Kirche von heute auch die von gestern und vorgestern gehöre. Was G. sich so zurecht legt: Man könne die Vorfahren heute nicht ignorieren, "just as Bismarck loomed behind much which happened in twentieth century Germany" (14)! Eine Auferstehung, in der sich die Person auflöst in ihrer Wirkungsgeschichte?