Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

971–973

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Gerber, Christine

Titel/Untertitel:

Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1997. XIV, 456 S. gr.8 = Arbeiten zur Geschichte des Antiken Judentums und des Urchristentums, 40. Lw. hfl 250.-. ISBN 90-04-10753-3.

Rezensent:

Bernd Schröder

Die 1996 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München angenommene, hier überarbeitet vorliegende Doktorarbeit "macht sich zur Aufgabe, die Darstellung des Judentums, die Josephus in Ap 2,145 ff. gibt, nachzuzeichnen im Blick auf ihre theologischen Grundlinien. Sie will die Frage nach der Theologie dabei nicht losgelöst von der Intention des Autors, sondern gerade in deren Zusammenhang beantworten. Daher widmet sie sich ausführlich dem kommunikativen und situativen Kontext, auf den Josephus sein Bild des Judentums hin entwirft" (59). So faßt die Autorin Gegenstand und thematischen Aspekt ihres Werkes zusammen. Für die sachgemäße Erarbeitung dieser Aufgabe hält sie allgemeinere Vorüberlegungen für erforderlich.

Im ersten Teil, der "Einleitung" (1-62), referiert und kritisiert G. Arbeiten, "die sich grundlegend mit der theologischen Tendenz der Schriften des Flaviers befassen" oder "sich genauer Ap widmen" (4). Aus dieser Durchsicht schließt G., daß nicht Josephus als Person oder als Historiker, sondern seine Theologie näher zu untersuchen sei. "Weiterhin angemessener Ausgangspunkt" dafür ist es, Contra Apionem "als ,direkte Apologie’" (41) zu lesen - allerdings gelte es, "die Funktion" dieser Form "sowie die Adressaten besonders zu beachten" und "auf die pragmatische Intention ... mehr als bisher zu achten" (59). - Aufgabenstellung und eigene Akzente bleiben so von vornherein auf die Nachzeichnung eines josephischen Textabschnittes (s. o.) wie auf die bloße Nuancierung der referierten Forschungslage beschränkt.

Teil II, "Contra Apionem als literarisches Werk" (63-121), traktiert einmal mehr Einleitungsfragen zu dieser Spätschrift des Josephus - ohne allerdings in der Frage der Datierung oder der eventuellen Vorlagen des Josephus eine weiterführende Klärung anbieten zu können. Daß die "intendierten Leser des Josephus zuallererst Nichtjuden sind, Griechen oder Römer" (90), vermag den situativen Kontext der Schrift kaum zu präzisieren. Im Anschluß an F. Veltman betont G., Josephus habe sich aufgrund seiner von Anfeindungen "an gerichtlichen Apologien orientiert" (83). Schließlich akzentuiert sie die geringe Verknüpfung von CAp II, 145-296 mit dem Rest der Schrift (99) und schließt daraus auf die "separate Entstehung" dieser Passage (120). Das wiederum dient als Rechtfertigung dafür, die eigenen Untersuchungen weitgehend auf diesen kurzen, "bisher nicht erschöpfend behandelt(en)" (58) Ausschnitt aus Contra Apionem zu beschränken.

Der III. Teil (122-255) ist folglich der ausführlichen "Analyse des dritten Hauptteils von Contra Apionem (2,145-296)" gewidmet. G. stuft diesen Abschnitt als argumentativen Text ein (124 f.) und analysiert dessen Argumente und Argumentation mit linguistischen Instrumentarium - unter Rückgriff auf Methodik und Begrifflichkeit vor allem Josef Kopperschmidts und Stephen Toulmins. Das Ergebnis ist, wie G. selbst bemerkt, "nicht leicht [zu] lesen" (133; vgl. 62). Es besteht in einer Grob- sowie einer Feingliederung der untersuchten Passage; deutlich wird, daß Josephus seine Argumente unterschiedlich gewichtet und auf recht differenzierte Weise Einwürfe seiner Gegner beantwortet.

Genau behandelt wird allerdings nur CAp II, 145-189 - der Rest des dritten Hauptteils von Contra Apionem, also CAp II, 190-219 ("Gesetzesepitomé") sowie II, 220-286 ("Synkrisis") und II, 287-296 ("Peroratio") wird demgegenüber ungleich schlichter in Betracht gezogen: Deren "Analyse ... setzt ebenfalls die Prinzipien der Argumentationstheorie voraus, seziert den Text jedoch nicht so fein, sondern faßt die Ergebnisse unformalisiert umgangssprachlich zusammen" (129).

Ergebnis: CAp II, 145 ff. gliedert sich in drei Teile, die Josephus durchaus "besser hätte verbinden können" (! 244). Dem Flavier ist darin nicht nur an der argumentativen "Widerlegung der Anklagen" gelegen, sondern an einer positiven Darstellung des Judentums (246 f.). Er bedient sich verschiedener "Begründungssprachen" (247) für die Plausibilisierung seiner Worte, will sagen: er beschreibt das Judentum u. a. in politischer und philosophischer Terminologie. "Der Überblick zeigt, daß Josephus nirgends auf jüdische Werte oder Ansichten als jüdische zurückgreift, sondern stets versucht, bei seinen Adressaten anzuknüpfen. Impliziert ist die Überzeugung, daß das Judentum auch im Horizont nichtjüdischer Werte und Kategorien als sinnvoll vermittelt werden kann." (249) Schließlich bestätigt sich erneut, daß wie die gesamte Schrift, so auch CAp II, 145 ff. als Apologie zu interpretieren ist - selbst wenn einzelne Passagen die Funktion einer solchen ,sprengen’ (250).

Damit grenzt sie sich sowohl von D. Balch als auch von St. Mason ab, die CAp II, 145 ff. als "apologetic encomium" bzw. vorrangig missionarisches logos protreptikos begreifen (35-40).

Ging es bisher darum, "den ,Rahmen’, die ,Technik’ und die intendierten Betrachter des Bildes sichtbar" zu machen, soll Teil IV der Arbeit "die Inhalte des Bildes" vom Judentum bestimmen, das Josephus zeichnet (256). Allerdings: "Josephus hat uns in dem Text keine systematische Darstellung des Judentums hinterlassen, noch vermochte die Analyse ein System zu erheben. Doch konnte sie die Aspekte des Judentums, die Josephus für wesentlich erachtet zur Darstellung desselben, herausstreichen und, wenn auch nicht alles in einen Zusammenhang bringen, so doch einzelne Zusammenhänge aufzeigen bzw. deren Geltung nahelegen. Immer ist dabei mitzubedenken, daß die ... Nachzeichnung nur für die ... benannte kommunikative Situation gilt und sich eine Verabsolutierung der Ergebnisse verbietet" (254).

Teil IV, "das Bild vom Judentum in Ap 2,145-296" (256-387), stellt somit die Züge des Judentums ausführlich vor, die Josephus in seiner Darstellung gegenüber Nichtjuden (der Interpretation Gerbers zufolge) als zentral zu erkennen gibt. Insbesondere ist dies die Würdigung des Judentums als verfaßte, theokratische Gemeinschaft (338 ff.,381 f.), in deren Leben das Gesetz (269 ff.382) und die - vor allem im Begriff der eusebeia pointierte - Ausrichtung auf Gott (285 ff.384 f.) die zentrale Rolle spielt. - Faktisch beschränkt sich die Vfn. damit in diesem Kernstück ihrer Arbeit auf eine akzentuierende und systematiserende Paraphrase von CAp II, 145 ff.

Teil V, "Schluß: ein Bild des Judentums für Nichtjuden" (388-394), bietet schließlich eine sehr knappe Gesamtzusammenfassung sowie eine Würdigung von Contra Apionem als "ein einzigartiges Dokument eines ,jüdisch-nichtjüdischen Dialogs’" (394).

Angehängt sind eine deutsche Übersetzung von CAp 2,145-296 (395-419), eine "Statistik zum Wortgebrauch von Contra Apionem 2,145-296" (420-426), die belegen soll, daß sich dieser Textabschnitt "nicht auffallend von den übrigen Texten aus der Feder des Flavius Josephus unterscheidet" (421), sowie das Literaturverzeichnis (427-444). Es folgen Register der zitierten Textstellen, griechischer Begriffe und moderner Autoren (445-456).

Fraglos ist die vorliegende Untersuchung detailliert und methodisch reflektiert gearbeitet; sie bietet insofern im einzelnen hilfreiche Einsichten in Aufbau und Inhalte von Contra Apionem, das so ausführlich bisher nicht monographisch behandelt wurde. Fragwürdig scheint mir jedoch das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu sein: Das analytische Instrumentarium und verschiedentlich herangezogene begriffliche Präzisierungen (z. B. zum Thema ,Apologie’) führen im Ergebnis kaum über das aus der Literatur Bekannte hinaus, das von G. eingangs referiert bzw. im Literaturverzeichnis erfaßt wurde.

Angesichts der Forschungslage bleiben die Akzente dieser Arbeit somit blaß. Zwar begründet die Vfn. die Beschränkung ihrer eingehenden Textanalyse auf letztlich CAp II, 145-189, doch reduziert sich damit zusätzlich die Reichweite der Studie. Mir scheint das Ergebnis schließlich nicht spannungsfrei zu sein:

So betont G. z. B. immer wieder, daß CAp II, 145 ff. eine Apologie sei, deren kommunikativer Horizont unbedingt zu berücksichtigen ist, doch am Ende überrascht sie mit der Zuspitzung, Josephus stelle "das Judentum in zeitübergreifender ... Sicht dar" (380). Ebenso insistiert sie zu Recht darauf, daß Josephus sich an nichtjüdische Leser richtet, doch bleiben diese sehr blaß und zeitbezugslos: Es sind "Griechen oder Römer" (90), ja wohl "unvoreingenommene(.) Außenstehende(.)" (386; etwas anders 41 und 89). Nicht zuletzt: Die theologische Leistung des Josephus, auf die Gerber einerseits abhebt, bleibt andererseits durch Urteile wie das folgende im Zwielicht: "Der Text erweckt den Eindruck, daß Josephus verschiedene pointierte Aussagen über das Judentum nebeneinanderstellte, ... ohne ihren inneren Zusammenhang sachlich zu durchdringen" (284).